Wie schwach ist die EU in der Krise?
Die Impfkampagne gegen Covid-19 nimmt in einigen EU-Ländern inzwischen Fahrt auf, trotzdem sind die Impfquoten im Vergleich zu den USA und Großbritannien immer noch gering. Der Wiederaufbauplan Next Generation EU für die Corona-geschwächte Wirtschaft wurde letztes Jahr zwar schnell verabschiedet, bisher floss aber kein einziger Euro. Grund für Selbstzweifel bei der EU? Kommentatoren sind uneins.
Austritt ist attraktiver geworden
Die EU sägt erfolgreich an dem Ast, auf dem sie selber sitzt, ist Jyllands-Posten besorgt:
„Das Geschacher um den Wiederaufbauplan kommt zu dem skandalösen Vorgehen bei den Impfungen hinzu, wo die Inkompetenz in Brüssel die EU hilflos hinter die USA und Großbritannien zurückfallen lässt. ... Ein Warnzeichen für die EU müssen auch die Meinungsumfragen sein, die in Großbritannien 100 Tage nach dem Brexit durchgeführt wurden. Zwei Drittel sehen den Grund für den Erfolg des britischen Impfprogramms darin, dass Großbritannien außerhalb der EU steht. ... Bei einem neuen Referendum würden 54 Prozent Ja zum Brexit sagen, 46 Prozent Nein. Wir können nur spekulieren, wie eine Abstimmung in den EU-Ländern jetzt ausfallen würde. “
Großbritannien und USA viel instabiler
Die EU steht nicht so schlecht da, wie viele derzeit meinen, analysiert Financial Times:
„Wenn man nach politischen Gemeinschaften sucht, die sich in 'großen Schwierigkeiten' befinden oder vom Auseinanderfallen bedroht sind, sind die USA und Großbritannien derzeit plausiblere Kandidaten als die EU. In den USA wurde kürzlich der Kongress von einem wütenden Mob gestürmt, und für eine der beiden großen politischen Parteien gelten Grundprinzipien der Demokratie nicht mehr. Großbritannien wiederum hat Probleme, mit der neuen Welle der Gewalt in Nordirland fertig zu werden und ein zweites Unabhängigkeitsreferendum in Schottland abzuwehren. Dabei droht das Land ein Drittel seines Territoriums zu verlieren. Im Vergleich dazu scheinen die Probleme der EU relativ harmlos zu sein.“
Kritik ist die beste Medizin
Die EU muss aus ihren Fehlern lernen, insistiert La Vanguardia:
„Die Glaubwürdigkeit der EU ist schwer angeschlagen. ... Das lässt auch Zweifel aufkommen an der zweiten großen Aufgabe, die die EU in diesem Jahr bewältigen muss: die Verteilung der vielen Millionen aus dem Wiederaufbauplan. ... Nach dem Fehltritt beim Impfen darf sich die Europäische Union keine weiteren Fehler leisten, sonst verliert sie in Augen vieler EU-Bürger ihren Sinn. Dies auszusprechen bedeutet nicht, antieuropäisch zu sein. Im Gegenteil. Selbstkritisch und streng zu sein, ist die beste Art und Weise, um ein starkes, funktionierendes, vereintes und achtbares Europa zu einzufordern und zu verhindern, dass man uns auf ein Sofa außerhalb der Bildfläche setzt.“