Streit über Europas Flüchtlingspolitik
Die EU-Außenminister planen eine Militärmission auf dem Mittelmeer, die Kommission schlägt eine Quotenregelung zur Verteilung von Migranten vor, die auf den Widerstand vieler Mitgliedsstaaten stößt. Europa muss die Masseneinwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen notfalls mit Gewalt stoppen, fordern einige Kommentatoren. Andere kritisieren eine solche Abschottungspolitik als niederträchtig.
Massenzuwanderung notfalls mit Gewalt stoppen
Beim größten Teil derjenigen, die übers Mittelmeer nach Europa gelangen wollen, handelt es sich nicht um Verfolgte, sondern um Wirtschaftsflüchtlinge und deshalb sollte die EU ihre Grenzen dicht machen, fordert die konservative Tageszeitung Irish Independent: "Es herrscht in dieser sich immer weiter entwickelnden Krise der große Irrglaube vor, dass wir es mit Flüchtlingen aus Syrien zu tun haben, die über Häfen in Libyen zu entkommen versuchen, und dass wir im Westen diesen Menschen irgendwie etwas schuldig sind. Beides trifft nicht zu. Schätzungen zufolge stammen 90 bis 95 Prozent jener, die die Reise riskieren, aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara wie dem Senegal, Mali und der Elfenbeinküste. Anders gesagt: Wir haben es hier schlicht mit einer illegalen Masseneinwanderung zu tun und wir müssen diese notfalls mit Gewalt stoppen, denn dies ist sowohl im Sinne Europas als auch im Sinne der Migranten selbst."
Europas Abschottung ist menschenverachtend
Die Forderung nach einer Abschottung Europas ist menschenverachtend und zudem schlichtweg naiv, erklärt die linksliberale Tageszeitung Der Bund: "Zunächst einmal zeugt es angesichts der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts von aussergewöhnlicher Niedertracht, selbst gegenüber den syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen oder den Opfern der Diktatur in Eritrea eine napoleonische Seeblockade zu fordern. ... Die Hunderttausenden, ja Millionen von Menschen aufzunehmen, die zu uns kommen wollen, das ist in der Tat unmöglich. Aber zu suggerieren, das Flüchtlingsproblem im Mittelmeer sei mit Ballermann-Parolen à la 'Abriegeln!' lösbar - zumal, ohne humanitäre und liberale Werte zu opfern -, ist dummdreist. Stattdessen sollten wir uns erstens damit abfinden, in Zukunft mehr Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Und zweitens erkennen, dass es für die Krise keine einfachen Lösungen gibt, sondern nur Versuche, nach dem Trial-and-Error-Prinzip Verbesserungen zu erzielen - für die Migranten und für die Empfangsländer."
Orbáns Populismus löst Flüchtlingsproblem nicht
Ungarns Premier Viktor Orbán hat am Montag für eine Schließung des Flüchtlingslagers in Debrecen im Osten des Landes plädiert und betont, dass seine Regierung, wenn es an ihr läge, keine Flüchtlinge mehr ins Land ließe. Ein völlig unangebrachter Vorstoß, kritisiert die konservative Wochenzeitung Heti Válasz: "Die Flüchtlinge werden weiterhin kommen, weil es nicht in unserer Macht steht, jene Umstände zu ändern, die diese Völkerwanderung ausgelöst haben. ... Ungeachtet dessen, dass die ungarische Regierung ein Auffanglager schließen lassen will - was ursprünglich eine Forderung der rechtsradikalen Partei Jobbik war - werden die Flüchtlinge bis auf Weiteres über die südliche Grenze nach Ungarn strömen. Diese Menschen werden weiterhin von der Polizei aufgegriffen und irgendwo untergebracht werden, wenn nicht in Debrecen, dann anderswo. Die Schließung des Lagers löst gewiss nicht das Problem."
Lettland braucht mehr statt weniger Einwanderung
Lettlands Regierung hat sich gegen eine Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU ausgesprochen - tatsächlich leidet das Land unter Abwanderung und droht ihm ein Arbeitskräftemangel, bemerkt die liberale Tageszeitung Diena: "In den letzten Jahren kamen eigentlich immer weniger Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben nach Lettland. Unser Problem ist im Gegenteil, dass die Zahl der lettischen Auswanderer steigt und die meisten nicht daran denken, so schnell zurückzukommen. ... Steigt die Produktivität im Land, werden die lokalen Arbeitskräfte nicht ausreichen. ... Die lettischen Politiker sollten sicherstellen, dass unser Land auch in fünfundzwanzig Jahren noch genug Einwohner hat, um den derzeit erreichten Lebensstandard halten zu können. Deshalb muss man über Ausländer in Lettland in einem anderen Ton diskutieren."