Wahl in Tunesien: Saied bleibt Präsident
Tunesiens autoritär regierender Präsident Kais Saied ist nach dem vorläufigen Endergebnis mit 90,7 Prozent wiedergewählt worden. Die Wahlbeteiligung lag allerdings nur bei 29 Prozent. Oppositionelle Kräfte hatten zum Wahlboykott aufgerufen, da nur zwei Gegenkandidaten zugelassen worden waren. In den Medien gibt es insbesondere Kritik an Europas Haltung gegenüber den Entwicklungen in Tunesien.
Das Land entfernt sich von der EU
T24 sieht die Gefahr, dass Tunesien durch den Kurs Saieds außenpolitisch ins Lager der Autokratien abdriftet:
„Wir haben es mit einem Führer zu tun, dessen Verhalten nur schwer zu analysieren ist und der alle Oppositionellen als Verschwörer und Korrupte bezeichnet. Selbst wenn eine Zusammenarbeit mit der EU notwendig und verpflichtend ist, macht sich dieser autoritäre Führer Sorgen um eine 'Einmischung in innere Angelegenheiten' und rettet sich mit der großzügigen Hilfe Algeriens über den Tag. Wer die Beziehungen zur EU unter dem Gesichtspunkt der Bedrohung oder Untergrabung der Souveränität betrachtet, wird das Land in Richtung Russland und China lenken. Gut möglich, dass wir bald in den Medien lesen, Tunesien habe einen Antrag auf Mitgliedschaft in den BRICS gestellt.“
Nötige Empörung in Europa fehlt
In Alternatives Economiques übt der Politikwissenschaftler und Soziologe Jean-François Bayart scharfe Kritik:
„Europa hat sich nicht darüber empört, dass eine wachsende Zahl von politischen Aktivisten, Journalisten, Vereinsvorsitzenden und sogar wichtigste Oppositionsführer und Anführer der demokratischen Sache eingesperrt werden. ... Auch die Durchführung der Präsidentschaftswahlen am 6. Oktober, bei denen es weder einen echten Oppositionskandidaten noch eine unabhängige Kontrolle des demokratischen Charakters der Wahlen gab, sorgte für keinerlei Stirnrunzeln. Europa billigt so nicht nur die Wiederherstellung des autoritären Systems in Tunesien, sondern finanziert es auch mit 150 Millionen Euro Haushaltshilfe und 105 Millionen Euro für die Grenzkontrolle. Und das ist der Kern der Sache.“
Kurzsichtige Nordafrika-Politik beenden
Die taz beklagt Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und sieht die EU gefordert:
„Brüssel und Berlin hatten die Bürgerrechtler:innen zehn Jahre lang wohlwollend unterstützt, lassen sie nun aber im Stich. Unter anderem, weil Europa die Haltung Tunesiens zum Krieg in Gaza missfällt ... . Das undurchsichtige Migrationsabkommen der EU-Kommission mit Tunesien und die enge Partnerschaft von Italiens Premierministerin Giorgia Meloni mit Saied sind ein weiterer Verrat Europas an den eigenen Werten. Und politisch kurzsichtig. ... Die Wiederwahl von Kais Saied sollte ein Weckruf für Berlin und Brüssel sein, endlich eine Nordafrika-Strategie einzuschlagen, die nicht auf Eigennutz, sondern auf Augenhöhe basiert. Die Verteidigung der um ihre Freiheit fürchtende Zivilgesellschaft wäre ein erster Anfang.“
Stillhalten fürs Migrationsabkommen
Die Achtung von Freiheiten hat für die EU keine Priorität, stellt El País besorgt fest:
„Tunesien galt nach dem Arabischen Frühling 2011 als eines der wenigen Beispiele für demokratische Erfolge. Diese Wahl bestätigt nun den Rückschritt bei den Bürgerrechten. ... Die EU hat bereits ihre Besorgnis geäußert, vermeidet aber eine schärfere Kritik, um das Migrationsabkommen nicht zu gefährden. ... Die Zahl der Migranten an der italienischen Küste ist drastisch gesunken. ... Tunesien ist das Modell, das Brüssel in andere afrikanische Länder exportieren möchte. Es wäre gut, wenn die Achtung der Freiheiten auch eine Priorität für die Union wäre.“