Neuer Schwung für die EU?
Nach dem Brexit-Referendum und angesichts von Wirtschaftsflaute und Terrorgefahr soll die EU zukunftsfähig gemacht werden. Das betonten Merkel, Renzi und Hollande auf ihrem Dreiergipfel vor der italienischen Küste. Viel Konkretes haben sie nicht entschieden, kritisieren Kommentatoren und fordern, dass bis zum EU-Gipfel in Bratislava Mitte September alle Mitgliedstaaten ins Boot geholt werden.
Große verbünden sich auf Kosten der Kleinen
Mit ihrem Gipfel haben die drei Länder die anderen EU-Staaten brüskiert, schimpft der Irish Independent:
„Das Treffen wirkte wie ein Gipfel, der einen speziellen Klub innerhalb der weiteren EU-Organisation schaffen sollte - ein inneres Allerheiligstes, das entscheidet, was für Europa, aber vor allem für sich selbst das Beste ist. ... Auch wenn die drei Amigos das Gegenteil behaupten, bei dem Treffen ging es offensichtlich um Schadensbegrenzung. Wobei es nicht um Schaden ging, der in Ländern wie Irland oder Griechenland angerichtet wurde. Nein, hier kümmern sich die Großen um sich selbst. Die größte Stärke der EU ist die Schwäche jeder machbaren Alternative. Kein vernünftiger Mensch will, dass sich jedes Land in sich selbst zurückzieht und den Laden zumacht. Doch jeder, der hier aufgepasst hat, den muss ein derart offensichtlicher Ausschluss anderer Länder vom Gipfel in Ventotene verängstigen.“
Nun müssen alle Staaten ins Boot geholt werden
Schwerer als die Kompromissfindung auf dem Dreiergipfel in Italien wird die Überzeugungsarbeit gegenüber den anderen EU-Staaten auf dem Gipfel in Bratislava, glaubt die liberale Tageszeitung La Stampa:
„Das Treffen verzeichnet unterm Strich eine erste Einigung zur Migrationspolitik: Mehr europäische Verantwortung bei der Kontrolle der Einwanderung, inklusive Rückführungen. Zudem sollen Flüchtlinge auch in einem Nichtankunftsland Asyl beantragen können. ... Das ist nicht wenig. Doch jetzt kommt der härtere Teil: Die anderen 24 (oder 25, solange man Großbritannien mitzählt) müssen ebenfalls überzeugt werden. Der Minigipfel von Ventotene kann nur als Erfolg gedeutet werden, wenn die Ergebnisse am 16. September nach Bratislava getragen werden. Um alle an Bord zu holen, gibt es viel zu tun. Europa darf nicht länger ein Europa der zwei oder drei Geschwindigkeiten sein. Eine Einigung der Führungskräfte der wichtigsten Länder ist unabdingbar. Doch solche Einigungen dürfen nicht zur Regierungsmethode für die EU werden.“
Treffen ohne konkrete Ergebnisse
Enttäuscht vom Dreiergipfel auf Ventotene ist der Forscher für europäische Angelegenheiten, João Pedro Dias, in Diário Económico:
„Was bedeutet eine stärkere europäische Integration eigentlich? Etwa eine zunehmende Übertragung der Kompetenzen auf die EU? ... Oder die Minderung des Demokratiedefizits, das weiterhin einen wesentlichen Teil der institutionellen EU-Struktur charakterisiert? Nun, nichts wurde darüber gesagt oder erklärt. Doch das wäre wichtig gewesen. Die künftigen Herausforderungen, die auf Europa nach dem Brexit zukommen, können bestimmt nicht gelöst werden, solange man vage und allgemein über Prinzipien spricht, mit denen (fast) alle übereinstimmen - bis sie dann umgesetzt werden sollen. ... Es wäre wichtig gewesen, wenn aus diesem Dreiergipfel tatsächlich Handlungsoptionen herausgekommen wären - und nicht nur allgemeine Verlautbarungen.“
Allein Merkel kann Europa einen
Die Initiative der Bundeskanzlerin ist lobenswert, meint Jutarnji List:
„Wer, wenn nicht Merkel, soll denn eine EU ohne die Briten formen? Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat offensichtlich, angesichts ihrer Aktivitäten diese Woche, die Verantwortung übernommen, vor dem Gipfel in Bratislava die verschiedenen Standpunkte in der EU anzugleichen. Natürlich wird es unterschiedliche Meinungen geben, aber in den Schlüsselfragen muss Einheit herrschen. Vor allem geht es um den Brexit, aber nicht nur. So sehr auch der Rückhalt Merkels in Deutschland schwinden mag, ist sie auch weiterhin viel beliebter als die meisten ihrer Kollegen. Sie ist eine jener seltenen Politiker, die sich der öffentlichen Meinung wiedersetzt und nicht ihre Politik aufgegeben haben, um kurzfristig ihr Rating zu verbessern. Wer könnte sonst die Einheit Europas koordinieren, wenn nicht sie?“
Blockiert von nationalen Interessen
Weil die drei Politiker ihre nationalen Probleme im Gepäck hatten, konnte auf dem Treffen nach Ansicht von Il Sole 24 Ore keine gemeinsame Strategie entstehen:
„Italien unter Renzi hat das Ziel hoch gesteckt und strebt - nach der Zerreißprobe des Brexit - eine neue Union an, die Jugendlichen, Arbeitslosen, dem Wachstum, der Sicherheit, Immigration und Kultur mehr Aufmerksamkeit schenkt. Doch der Gastgeber ist, wie seine illustren Gäste, über seine nationale Agenda gestolpert. Im Falle Italiens bedeutet das, mehr Flexibilität aus dem EU-Stabilitätspakt herauszuholen. Die Erklärungen der Führungskräfte der drei stärksten Volkswirtschaften könnten Puzzlesteine sein, die sich in ein zweites Manifest von Ventotene zusammenfügen ließen. Allerdings hören sie sich eher an wie die unvermeidbaren Reflexe von Politikern, deren Nerven aufgrund der jeweiligen innenpolitischen Situation blank liegen.“
Heißer Herbst steht bevor
Das Treffen ist der Versuch von Merkel, Hollande und Renzi, der EU neuen Auftrieb zu verleihen, kommentiert Delo:
„Nach dem Abgang Großbritanniens hat sich Italien neben Frankreich und Deutschland positioniert. Früher hat man Italien seinen Platz neben den Großen verwehrt, doch innerhalb der neuen Kräfteverhältnisse ist das Land mit dabei. Somit ist Renzi zum Gewinner des Brexit geworden. Die Gespräche sollen den Weg zum EU-Gipfel Mitte September in Bratislava vorbereiten. ... Ganz oben auf der Agenda steht das Thema 'Europa nach dem Brexit'. Daneben sind auch das Wirtschaftswachstum, neuer Schwung für die europäischen Institutionen, Sicherheit und Migration wichtig. Obwohl alle krampfhaft bemüht sind, Einigkeit zu zeigen, gibt es große Unterschiede unter den größten Mitgliedstaaten. Renzi will weniger sparen, Merkel beharrt auf den Stabilitätspakt und Hollande ist vor allem an Sicherheit interessiert. Auf Europa wartet ein heißer politischer Herbst.“
Ventotene hilft Integration voranzutreiben
Das Treffen auf der historisch bedeutsamen Insel Ventotene hält El Periódico de Catalunya für wichtig und zukunftsweisend:
„Europa brennt nicht wie 1941 [als Altiero Spinelli sein Manifest zur Zukunft Europas schrieb], doch viele Grundwerte verschwinden im Sog der Wirtschaftskrise und des Kriegs vor den Toren Europas. Der Aufstieg des Populismus scheint unaufhaltsam, Grenzen werden geschlossen, der Brexit muss verarbeitet werden, unsere Städte haben Sicherheitsprobleme wegen der dschihadistischen Bedrohung, die Sparpolitik belastet die Bürger, Europa zeigt sich unfähig im Umgang mit der schweren Flüchtlingskrise - Europa erodiert. ... Deshalb ist Ventotene der richtige Ort, um die europäische Integration voranzutreiben. Das Treffen ist nicht entscheidend, aber es hilft den drei Ländern, vor dem [EU-] Gipfel in Bratislava [Mitte September] ihre Positionen zu klären. Deshalb ist der Geist von Ventotene heute wichtiger denn je.“
Merkel tourt für besseres Image durch Europa
Im Anschluss an den Dreiergipfel in Italien bricht Merkel zu einer Europa-Reise auf. Damit will sie aber nur ihr angeschlagenes Image in Europa polieren, kritisiert Duma:
„Am gestrigen Montag begann Merkel ihre Rundreise auf einer sonnigen Insel bei Neapel, wo sie auf die anderen Auserwählten - die Labertasche Hollande und den Spaßvogel Renzi - traf. Alle sollen wissen wer das neue Triumvirat der EU ist. … Nach Neapel macht Frau Angela eine Tour durch ausgewählte Hauptstädte Osteuropas, um den Vertrauensverlust wettzumachen, den sie in Deutschland und dem Westen erlitten hat. Bulgarien kommt an letzter Stelle. Sie wird uns nicht besuchen, doch sobald sie sich von den Strapazen der Tour erholt hat, wird sie die Machthabenden Bulgariens, Sloweniens, Kroatiens und Österreichs zu einem 'Arbeitstreffen' in ein Schloss bei Berlin zitieren. Sollten sich die 'Herbeizitierten' Solidarität oder gar Hilfe [in der Flüchtlingskrise] erhoffen, sind sie falsch gewickelt, denn so etwas wie Solidarität gibt es in der EU nicht.“
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