Dschihadisten vertreiben Regimekräfte aus Aleppo
Nach acht Jahren sind Rebellen zurück in der syrischen Stadt Aleppo. In kürzester Zeit hat ein von der Islamistenorganisation Hayat Tahrir al-Scham (HTS) geführtes Bündnis die Stadt im Norden des Landes eingenommen. Die HTS gilt als Nachfolgerin der an Al-Kaida angelehnten Al-Nusra-Front. Syriens Machthaber Baschar al-Assad hat bereits eine Gegenoffensive angekündigt. Die neuesten Entwicklungen drohen den Bürgerkrieg wieder anzuheizen.
Zeichen internationalen Versagens
Die internationale Gemeinschaft muss endlich aufwachen, fordert die katholische Zeitung La Croix:
„Es ist schwer zu sagen, wohin diese Bewegung führen könnte. Acht Jahre nach ihrer Niederlage löst die Rückkehr der Opposition in Aleppo eine Mischung aus Hoffnung und Schrecken aus, insbesondere bei der christlichen Minderheit der Stadt. Diese Kämpfe, die ersten in diesem Ausmaß seit 2020, verdeutlichen erneut das Versagen der internationalen Gemeinschaft, die trotz 13 Jahren Krieg und einer halben Million Toten nicht in der Lage ist, einen politischen Prozess zur Lösung des Syrienkonflikts durchzusetzen. Möge sie endlich aufwachen, um mit diesem Gefühl der Verlassenheit und des Krieges ohne Perspektive zu brechen, das so sehr an der Zivilbevölkerung zehrt.“
Explosive Mischung
Die Lage im Nahen Osten ist sehr gefährlich, warnt das Webportal Capital:
„Die Unfähigkeit Moskaus, [wegen des Ukraine-Kriegs] seine Präsenz in Syrien auf dem bisherigen strategisch notwendigen Niveau aufrechtzuerhalten, untergräbt die bislang aufgebauten Gleichgewichte und fördert die Neuausrichtung von Truppen in der Region. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten beobachten aufmerksam, aber völlig passiv, während China seine wirtschaftliche Präsenz weiter ausbaut und nach Möglichkeiten sucht, sie durch diplomatische Initiativen zu festigen. ... Die Spannungen nehmen von Stunde zu Stunde exponentiell zu, und das Fehlen einer klaren Strategie und eines starken Willens zur Durchsetzung des Friedens seitens der Großmächte schafft eine explosive Mischung.“
Assad muss fürchten, alleine zu stehen
Der Bürgerkrieg in Syrien war nie zu Ende, analysiert Politiken:
„Die explosive Entwicklung in Aleppo könnte ein Hinweis darauf sein, dass Assads Unterstützer – Russland, Hisbollah und Iran – es sich anders überlegt haben. Russlands Militär hat in der Ukraine viel zu tun. Die Hisbollah im Libanon ist teilweise zerstört. Der Iran selbst riskiert einen Krieg mit Israel. Assad hat also aus gutem Grund Angst davor, allein zu stehen. Der syrische Diktator wurde wieder in der Arabischen Liga willkommen geheißen. Aber keine arabische Regierung investiert ernsthaft in den Wiederaufbau Syriens. ... Die Entwicklung in Aleppo ist daher auch eine Erinnerung daran, dass Assad keine politische Lösung anbietet. Es ist umgekehrt. Assad steht dem Friedensprozess im Weg.“
Heikles Spiel der Türkei
Die Geschwindigkeit, mit der die Islamisten nun schon Richtung Damaskus vorstoßen, dürfte auch der Türkei Sorgen bereiten, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Eigentlich geht es der Türkei darum, Druck auf Assad auszuüben, um zu einer Vereinbarung über die Rückkehr syrischer Flüchtlinge und über ein Zurückdrängen kurdischer Autonomiebestrebungen zu kommen. An einem neu entbrannten Krieg, der womöglich neue Flüchtlingsströme auslöst, kann auch Ankara nicht gelegen sein. Es ist kein Zufall, dass es gerade jetzt zur Eskalation kommt, da der gewählte amerikanische Präsident Donald Trump sich auf seine Amtsübernahme vorbereitet. Die Türkei und die Rebellen wollen Fakten schaffen, solange Washington nur begrenzt handlungsfähig ist. Doch es ist ein heikles Spiel mit vielen Unbekannten.“