Harris oder Trump? Endspurt aufs Weiße Haus
Am Dienstag fällt in den USA die Entscheidung, ob Kamala Harris oder Donald Trump die Supermacht in den nächsten vier Jahren als Präsident führen wird. Umfrage-Ergebnisse prognostizieren ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Europas Medien ziehen ihre Schlüsse aus dem Schlagabtausch des Wahlkampfs.
Zwei konträre Visionen zur Auswahl
Die Presse sieht zwei komplett unterschiedliche Weltanschauungen:
„Das Untergangsszenario Trumps verfängt bei den Wählern offenkundig mehr als die Vision von Hoffnung und einer besseren, gerechteren Zukunft. Gegen die harte Realität in den Supermärkten und Shopping Malls kommt auch die hochfliegende Rhetorik nicht an – und Kamala Harris ist nebenbei kein Barack Obama. Dass die US-Männerwelt – trotz einer Wahlempfehlung Arnold Schwarzeneggers – einer Frau mit obendrein multikulturellem Hintergrund das höchste Amt im Staat nicht zutraut, schwingt als Ressentiment mit. Noch ist die Wahl nicht gelaufen, doch die Dynamik spricht derzeit für ein Comeback Trumps und seiner düsteren Weltsicht.“
Umfragen nur begrenzt aussagekräftig
Auf die Kandidaten wartet noch ein paar Tage harter Arbeit, stellt Tvnet fest:
„Wählerbefragungen führen jeden Tag dazu, dass sich die Vorhersagen über die Wählerstimmen in den Swing-States ändern, sodass ein heute prognostizierter Vorsprung von zwei Stimmen für Harris kaum Bedeutung hat. Darüber hinaus haben die letzten beiden US-Präsidentschaftswahlen gezeigt, dass die Umfragen unverhältnismäßig ungünstig für Trump ausfallen – seine Anhänger zögern offenbar, ihre Präferenz in Umfragen zuzugeben. Gilt dieser Trend auch für diese Wahl, muss Harris in den kommenden Tagen hart arbeiten, um einen überzeugenderen Vorsprung zu erzielen.“
Dagegen statt dafür
Die Wahlen verlieren zunehmend ihre eigentliche Bedeutung, klagt La Stampa:
„Jeder betritt das Wahllokal mit der Absicht oder zumindest dem Wunsch, sein Leben zu verbessern, in der Hoffnung, dass das Kreuz auf einem Symbol zu mehr Wohlstand, mehr Rechten und manchmal auch zu mehr Freiheit führt. Zumindest in der Theorie. Denn in unserem Westen, aber nicht nur dort, nimmt eine andere Motivation zu: wählen, um den Sieg eines unliebsamen Kandidaten zu verhindern. Dies ist ein immer häufigeres Thema in den Wahlkämpfen einer Politik, die richtungslos zu sein scheint und die, anstatt einen Kurs aufzuzeigen, lieber den gegnerischen Kapitän delegitimiert.“
Wer auch immer gewinnt – die Probleme bleiben
Für Sašo Ornik ändert das Votum der US-Wähler nichts Grundlegendes – und schon gar nichts zum Besseren, wie er in seinem Blog Jinov Svet schreibt:
„Sie können nur entscheiden, ob der Hauptgegner Russland oder China sein wird. ... Es bleiben eine militarisierte Polizei und überfüllte Gefängnisse. Die Armen werden immer noch arm sein und eine allgemeine Krankenversicherung bleibt ein unmögliches Unterfangen. Es werden immer noch viele Ausländer in die USA kommen, weil die Wirtschaft sie braucht, und der einzige Unterschied wird darin bestehen, ob sie über legale Programme kommen oder illegal über die Grenze geschmuggelt werden. Das Militärsystem wird weiterhin an erster Stelle stehen, es wird an Geld für die Infrastruktur fehlen. ... Nein, die Amerikaner werden sich am Dienstag nicht zwischen Faschismus und Kommunismus entscheiden.“
Die Lektion könnte bitter und blutig sein
Új Szó fürchtet einen Gewaltausbruch im Falle von Trumps Niederlage:
„Die konservative Maga-Bewegung [Make America Great Again] wäre mit ihrer derzeitigen Kommunikationsdynamik nicht in der Lage, dies zu akzeptieren. ... Müssen die demokratischen Gesellschaften leider von Zeit zu Zeit am eigenen Leib erfahren, dass die Hetze von heute sich morgen in echtes Blut verwandelt? Dass diese Gefahr im Zeitalter der Macht der Worte, vor allem im Zeitalter der sozialen Medien und der Echokammern, noch viel gravierender ist? Und dass es viele autoritäre Konkurrenten gibt, die von den gesellschaftlichen Debatten verursachte Wunden suchen, um Salz in sie zu streuen?“
Bedrohung der globalen Finanzstabilität
Eine Gemeinsamkeit beider Parteien sorgt Le Temps:
„Donald Trump hat die [internationalen] Feindseligkeiten durch die Einführung von Zollschranken zum Schutz der US-amerikanischen Produktion eröffnet, aber Biden ist von diesem Kurs nicht abgewichen. Beide Präsidenten haben den 'Buy American Act' verschärft. ... Biden hat sich auch dafür eingesetzt, die Unabhängigkeit der USA in Sektoren wie der Halbleiterindustrie wiederherzustellen. Trump verspricht für den Fall seiner Rückkehr bereits neue Zollschranken. Kamala Harris will ihrerseits um jeden Preis die Arbeitsplätze der Amerikaner schützen und gegenüber China die Dominanz des 21. Jahrhunderts sichern. Beide Parteien wollen ihr Programm auf Kosten höherer Staatsverschuldung umsetzen, was eine Bedrohung für die weltweite finanzielle Stabilität darstellt.“