Posten-Puzzle: Wer kommt in die EU-Kommission?

Die EU-Mitglieder haben ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die EU-Kommission vorgeschlagen. Ursula von der Leyen hatte sich gewünscht, dass jedes Land einen Mann und eine Frau nominiert, so dass Wahlmöglichkeiten für eine paritätische Besetzung möglich sind. Viele Regierungen sind diesem Wunsch nicht nachgekommen – und nicht nur das ist Anlass zu Kritik in den Kommentarspalten.

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Expresso (PT) /

Regierungen wollen keine Macht abgeben

Expresso erklärt, warum sich die Hauptstädte quergestellt haben:

„Die Regierungen sahen ihre Macht, die Zusammensetzung des Kollegiums der Kommissare zu bestimmen, in Gefahr. Und in der europäischen Politik ist es unwahrscheinlich, dass Macht, die aus den Hauptstädten nach Brüssel abwandert, wieder zurückkehrt. Die meisten lehnten den Vorschlag ab. Sie haben keine zwei Namen geschickt, um sich für einen entscheiden zu können, und sie haben gar keine Vorschläge für Frauen geschickt, wenn sie das nicht ohnehin vorhatten. ... Eine Parität wie in der vergangenen Amtszeit [als immerhin 12 von 27 EU-Kommissaren Frauen waren] wird es diesmal nicht geben.“

Trud (BG) /

Bulgarien lässt sich wieder abspeisen

Trud ärgert sich:

„Die sich abzeichnende Postenverteilung lässt sich im Moment wie folgt zusammenfassen: Die 'großen' Länder bekommen wieder Führungspositionen und die kleinen nicht. ... Die Besetzung der Posten für die neue Kommission ist einer der wichtigsten politischen Momente der EU für die nächsten fünf Jahre. Und es wäre die Aufgabe aller bulgarischen Vertreter im EU-Parlament, sich gemeinsam dafür stark zu machen, dass Bulgarien ein Portfolio mit echtem politischen Gewicht erhält. Wieder einmal ist dies nicht geschehen. Und die bulgarischen Bürger haben den Eindruck, dass sie kostspielige Touristen nach Brüssel schicken und nicht Menschen, die die Interessen des bulgarischen Staates und Volkes vertreten.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Kindischer Trotz

Die Süddeutsche Zeitung beklagt, dass von der Leyen ihr erklärtes Ziel, die Kommission paritätisch zu besetzen, voraussichtlich nicht erreichen wird:

„Ja, natürlich – Kompetenz ist wichtiger als Geschlecht. Aber wollen drei Viertel der EU-Regierungen ernsthaft behaupten, sie könnten unter all ihren Ministerinnen, Staatssekretärinnen und Parlamentarierinnen keine qualifizierte Frau für ein Kommissionsamt in Brüssel finden? Wohl kaum. Wahrscheinlich ist die Weigerung, von der Leyen ihre Bitte zu erfüllen, eher eine Trotzreaktion: Die EU-Kommissionspräsidentin ist vielen Regierungen ohnehin zu mächtig. Also lässt man sie in dieser Personalfrage auflaufen – weil man es eben kann. Aber Trotz ist vor allem eins: kindisch.“

Corriere della Sera (IT) /

Neue exotische Ämter

Die Postenverteilung verlangt Von der Leyen viel Kreativität ab, spottet Corriere della Sera:

„In der Tat mangelt es nicht an der Fähigkeit, Algorithmen zu entwickeln, mit einem von ihnen hat die Kommission beispielsweise im Jahr 2020 die Gelder des Wiederaufbaufonds Next Generation EU verteilt. … Aber von der Leyen wird dies nicht nutzen können, um ihre Exekutive zu bilden. … Stattdessen wird sie vor allem sehr kreativ sein, indem sie vielleicht ebenso exotische wie unbedeutende Posten erfindet. … Zudem hat sie die schillernden Joker der Exekutiv-Vizepräsidentschaften in der Hand. ... Doch wenn diese nicht mit einem hochrangigen Amt verbunden ist, besteht die Gefahr, dass die Exekutiv-Vizepräsidentschaft nur Firlefanz ist.“

news.bg (BG) /

Jedes Land bekommt schon sein Ressort

Wegen des innenpolitischen Chaos im Land hat die geschäftsführende Regierung in Sofia erst kurz vor der Frist die Nominierungen für die neue EU-Kommission abgegeben. Das ist halb so wild, meint news.bg:

„Auch ein paar Tage Verzögerung hätten kaum eine Rolle gespielt. Es zeigt nur, wie groß die Autorität der EU-Kommission und ihrer Präsidentin ist. ... Auf jeden Fall werden wir nicht ohne eine/n Kommissar/in bleiben. Das System ist so angelegt, dass grundsätzlich jeder Mitgliedstaat einen eigenen Vertreter in der Kommission hat. Daher wurden (und werden) immer bizarrere Ressorts eingeführt.“

Expresso (PT) /

Eine Beleidigung für Europa

Portugals Regierung hat Ex-Finanzministerin Albuquerque als EU-Kommissarin vorgeschlagen, die zur Zeit der Staatsschuldenkrise einen harten Sparkurs durchdrückte. Das ist nicht die einzige Kritik, die der Publizist Daniel Oliveira hat, wie er in Expresso schreibt:

„Das Problem von Maria Luís Albuquerque ist, dass ihr die fachliche, politische und ethische Dimension für ein verantwortungsvolles Amt fehlt, erst recht in Europa. Sie hat eine beachtliche Liste von fachlichen Versäumnissen, politischen Fehlern und Verstößen gegen die republikanische Moral vorzuweisen. … Ihr Name ist eine Beleidigung für das europäische Projekt, man weiß nichts über ihre Ideen für Europa. Was sie über die Welt denkt, erkennt man im Umstand, dass sie bereit war, das Buch des [rechtspopulistischen] Chega-Abgeordneten Gabriel Mithá Ribeiro vorzustellen, das Bolsonaro und Trump gewidmet ist.“