Brics-Gipfel in Russland: Stärkung des Anti-Westens?
Am Donnerstag ist im russischen Kasan das Treffen der Vertreter der neun Brics-Mitglieder und weiterer interessierter Staaten zu Ende gegangen. Das Bündnis strebt eine multipolare Weltordnung an. Europas Presse debattiert, wie die Gruppe als Gegengewicht zum "globalen Westen" einzuordnen ist und was die Teilnahme von UN-Generalsekretär Guterres in Kasan bedeutet.
Keine Lösung für den Krieg
Népszava ist enttäuscht:
„Die Abschlusserklärung ist nichtssagend in Bezug auf die Ukraine. Sie stellt fest, dass man 'alle Vermittlungsversuche' zur Beendigung des Krieges begrüßt, doch wurde weder Russland zur Beendigung des Krieges aufgefordert noch wurden Vorschläge zur Lösung des Konflikts angeboten. ... Das Treffen diente einem einzigen Zweck: Wladimir Putin wollte beweisen, dass er trotz des internationalen Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs nicht isoliert ist. Die restlichen Staaten waren jedoch nicht bereit, sich in Bezug auf die Aggression gegen die Ukraine eindeutig hinter ihn zu stellen.“
Völkerrecht wird ad absurdum geführt
Für das Tageblatt widerspricht Guterres' Auftritt seiner Rolle:
„In der UN-Charta haben sich die Staaten dazu verpflichtet, die territoriale Integrität jedes Landes zu wahren. Eine Aufforderung an Russlands Präsidenten Wladimir Putin, den Krieg in der Ukraine zu beenden, findet sich nicht im Abschlussdokument. ... Selbst der Höchste Repräsentant des Völkerrechts, der UN-Generalsekretär António Guterres, lässt sich am großen runden Tisch der 36 Staaten, den Brics-Mitgliedern und Freunden, vorführen. ... Guterres ... bringt seine vier wichtigsten Punkte an: Reformen des Finanzsystems, Klimawandel, KI und Frieden – 'in Gaza, im Libanon, in der Ukraine, im Sudan'. Putin lächelt, Guterres unternimmt nichts, um Putin auf offener Bühne seinen Völkerrechtsbruch vorzuhalten und führt damit das Völkerrecht einmal mehr ad absurdum.“
Mit allen zu reden ist die Idee der UN
Politiken begrüßt, dass der UN-Generalsekretär den Dialog mit Putin aufrechterhält:
„Die Uno ist das Weltforum, in dem sich alle Nationen – auch verfeindete – treffen können. ... Als oberster UN-Beamter verkörpert Guterres diese Idee. Man kann darüber streiten, ob es klug ist, dass er nach Russland reist, um mit Putin zu sprechen und an dessen Propagandaparty teilzunehmen. ... Unstrittig ist jedoch, dass er mit dem russischen Staatschef sprechen muss. Schließlich ist das sein Job. Das heißt nicht, dass er Putins Kriegsverbrechen oder den Überfall auf die Ukraine gutheißt. Guterres hat Russland immer wieder scharf kritisiert.“
Die Diplomatie hat etwas erreicht
Für Diena hatte Guterres' Russland-Reise einen guten Grund:
„Ein Diskussionsstrang betraf die internationalen Organisationen – die UN, den IWF, WTO, etc. In vielen Ländern des sogenannten Globalen Südens dominiert die Überzeugung, dass ihr Einfluss in diesen Strukturen seit langem im Widerspruch zum wirtschaftlichen und geopolitischen Einfluss führender nicht-westlicher Länder steht. ... Es gibt zwei Vorschläge: die Schaffung eigener neuer Strukturen oder die gezielte und koordinierte Herbeiführung eines deutlich größeren nicht-westlichen Einflusses in den bestehenden Organisationen. Die zweite Option setzte sich durch (und ging in die Abschlusserklärung ein). Möglich wurde dies auch durch die Bemühungen und die Diplomatie der UN und ihres Generalsekretärs.“
Guterres misst mit zweierlei Maß
La Vanguardia kritisiert Guterres:
„Auffällig sind die Aggressivität des Chefs der Weltdiplomatie gegenüber Israel und die Aufmerksamkeit, die er Russland schenkt. ... Er legt zweierlei Maßstäbe an. ... Das Foto mit Putin tut der Sache, die er vertreten will, keinen Gefallen. Einer der Betroffenen war Wolodymyr Selenskyj, der Guterres dafür kritisierte, dass er nicht bei dem von ihm organisierten Friedensgipfel in der Schweiz war, aber nun an der Veranstaltung mit Putin teilgenommen hat. Seiner Ansicht nach ist es dem russischen Präsidenten gelungen, der Welt die Botschaft zu übermitteln, dass er nach der Invasion keineswegs isoliert ist, trotz der intensiven Bemühungen des Westens. Putin befindet sich heute wahrscheinlich in seiner stärksten Phase seit Beginn der Invasion.“
Die Uno diskreditiert sich selbst
Deutliche Worte zu Guterres' Reise nach Kasan fand die Süddeutsche Zeitung schon, bevor diese definitiv feststand:
„Hier versammeln sich Handels- und Rohstoffmächte mit wachsendem Hang zu autoritärer Regierungsform, mangelnder Transparenz, regelwidriger Manipulationskraft und hoher Toleranz für Kriegsverbrecher aller Couleur. ... Dass der Kriegspräsident Wladimir Putin ungeachtet seiner völkerrechtlichen Verbrechen hofiert wird, zeugt vom Wertegerüst, das den Brics-Verbund stabilisiert. Sollte am Ende tatsächlich UN-Generalsekretär António Guterres dem Gipfel die Aufwartung machen, so wie zuletzt in Südafrika, dann kann man von einem Kipp-Punkt sprechen. Der höchste Repräsentant des Völkerrechts auf dem Forum des größten Völkerrechtsverächters – die Selbstdiskreditierung der Vereinten Nationen wäre perfekt.“
Guterres-Teilnahme ist wertvoll
Hämeen Sanomat bewertet die Anreise des UN-Generalsekretärs anders:
„Am Brics-Gipfel nehmen im Hinblick auf die internationale Sicherheitspolitik interessante Staaten teil. Russland spielt eine Schlüsselrolle im anhaltenden Ukrainekrieg. Der Iran ist eine Partei in der Nahostkrise. China übt politischen Druck auf Taiwan aus. Es ist daher sehr wertvoll, dass UN-Generalsekretär António Guterres an dem Treffen teilnimmt. Dies wird den Staats- und Regierungschefs der Brics-Staaten die Möglichkeit geben, nicht nur ihre wirtschaftlichen Bestrebungen zu erörtern und zu beeinflussen, sondern auch die Stabilität der weltweiten Sicherheitspolitik. Vorausgesetzt, Russland nutzt Guterres' Anwesenheit nicht für seine eigene Propaganda.“
Für den Kreml bisher eine Fehlinvestition
Laut The Insider hat der Kreml in den letzten zehn Jahren keinen Nutzen aus dem Brics-Bündnis ziehen können:
„Brics hat Russland wenig zu bieten. Die meisten Länder unterstützen mehr oder weniger stark die westlichen Sanktionen. Die 2014 für Investitionen in die Infrastruktur gegründete Brics-Bank weigert sich, neue Projekte in Russland in Betracht zu ziehen, wobei sie auf die Risiken eben jener Sanktionen verweist. Das ist die gleiche Brics-Bank, die laut den Erklärungen russischer Vertreter eine Alternative zum IWF werden sollte. Moskau versucht ständig, einzelne Brics-Mitglieder zu überzeugen, in die Schaffung unabhängiger Zahlungssysteme zu investieren, aber bisher zeigt nur der Iran aktives Interesse an solchen Projekten.“
Kaum jemand braucht eine Dollar-Alternative
Die Idee einer eigenen Brics-Währung findet zurzeit wenig Unterstützung unter den Mitgliedstaaten, schreibt Telegraf:
„Nur Russland unterliegt Sanktionen. Die Banken anderer Länder wollen nicht im selben Boot mit Russland sitzen. Jegliche Versuche, ein System zu schaffen, das die Beschränkungen des bestehenden Bankenmodells umgehen sollte, würden diese Länder in die unmittelbare Gefahr bringen, mit Sanktionen belegt zu werden. ... Und das alles, um den Handel mit Russland zu erleichtern? ... Eine neue Währung, ein Swift-Ersatz – all das sind die Bedürfnisse Moskaus, Irans und Nordkoreas. Aber nicht des Globalen Südens, wo es keine Probleme mit dem internationalen Finanzsystem gibt.“
Macht die Türkei wirklich mit?
Jutarnji list blickt auf den einzigen Nato-Staat, der in Kasan dabei ist:
„Russland möchte die Brics dazu ausnutzen, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der Russland und China die Rolle der Anführer der 'Länder der Dritten Welt' spielen, um diese so weit wie möglich aus dem Einflussbereich des Westens zu entfernen. ... Zum Treffen kommt auch Recep Tayyip Erdoğan, der einen Brics-Beitritt nicht ausschließt. Seine Entscheidung wird in Moskau sehnsüchtig erwartet, wo man den Beitritt eines wichtigen Nato-Mitglieds als wichtige Botschaft an den Westen sieht, gar als einen 'großen Schlag gegen die Nato'. So ist die Entscheidung der Türkei, deren Mitgliedschaft für Russland und China politisch wichtiger wäre als wirtschaftlich, eine der zentralen Fragen des Gipfels.“
Große Bühne für Putin
Kasan gibt Putin die perfekte Gelegenheit zur Imagepolitur, schreibt Corriere della Sera:
„Für den Diktator aus Moskau wird es eine Bühne sein, von der er nicht nur rhetorisch das westliche Narrativ seiner Isolation widerlegen kann, sondern auch eine führende Rolle in einer Organisation beanspruchen kann, die danach strebt, die durch zunehmende Fragmentierung gekennzeichnete neue Weltordnung zu beeinflussen. … Als sich die Brics 2006 zusammenschlossen, war die Skepsis groß, ob sie angesichts der großen Heterogenität ihrer Mitglieder Bestand haben und das internationale Gleichgewicht beeinflussen könnten. Tatsächlich aber sind sie zu einem obligatorischen Bezugspunkt für den sogenannten Globalen Süden geworden - die Galaxie derjenigen Länder, die sich von den traditionellen Formaten der Weltordnungspolitik ausgeschlossen fühlen.“
Zur G7-Konkurrenz ist es noch weit
Die Vereinigung leidet an Interessenkonflikten und mangelnder Abstimmung, beobachtet Le Temps:
„Diese Gruppe hätte auf den ersten Blick die Mittel, um die Organe des Multilateralismus zu ihren Gunsten auszugleichen. Doch in Wirklichkeit handelt es sich um eine heterogene Ansammlung von Ländern, die vor allem ihre eigenen Interessen verteidigen wollen und oft in einem konfliktreichen Verhältnis zueinander stehen, während sie gleichzeitig ihren Wunsch nach mehr Einfluss auf die Gestaltung der Weltgeschehnisse bekunden. ... Die Brics bezeichnen sich selbst als Gegenstück zur G7, dem Zusammenschluss der mächtigsten Industrieländer der Welt. Sie sind noch weit davon entfernt, die Kohärenz und Entschlossenheit der G7 zu besitzen.“
Westen sollte genau hinhören
Auch für den Rest der Welt ist das Treffen von Bedeutung, betont Kolumnist Pierre Haski im Radiosender France Inter:
„Was die Brics-Länder vereint, ist die Ablehnung einer Weltordnung, die dem Westen weiterhin einen zu großen Stellenwert einräumt. Doch nicht alle Mitglieder des Clubs wollen sie unbedingt durch eine chinesische Ordnung ersetzen oder Putin als Beschützer oder Hüter der Moral haben. Allerdings öffnen die Unmöglichkeit, die Weltordnung zu reformieren, sowie der durch den Nahost-Konflikt entstandene Eindruck einer westlichen Doppelmoral den Verfechtern der Brics Tür und Tor, angefangen bei China und dessen Übernahmeangebot für den 'Globalen Süden'. Daher sollte der Westen die Botschaft aus Kasan nicht ignorieren. Andernfalls droht er, in einer Welt aufzuwachen, die ihm entgleitet.“
Unvereinbare Interessen unter einem Dach?
Die Türkei hat als erster Nato-Staat einen Antrag auf Brics-Mitgliedschaft gestellt, der voraussichtlich auf dem Gipfel in Kasan angenommen wird. Der ehemalige Diplomat Özden Sanberk fragt sich in Yetkin Report, wie das zusammenpassen soll:
„Auf der einen Seite sehen wir westliche Bündnisse wie die EU, die Nato, den Europarat, die die Demokratie und den Menschen in den Mittelpunkt rücken, und auf der anderen Seite sehen wir die SOZ und Brics, deren Mitglieder Länder sind, die auf Macht und Gewaltherrschaft fokussiert sind. Daher bleibt es derzeit ein Rätsel, wie Staaten, die diesen beiden Gruppen unvereinbarer Systeme angehören, ihre Forderungen nach Mitgliedschaft in den regionalen oder globalen Vereinigungen des jeweils anderen Systems werden umsetzen können.“