Wie über Terror und Amok berichten?
Die jüngste Anschlagswelle in Europa und den USA haben Medien mit zahlreichen Eilmeldungen begleitet, die auch Spekulationen und Gerüchte enthielten. Die Geschwindigkeit der Ereignisse lässt Recherche und Reflexion kaum noch zu, klagen einige Kommentatoren. Andere fürchten eher, dass aus politischen Gründen zu wenig berichtet oder gar zensiert wird.
Deutsche Medien zensieren Flüchtlingsgegner
Einen Trend zur Zensur von Äußerungen gegen Merkels Flüchtlingspolitik in großen deutschen Medien sieht das Onlineportal e-vestnik:
„Kritische Äußerungen zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung werden leichterhand als ausländerfeindlich, rassistisch und neonazistisch abgestempelt. ... Die Leserforen der FAZ und anderer Zeitungen werden sorgsam zensiert. Unter den Artikeln stehen manchmal nur fünf Leserkommentare, während in britischen Zeitungen zum selben Thema häufig mehr als 500 Kommentare stehen, viele davon von deutschen Lesern. ... Deutsche aus der ehemaligen DDR, die den Kommunismus erlebt haben, schreiben darin, dass sie sich in die Zeit zurückversetzt fühlen, als die Deutsche Welle und ausländische Sender die einzigen Informationsquellen waren. Heute müsse man britische Zeitungen lesen und Russia Today schauen, um zu verstehen, was in Deutschland passiert.“
Sensationsgier beschädigt Journalismus
Die Berichterstattung über die jüngsten Terrorattentate zeigt, dass die Breaking-News-Manie der elektronischen Medien grundlegende journalistische Prinzipien bedroht, mahnt Jyllands-Posten:
„Natürlich soll über die Anschläge berichtet werden. ... Aber durch die Live-Berichterstattung, das Bestreben, der Erste zu sein, und die Sensationslust werden eine Reihe zentraler journalistischer Prinzipien verdrängt. ... Dazu gehören die Frage nach der Relevanz und Rücksicht auf die Opfer. Da wird spekuliert und orakelt, werden Gerüchte ohne auch nur den Versuch einer Nachprüfung verbreitet. ... Die Breaking-News-Kultur stellt hohe Anforderungen an Redakteure, die fähig sein sollten, sich auch mal auf die Zunge zu beißen und der Sensationslust zu entsagen - zugunsten einer rationalen Abwägung, wie massiv und wie lange über ein Ereignis berichtet werden soll.“
Medien fehlt Zeit zur Reflexion
In diesen Monaten mit ständig neuen Terrorattentaten bleibt für Journalisten kaum Zeit für ausführliche Recherche und Reflexion, bedauert auch die Türkei-Korrespondentin des griechischen Fenrsehsenders ERT, Ariana Ferentinou, in Hürriyet Daily News:
„Die unfassbare Geschwindigkeit, mit der wir Geschichten aufnehmen, von der sehr viele Menschen betroffen sind, ist besorgniserregend. Es gibt nicht mehr ausreichend Zeit oder Konzentration zur Recherche und Reflexion. So sind wir weniger beteiligt und immer weniger sensibilisiert, weil die nächste große Geschichte die vorherige aus unserem Gedächtnis verdrängt. ... Von ertrunkenen Flüchtlingen im Mittelmeer zu den Attacken 'depressiver' Irrer gegen Unschuldige in Nizza oder Berlin (sic!): Wir erleben eine alarmierende Beschleunigung abscheulicher Aktionen, die sehr schwer in einen ideologischen Kontext zu bringen sind. ... Ich wünschte wir hätten mehr Zeit, zu reflektieren, damit wir berichten und gleichzeitig unsere Erinnerung an vergangene Ereignisse bewahren können.“
Medien müssen Hass-Strategie durchbrechen
Auch die Tageszeitung Le Monde gehört zu denjenigen Medien, die keine Fotos mehr von Attentätern veröffentlichen wollen. Chefredakteur Jérôme Fenoglio erläutert warum:
„Zeigen sich die Unternehmen nicht verantwortungsbewusster, in deren Händen die sozialen Netzwerke, die neuen Massenmedien, liegen, wird es immer schwieriger, den Auswirkungen der Hassstrategie zu begegnen. Deren beste Verbündete - Gerüchte und Verschwörungen - stehen heute nämlich auf gleicher Stufe wie verlässliche und überprüfte Informationen. Websites und Zeitungen, die diese Infos produzieren, kommen ebenso wenig um gewisse Introspektionen herum. … Wenn wir die Hass-Strategie durchbrechen wollen, wenn wir siegen wollen, ohne uns aufzugeben, sind solche Reflexionen, Debatten und Anpassungen an die Vorgehensweisen eines Feindes, der alle Bräuche und Instrumente unseres modernen Lebens gegen uns richtet, unumgänglich. Schuldig sind wir sie allen Opfern der kriminellen Organisation, des sogenannten Islamischen Staats.“
Selbstzensur spielt Terroristen in die Hände
Weniger ausführlich über Attentäter zu berichten, um diesen keine mediale Bühne zu bieten, hält der Journalist Petre Iancu vom rumänischen Dienst der Deutschen Welle für falsch:
„Die Täter und ihr psychologisches Profil sind relevant. Das Publikum hat ein legitimes Interesse daran zu wissen, von wem es angegriffen wird und warum. ... In der Tat scheint es eine gute Idee zu sein, Terroristen und Psychopathen keine Medienplattform zu bieten, nach der sich die Narzissten sehnen. ... Doch dieses Argument ist falsch und es liefert dem Terrorismus viel Munition auf paradoxe Art: Es torpediert den Imperativ, Fanatikern nicht den Gefallen zu tun, wesentliche Grundrechte in Demokratien oder den westlichen Lebensstil abzuschaffen. Und die Pressefreiheit gehört dazu.“
Europa wird immer anfälliger für Gewalt
Publizistische Zurückhaltung was die Herkunft der Täter betrifft ist fehl am Platz, meint Göteborgs-Posten:
„Zumindest einige schwedische Zeitungen haben in den Berichten über die Taten jeweils den ethnischen Hintergrund der Täter genannt. Ist das relevant? Ja, denn viele dieser Taten sind schwer begreiflich, wenn man nicht weiß, wer der Täter war, und dessen selbst empfundenes soziales Außenseiterdasein nicht versteht. Dass die Motive und Erklärungen variieren und komplex sind, ändert daran nichts. Es ist weithin bekannt, dass soziologische, ideologische und individuelle psychologische Faktoren oft zusammenwirken. Wahnsinnstaten wird es immer geben. Aber Europas Politiker müssen auch mit einer Situation umgehen, in der die Zahl von Gewalttaten aufgrund zunehmender sozialer Ausgrenzung und wachsender ideologischer Konflikte markant anzusteigen droht.“
Medien nicht zur Waffe von Terroristen machen
Eine wachsame und kritische Berichterstattung ist in Zeiten der Panik mehr denn je von Nöten, mahnt Público:
„Zu einem Zeitpunkt, da man in Europa und der Welt bereits weiß, dass sich die Welle von Terroranschlägen, die vom IS geplant oder inspiriert werden, fortsetzen wird und dass jeder dieser Anschläge die größtmögliche Berichterstattung zum Ziel hat (nur so funktioniert Terrorismus), ist besondere Sorgfalt nötig. Nicht nur was die Art und Weise der Berichterstattung betrifft, sondern auch bei der unmittelbaren Einordnung jedes Falls. Ohne die Informationsfreiheit infrage zu stellen, muss man sich darüber im Klaren sein, dass Medien ohne jegliche Kriterien oder Ethik eine Waffe sind, die den Terroristen nutzt. Der Fall von München hat bestehende Klischees über den Haufen geworfen. Bedauerlicherweise wird es noch weitere Fälle geben - deshalb müssen wir wachsam bleiben.“
Nicht Twitter und Facebook das Feld überlassen
Die Medien ernten Kritik, weil sie trotz dürftiger Faktenlage nach dem Amoklauf in München stundenlang berichteten. Warum das dennoch richtig ist, erklärt die Tageszeitung die Welt:
„Es ist nicht Aufgabe der Medien, zu schweigen, bis das letzte Detail einer Sache geklärt ist, es ist Aufgabe der Medien zu berichten, gerade dann, wenn eine Lage verworren ist. Mit aller Vorsicht, mit aller Zurückhaltung, versteht sich. ... Was wäre denn die Alternative? Nichts zu schreiben? Nicht zu berichten? Den Gerüchteverbreitern bei Twitter und Facebook, in Blogs und Foren das Feld zu überlassen? ... Nein, es ist richtig, wenn professionelle Medien diesem Feld nicht fernbleiben. ... Es ist eben auch geboten zu sagen, was man nicht weiß, auch das gehört zu einer seriösen Berichterstattung. Das haben am Freitagabend fast alle Medien so gehalten. Genau das unterscheidet sie von dem, was in den sogenannten sozialen Medien im Sekundentakt passierte.“
Zirkus in den sozialen Netzwerken ist gefährlich
Vor allem die Akteure in den sozialen Netzwerken haben das Blutbad von München so begleitet, dass sie damit Terroristen in die Hände spielen, klagt Avvenire:
„Mit der dauerhaften Wiederholung der Schüsse des Attentäters als Untermalung der Berichterstattung über die Tat hat man unbewusst der terroristischen Propaganda einen großen Gefallen getan. ... Es waren aber überwiegend eben nicht die Journalisten, die Lügen, vermeintliche Nachrichten, manipulierte Videos und Fotos in Umlauf brachten. Es waren vor allem die vielen Teilnehmer des großen Netzwerkspiels der Do-it-yourself-Information. Diesem Zirkus muss eine Ende bereitet werden. Unsere Zivilgesellschaft benötigt ausnahmslos und mehr denn je Achtsamkeit, Entschlossenheit und einen kühlen Kopf. Nur so können wir weitere Terror-Bedrohungen bekämpfen. ... Es muss ein neues Kapitel geschrieben werden und eine entscheidende Rolle spielen dabei wir Journalisten.“