Gaza: Fortsetzung des Krieges ohne internationale Reaktion?
Seit Beendigung der Waffenruhe in Gaza hat das israelische Militär die Angriffe auf das Territorium ausgeweitet. In zehn Tagen starben dabei laut dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium rund 800 Menschen. In Israel demonstrierten Zehntausende gegen die Politik von Premier Benjamin Netanjahu. Mehrere Hundert Personen protestierten im Gazastreifen gegen die Hamas. Das Thema darf nicht in Vergessenheit geraten, warnt Europas Presse.
Feige Apathie gegenüber Massenmord
Europa schaut untätig zu, klagt der Politologe Hendrik Vos in seiner Kolumne in De Standaard:
„Es ist der apathische Konsens geworden: Ja nicht das Thema Gaza angehen, die Welt ist schon kompliziert genug. Wenn ein Journalist danach fragt, hört man die ganze Litanei. Dann wird geklagt wie ein zahnloser alter Pfarrer. Wir müssen den Kontext sehen. Es gibt keinen Konsens in der Regierung. Europa muss dieses und jenes tun. Die Vereinten Nationen müssen aktiv werden. Aber selbst etwas tun? ... Gaza ist ein Vernichtungslager geworden und Politiker auf allen Ebenen sind offensichtlich zu feige, zu blind, zu taub oder zu lahm, etwas dagegen zu unternehmen.“
Eine Entmenschlichung wie vor 200 Jahren
Dass die Gewaltspirale in Gaza international zu wenig Beachtung findet, findet Público:
„Das 'neue Europa' – Frankreich, Großbritannien und Deutschland – hat ein Kommuniqué herausgegeben, in dem es sein 'Entsetzen' über das Wiederaufflammen der Angriffe auf Gaza zum Ausdruck bringt. Aber weiter wird man wohl nicht gehen. Ähnlich äußerte sich der Europäische Rat vergangene Woche. ... Palästina steht am Ende der Versorgungskette der internationalen Empathie: Wir weinen um die Ukraine, aber für Gaza ist nichts mehr übrig. Es ist, als gäbe es eine Entmenschlichung der Palästinenser, die in den Augen des Westens wie Sklaven vor zwei Jahrhunderten betrachtet werden.“
Hut ab vor so viel Mut
Dass es in Gaza vermehrt zu Protesten gegen die Hamas-Führung kommt, lobt die taz:
„Es gehört wirklich viel Mut dazu, gerade in diesen Zeiten der Hamas die Stirn zu bieten. Verhaftung, Folter und gar der Tod könnten die Konsequenz sein. Die islamistische Führung geht mit mörderischer Brutalität gegen ihre Widersacher vor, auch wenn es sich um die eigenen Landsleute handelt. Selbst in friedlicheren Zeiten ließ die Hamas Palästinenser mit Säcken über dem Kopf kniend auf offener Straße erschießen, wenn der Verdacht der Kollaboration mit dem israelischen Feind bestand; ein Vorwurf, der auch vorgeschoben wurde, um homosexuelle Männer hinrichten zu lassen. Die mutigen Demonstranten strafen die Stimmen Lügen, die sagen, es gäbe keine Unschuldigen im Gazastreifen.“
Abschreckung reicht Israel nicht mehr aus
Es war auch der Terror-Angriff der Hamas, der mit zum Strategiewechsel Israels beigetragen hat, erinnert The Economist:
„Dieses neue hegemoniale Israel ist zum Teil das Ergebnis des anhaltenden Traumas des 7. Oktober. Vor dem Massaker versuchte Israel, einen umfassenden Konflikt zu vermeiden und begnügte sich mit regelmäßigen Angriffen auf seine Feinde, um bedrohliche Führer zu töten oder hochentwickelte Waffen zu zerstören. Wenn es in den Krieg zog, wie es mehrfach gegen die Hamas der Fall war, hielt es ihn kurz. Ziel war es, den Gegner abzuschrecken und zu schwächen, nicht ihn zu vernichten. Im Rückblick halten viele israelische Generäle und Geheimdienstler diese Politik für naiv. Sie sind nicht mehr bereit, auch nur hypothetische Bedrohungen an ihren Grenzen hinzunehmen.“
Einseitige Empathie als Richtschnur der Politik?
Die Süddeutsche Zeitung hinterfragt das Konzept von Israels Sicherheit als deutscher Staatsräson:
„Staatsräson bedeutet vor allem wieder Waffenlieferungen. Diese waren anfangs richtig, um Israel gegen die Hamas zu verteidigen. Sie sind jetzt falsch, weil eine weitgehend rechtsextreme israelische Regierung den Gazastreifen in Grund und Boden bombt – und sich der wegen Korruption angeklagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nur durch den endlosen Krieg an der Macht hält. ... [D]ie Staatsräson ist bequem. Sie verhindert unangenehme Fragen, begrenzt letztlich die Empathie auf eine Seite. ... Warum ist es eigentlich nicht deutsche Staatsräson, zu einer Friedenslösung zu finden?“