Was kommt nach der Mossul-Offensive?
Eine Woche, nachdem sie ihre Offensive auf Mossul gestartet haben, sind die irakische Armee und ihre Verbündeten nach eigenen Angaben nur noch 20 Kilometer von der Stadt entfernt. Die seit Monaten vorbereitete Eroberung der wichtigsten von der IS-Miliz beherrschten Stadt im Irak wird europaweit kommentiert, insbesondere mit Blick auf ihre langfristigen Folgen.
Blutbad zwischen Sunniten und Schiiten droht
Die internationale Gemeinschaft muss bei der Eroberung Mossuls unbedingt einen blutigen Kampf zwischen Schiiten und Sunniten verhindern, warnt Corriere della Sera:
„Wird die vornehmlich sunnitische Stadt wieder einem schiitisch orientierten Regime wie dem von Bagdad unterstellt, besteht das Risiko, dass erneut die Bedingungen geschaffen werden, die im Sommer 2014 zur Geburt der IS-Miliz geführt haben: ein blutiges Gemetzel zwischen Schiiten und Sunniten. ... General Fadhil al-Barwari, der die irakischen Truppen der Eroberung von Mossul kommandiert, hat sich schon beeilt, klarzustellen, dass die schiitischen Milizen von der einstigen IS-Hochburg ferngehalten werden sollen. Ein ähnliches Versprechen gab man Obama 2011, als Amerika seine Truppen aus Bagdad abzog. Damals ließ man den schiitischen Milizen freie Bahn, die Sunniten niederzumetzeln. Nur eine internationale Kontrolle der von Daesh befreiten Gebiete kann garantieren, dass die Dinge diesmal einen anderen Lauf nehmen als vor fünf Jahren.“
USA wollen IS nach Syrien abdrängen
Die Operation in Mossul muss man unter den Vorzeichen des immer komplizierter werdenden Szenarios in Syrien lesen, meint T24:
„Die USA und ihre Verbündeten haben erkannt, dass die syrische Armee ihre militärischen Ziele schneller als erwartet erreicht hat und in Aleppo kurz vor einem Ergebnis steht, seit Russland am Krieg beteiligt ist. Daher zielen sie nicht darauf ab, den IS in Mossul, der zweitgrößten Stadt des Irak, zu vernichten, sondern ihn über die von ihnen offen gelassene Westflanke der Stadt Richtung Syrien zu 'verscheuchen'. Auf diese Weise versuchen sie, dass die IS-Miliz im Osten des Landes die syrische Armee attackiert und damit Assads Truppen daran hindert, die Linie Aleppo-Palmyra nach Osten zu überschreiten. Ihr Kalkül ist es, den Syrien-Krieg in eine neue Phase eintreten zu lassen und mit Daesh an den militärischen Errungenschaften von Damaskus und Russland in dieser Region zu rütteln.“
Gleichsetzung Mossuls und Aleppos ist Propaganda
Putin-Anhänger empören sich insbesondere in den sozialen Netzwerken, dass der russische Präsident Kriegsverbrechen in Aleppo bezichtigt wird, obwohl der Westen mit der Bombardierung von Mossul nichts anderes mache. Der Vergleich ist reine Propaganda, erklärt Libération:
„Die Angriffe auf Aleppo und Mossul können nicht auf eine Stufe gestellt werden – auch wenn diejenigen, die uns vorgaukeln wollen, dass Russland eine strahlende Demokratie sei, dies behaupten. … Um das zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, bringen Putins Anhänger in einer verwirrenden Rhetorik, die einen Betrug der öffentlichen Meinung anstrebt, Kriege und Kriegsverbrechen gezielt durcheinander. Sie gehören der extremen Rechten, der Rechten und der extremen Linken an und wollen diejenigen, die gegen den IS kämpfen, zugunsten derjenigen diskreditieren, deren einziges Ziel der Machterhalt eines tyrannischen Regimes ist. Solche Sophismen müssen als das entlarvt werden, was sie sind: als Betrug im Dienste eines blutrünstigen Diktators.“
Kampf wird lang und grausam
Mit einem schnellen Ergebnis der Offensive auf Mossul rechnet Milliyet nicht:
„Wenn der IS die Stadt nicht verlässt, was wahrscheinlich ist, wird der Krieg in den Straßen und Häusern der Zivilisten ausgetragen werden. Die Architektur der Stadt ist für taktische Überraschungen sehr geeignet. Die Ausdehnung Mossuls und die Mauern um die Häuser herum sprechen dafür, dass die Gefechte in einem Labyrinth stattfinden werden. Das bedeutet sehr viele zivile Opfer, einen Vorteil für den Verteidiger und einen Nachteil für den Angreifer. Wenn man noch die Lernfähigkeit des IS, seine taktische Kreativität und die Tatsache hinzufügt, dass es ihm nicht an Motivation und Kampfmoral mangelt, dann ist klar, dass dieser Krieg lang und zerstörerisch wird. ... Zudem bereitet es Anlass zur Sorge, dass so eine beschwerliche und komplizierte Operation von der zweifelhaften 'irakischen Armee' geführt wird. Wir reden von Einheiten, deren Disziplin gering ist und die von militärischer Professionalität weit entfernt sind.“
Türkei verfolgt eigene Ziele
Die türkische Regierung beharrt auf einer Beteiligung an der Offensive auf Mossul aus humanitären Gründen, doch die kemalistische Tageszeitung Sözcü glaubt ihr kein Wort:
„Mossul wurde [2014] vom IS erobert, Mitarbeiter unseres Konsulats wurden als Geisel genommen. Doch sowohl dabei als auch beim Massaker an den Turkmenen von Mossul hat man nur zugeschaut! ... Die nun bezüglich Mossul vorgebrachten Notwendigkeiten dienen nur als Vorwand. Wie wunderbar: Eigentlich stecken hinter dieser nationalistischen Rhetorik nur innenpolitisches Kalkül und Spekulationen auf ein Präsidialsystem [in der Türkei]. Ach welche Sehnsucht kommt da auf nach der Außenpolitik der türkischen Republik vor AKP-Zeiten. Diese lässt sich mit Atatürks Leitspruch 'Frieden zu Hause, Frieden in der Welt' zusammenfassen.“
Kampf um Mossul verändert den Nahen Osten
Der Ausgang der Mossul-Offensive wird auch den Konflikt in Syrien beeinflussen, meint Maria João Tomás, Direktorin des Arabischen Hauses Portugal und schreibt in Diário de Noticias:
„Die Mossul-Offensive ist viel mehr, als nur ein einfacher Versuch, den selbsternannten 'Islamischen Staat' in einem seiner wichtigsten Bastionen zu besiegen. Was sich gerade in Mossul abspielt, muss in einem breiteren Kontext analysiert werden: Ein Sieg der kurdischen Peshmerga ist auch ein Sieg für die Sunniten und für alle Länder in der Region, die diese unterstützen. Schließlich hat sich der Krieg in Syrien auch in einen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten verwandelt – und was in Mossul passiert, wird dementsprechend auch in Syrien Folgen zeigen. ... Die Zukunft des Irak spielt sich gerade in Mossul ab - auch weil der berühmte Plan für eine Neugestaltung des Nahen Ostens noch am Leben ist. Und weil die Zersplitterung des Irak und Syriens immer noch die beste Lösung ist, um die berühmte 'Achse des Bösen' von Bush und Blair zu zerstören.“
Türkei hat Recht auf Selbstverteidigung
Der irakische Premier Haider al-Abadi hat sich gegen die Militärpräsenz der Türkei im Nordirak ausgesprochen. Doch die Türkei hat keine andere Wahl, als an der Befreiung von Mossul teilzunehmen, erklärt Hürriyet:
„Die Türkei hat ein legitimes Recht, sich gegen die Angriffe und Bedrohungen aus dem Irak, der sein Land der PKK überlassen hat, zu verteidigen. ... Außerdem ist die Türkei seit Beginn Teil der Anti-IS-Koalition und ein Land, das die meisten und effektivsten Luftangriffe, Artillerie und Panzerfeuer gegen IS-Ziele richtet. Der Kampf der Türkei gegen den IS entspringt nicht nur der Mitgliedschaft in der Koalition, sondern auch der Tatsache, dass das Land ein Opfer der blutigen Attentate dieser Terrororganisation ist und durch sie hunderte von Bürgern verloren hat. ... Die Türkei ist kein Feind des Iraks. Sie versucht nur, ihre innere Sicherheit und ihre Einheit zu schützen.“
EU braucht Plan für irakische Flüchtlinge
Durch die Kämpfe um Mossul ist mit vielen weiteren Flüchtlingen zu rechnen, für die die EU endlich ein Konzept braucht, fordert Dagens Nyheter:
„Was die Welt wirklich aus dem letzten Jahr der Flüchtlingskrise gelernt hat, ist unklar. Im Sommer 2015 versiegte die humanitäre Hilfe und die Not in den Flüchtlingslagern wuchs. Die wachsende Verzweiflung brachte viele im vergangenen Herbst dazu, über die Ägäis zu den griechischen Inseln zu flüchten. ... Nun scheint die EU zu glauben, dass sie ihre internen Probleme mit dem Türkeiabkommen gelöst hat. ... Die Vereinbarung bedeutet, dass die Regierung in Ankara Syrern Schutz bietet. Aber Flüchtlinge aus dem Irak erhalten kein Asyl bei Präsident Erdoğan. ... Die EU-Mitgliedstaaten müssen die humanitären Mittel finden, damit die Bevölkerung von Mossul nicht untergeht.“
Irak muss Schicksal selbst in die Hand nehmen
Nach einem Sieg über die IS-Miliz muss der Irak selbstbestimmt den Weg in eine friedliche Zukunft gestalten, erklärt La Libre Belgique:
„Der neue irakische Staat, der in der Nach-IS-Zeit entstehen muss, kann sich nicht damit zufrieden geben, ein revanchistischer Staat zu sein, wie er es seit dem Ende der US-Besatzung ist. Aktuell ist er nämlich ein Staat, in dem eine Regierung unter iranischem schiitischem Einfluss die Zügel in einem Land übernommen hat, das lange Zeit einem brutalen und blutigen sunnitischen Regime unterworfen war. … Zwar ist der Irak ein ethnisches und konfessionelles Konglomerat, doch ist er auch ein reicher Ölproduzent und hat somit die Mittel zum Erreichen seiner Ziele. Voraussetzung ist allerdings, dass er sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und sich anstrengt, Reformen umzusetzen. Dabei muss er seinen eigenen Weg gehen, seine eigenen Interessen verfolgen und sich von Partikularinteressen - einschließlich religiöser und dogmatischer - fernhalten. So kann er Frieden erlangen.“
USA müssen sich im Irak mehr engagieren
Ob es im Irak einen dauerhaften Frieden geben wird, hängt stark vom künftigen Engagement der USA ab, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:
„Eine Niederlage des IS in Mosul würde ... weder das Ende der islamistischen Ideologie noch das des sunnitischen Widerstands im Irak bedeuten. Um diesen im Zweistromland den Nährboden zu entziehen, muss die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad den Sunniten die Hand für eine politische Aussöhnung reichen. Auch der Konflikt mit den Kurden lässt sich nur durch den Willen zu schmerzhaften, aber pragmatischen Kompromissen lösen. Ob eine solch positive Wende im Irak möglich ist, wird ... von der Bereitschaft der USA abhängen, mehr Zeit und diplomatische Energie in das Land zu investieren als nach 2011. Eine möglichst schnelle Entscheidungsschlacht um Mosul mit wenigen zivilen Opfern könnte dazu hilfreich sein. Moralisch wäre dies nicht nur für Präsident Obamas oft kritisierte Nahoststrategie wichtig, sondern insbesondere auch mit Blick auf den Streit mit Russland um dessen Vorgehen in Aleppo.“
Sieg über IS löst Probleme nicht
Dass der Kampf um Mossul die Interessenkonflikte der Kriegsparteien, die an der Schlacht gegen die IS-Miliz beteiligt sind, verschärfen könnte, fürchtet The Guardian:
„Die Offensive auf Mossul wurde von einer ganzen Reihe verschiedener mächtiger und schwer bewaffneter Gruppen gestartet - und diese haben gegensätzliche Ansichten und Ziele. Jede einzelne von ihnen betrachtet ihren Einfluss auf die Provinz und deren Kontrolle als mögliches Druckmittel in den ungeklärten Streitigkeiten, die es zwischen diesen Gruppen seit vielen Jahren gibt. Dabei geht es um Land, Beteiligung an der Macht und irakische Energieressourcen. ... Die Umstände, die der IS-Miliz ihren Aufstieg erst ermöglicht haben, sind immer noch gegeben. Sie haben sich in den vergangenen zwei Jahren, seit der Machtübernahme der Dschihadisten in Mossul im Jahr 2014 eher noch verschärft als abgeschwächt.“
Operation dient dem Westen nur als Vorwand
Die Offensive in Mossul sieht nach Anti-Terror-Kampf aus, doch der Westen führt sie mit anderen Hintergedanken, versichert Milliyet:
„Die in dieser Woche begonnene Operation soll nicht bloß Mossul vom IS säubern. Wenn wir bedenken, wie, mit welchem Ziel und von wem der IS einst dort platziert wurde, dann sehen wir, dass die jetzige Operation dort anstelle des IS, der seine Funktion erfüllt hat, nun eine neue Kolonialherrschaft schaffen soll. Und selbst wenn das nicht zutrifft, erkennt und erklärt die Türkei, dass diese Offensive zum Ziel hat, in der Region einen Konfessionskrieg zu entfachen, deren Ende ungewiss ist. Die gestrige Aussage von Staatspräsident Erdoğan, dass die Türkei in Mossul bei der Operation und am Verhandlungstisch dabei sein wird, bringt dieses Bewusstsein zum Ausdruck.“
Mehr Anschläge in Europa sind wahrscheinlich
Mit den militärischen Erfolgen im Kampf gegen den IS (arabisch Daesh) steigt die Terrorgefahr in Europa, warnt die Wiener Zeitung:
„Europäische Nachrichtendienste gehen davon aus, dass Daeshs Rückschläge in Syrien und im Irak zu Anschlagsserien im Westen führen werden, um damit größtmögliche Panik zu erzielen. Besonders hingewiesen wird auf Studien, wonach zwischen elf und 25 Prozent der zurückgekehrten Auslandskämpfer später zu Terroristen geworden seien. Die Angst vor IS-Rückkehrern ist auch in Westeuropa, etwa in Frankreich, Belgien und Deutschland groß. Denn diese Kämpfer sehen sich als das 'Vermächtnis' des IS. Viele von ihnen würden bewusst dorthin zurückgehen, von wo aus sie aufgebrochen waren. Ihr Motto lautet: 'Wenn es im IS-Gebiet nicht geklappt hat, dann muss es zumindest woanders klappen.'“
Mehr Meinungen