Soll EU Flüchtlinge in Türkei zurückschicken?
Die niederländische Regierung will die Flüchtlingszahlen drastisch senken: Sie schlägt vor, Bootsflüchtlinge direkt aus Griechenland in die Türkei zurückzuschicken. Im Gegenzug soll eine Kerngruppe von EU-Staaten 250.000 Asylsuchende direkt aufnehmen. In der Presse stößt der Vorstoß auf geteiltes Echo.
Verzweifelte kann man nicht aufhalten
Mindestens 39 Flüchtlinge sind am Samstag auf ihrem Weg nach Lesbos vor der türkischen Küste ertrunken. Der Plan der EU, Flüchtlinge in der Türkei zu halten, ist so unrealistisch wie unmenschlich, meint die konservative Tageszeitung Milliyet:
„Trotz schlechtester Wetterbedingungen geht die Reise in den Tod weiter. Denn diese Menschen haben nichts zu verlieren und sie zu überzeugen, ist sehr schwer. Das haben auch wir erfahren. So berichtete die Küstenwache im Herbst, dass sich die Flüchtlinge in den Schlauchbooten trotz aller Bemühungen und Warnungen einer Rückkehr widersetzten. Ja, sie hielten sogar ihre Babys in die Luft und drohten, sie ins Meer zu werfen. Deshalb ist die Drohung der EU, sie werde ihre Tore schließen und niemanden mehr aufnehmen ebenso unrealistisch wie ihr Beitrag von drei Millionen Euro, den sie an die Türkei geschickt hat, verbunden mit der Aufforderung, keine Flüchtlinge mehr zu schicken. Das Geld ist ohnehin noch nicht angekommen.“
Überlegen, was wir wirklich schaffen
Über den Vorschlag der Niederlande sollte ernsthaft nachgedacht werden, fordert die linke Tageszeitung taz:
„Wer das alles überwachen, steuern soll? [Der türkische Präsident] Erdoğan? Tja. Aber was ist die Alternative? Weiter abwarten, wie viele Menschen sich noch auf den Weg nach Europa machen, wo sie fast nirgends mehr willkommen sind? Womit wir bei den Deutschen wären. Wir müssen uns entscheiden. Wenn wir weiter unbegrenzte Aufnahmebereitschaft für alle Schutzbedürftigen signalisieren, müssen wir das allein schaffen. Alle anderen EU-Regierungen, auch die linken, sind dagegen - so wie 70 Prozent der Deutschen. Wir müssen uns deshalb überlegen, was wir wirklich schaffen, welche Pläne halbwegs realistisch und welche mehrheitsfähig sind. Wer weiter auf eine gerechte EU-Verteilung hofft, kann das versuchen. Politisch aussichtsreich ist es nicht.“
So kehren wir dem Massenmord den Rücken zu
Der von den Niederlanden am Donnerstag lancierte Plan widerspricht dem universalen Asylrecht, mahnt die linksliberale Tageszeitung De Morgen:
„Der Plan bedeutet faktisch das Ende der Genfer Flüchtlingskonvention, die jedem Kriegsflüchtling garantiert, in einem sicheren Land unterzukommen. Das ist ein hoher moralischer und menschlicher Preis. Außerdem lässt dieser Plan außer Acht, dass die Mehrheit der Asylsuchenden wirklich auf der Flucht vor realen Kriegen und Konflikten ist. Das große schwarze Höllenfeuer mit dem Namen Syrien wird weiter zehntausende Heimatlose ausspucken, wenn es nicht gelöscht wird. Die geplante Luftbrücke wird die Probleme dieser Menschen nicht lösen, sie löst höchstens unsere Probleme. Das ist eine elegante Art und Weise, dem täglichen Massenmord vor den Toren unseres sicheren Forts den Rücken zuzukehren.“
Plan bedroht Europas Zusammenhalt
Der Vorstoß der niederländischen Regierung zeigt, dass diese gar nicht mehr davon ausgeht, dass der EU gemeinsame Lösungen gelingen, analysiert die linksliberale Tageszeitung De Volkskrant:
„Auch wenn die Kommission am Donnerstag zur Reihe der Kritiker gehörte, hat sie in entscheidenden Punkten den gleichen Weg eingeschlagen wie die zwei Führer der niederländischen Koalition [Premier] Rutte und [der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende] Samsom. ... Auf eine Kerngruppe zu setzen ist bei so wichtigen Fragen wie der Flüchtlingskrise riskant. Damit wird der Boden bereitet für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, was schnell auf ein selektives Shoppen hinausläuft. Doch nach Ansicht von Samsom und Rutte ist dieses Risiko einem Laden mit leeren Auslagen vorzuziehen.“