Wie soll sich die EU gegenüber Moskau verhalten?
Die EU-Außenminister wollen vorerst keine neuen Sanktionen gegen Moskau verhängen. Sie verurteilten jedoch am Montag in Luxemburg die russischen Luftangriffe in Aleppo scharf. Vergangene Woche hatte Putin einen Besuch in Paris abgesagt, nachdem Hollande das Agieren Moskaus in Syrien als Kriegsverbrechen bezeichnet hatte. Auch die Presse kann sich nicht auf die richtige Strategie im Umgang mit Russland einigen.
Sanktionen müssen Russland wirklich wehtun
Zu weit schärferen Maßnahmen gegen Russland als bisher ruft das Handelsblatt die EU auf:
„Es ist ... schlicht falsch, wenn behauptet wird, Sanktionen bewirkten nichts. Das stimmt nicht in Hinblick auf Iran, das Südafrika der Apartheid und auf Putins Reich. ... Dass die Sanktionen noch keine politische Wirkung im Kreml entfalten, wohl aber wachsenden Unmut in der Bevölkerung über die hohe Inflation, liegt daran, dass die bisherigen Strafmaßnahmen wegen Moskaus Ukraine-Intervention eher symbolischer Natur sind. Wer Russlands Führung wehtun will, muss russische Banken aus dem Swift-Zahlungssystem werfen, die Lieferung von High-Tech-Ausrüstung ebenso verbieten wie den Bau der geplanten neuen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. ... Ist uns das Sterben von 250.000 im syrischen Ost-Aleppo eingekesselten Menschen wert, unsere Beziehungen zu Russland auf Permafrostniveau abzukühlen? Zusehen, 'auf das Schärfste verurteilen' und zum 'Waffenstillstand aufrufen' und dabei das Morden weiter mit anzusehen ist jedenfalls nicht alternativlos.“
Integration ist wirksamer als Strafen
Der Machthunger Moskaus lässt sich durch einen immer weiter gehenden Ausschluss nicht bändigen, erklärt hingegen der Politologe Bertrand Badie in Le Point:
„Die wiederholten Strafen und das mehrfache Ausweichen gegenüber einem arroganten Russland, das offensichtlich an einem gern und häufig beklagten Machtmangel leidet, haben dem leidenden syrischen Volk nichts gebracht. Das Zarenreich, das von den auf eine G7-Runde geschrumpften G8 ausgeschlossen und mit Sanktionen auf seine Importe und Exporte bestraft wurde, die auch unserer Landwirtschaft schaden, nutzt den ihm auferlegten Ausschluss dazu, seine Macht zurückzuerlangen. Die Geschichte hat allerdings gezeigt, dass nur eine durchdachte Integration solche Gelüste wirksam eindämmen kann. Da wir davon noch weit entfernt sind, müssen wir für die Zukunft Schlimmstes befürchten. In der Zwischenzeit sollten wir die Diplomatie zu neuem Leben erwecken.“
Kontensperrung ist Angriff auf Meinungsfreiheit
Das britische Geldhaus NatWest hat angekündigt, das Konto des russischen Auslandssenders Russia Today ab Dezember zu schließen. Gründe dafür nannte es nicht. Die prorussische Tageszeitung Duma wertet das als Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit:
„Vor dreißig Jahren verhinderte die von den Briten verhasste UdSSR den Empfang 'feindlicher Propaganda' mit Störsendern. Jetzt werden die Rollen offenbar getauscht. … Die Regeln des Westens gelten nur, solange sie dem Westen selbst in die Hände spielen. Sobald sie sich gegen die eigenen Interessen richten, werden sie kurzerhand ignoriert und man tut so, als hätten sie nie existiert. … Das ist die Realität. Damit müssen wir uns auseinandersetzen und nicht mit irgendwelchen Märchen von der guten westlichen Welt. Solange man der westlichen Welt mit etwas drohen kann, kann man sie in Schach halten. Man kann sogar irgendwelche Friedensabkommen mit ihr schließen - auf Zeit. Fällt die Drohung aber weg, muss man ihre Doppelmoral dulden und sogar so tun als ließe man sich gern verarschen.“
Gegen Russland hilft nur klare Kante
Russland ist mit allen Wassern gewaschen, weshalb ein robustes Vorgehen der EU vonnöten ist, meint Jyllands-Posten:
„Die russischen Versuche, die EU und die Nato zu unterminieren, spielen sich auf mehreren Ebenen ab. ... Russland hat eine systematische Beeinflussungsstrategie entwickelt, die man aus dem Kalten Krieg kennt. Man findet einen nützlichen Idioten, gerne auch mehrere, die sich in der Art und Weise öffentlich bemerkbar machen, die in den russischen Kram passt. ... Nun zeichnet es sich zum Glück ab, dass Donald Trump nicht der nächste US-Präsident wird. Ob er ein nützlicher Idiot oder Putins Handlanger geworden wäre, wissen wir nicht mit Sicherheit, aber ein Faktum ist, dass Trump mit ganz gefährlichem Feuer gespielt hat, als er begann, die Grundlagen der Nato in Frage zu stellen. ... Die Erfahrungen zeigen, dass Russland nur eine Sprache versteht. Und die muss direkt, zielgerichtet, konsequent und ohne westliche Haken sein.“
Mit Kriegsverbrechern ist nicht zu verhandeln
Diejenigen, die Verhandlungen mit Moskau fordern, sind auf dem Holzweg, meint der Politologe Nicolas Tenzer in La Tribune:
„Welches Vertrauen können wir einem Regierenden entgegenbringen, der sich der schlimmsten Kriegsverbrechen schuldig macht? Kann man ernsthaft glauben, dass er zu den Verbrechen nicht noch Lügen hinzufügt? Und kann man davon ausgehen, dass Verhandlungen ihm wirklich keine Gelegenheit bieten, weitere Verbrechen zu begehen oder sich zu stärken, bevor er rückfällig wird? Jegliche Verhandlung in diesem Sinne ist reinster Bluff, eine Operation ohne Zukunft, die Garantie für eine Schwächung. Dies hat sich im Fall der Verhandlungen zwischen den USA und Russland gezeigt, die nicht nur zum strategischen Debakel der USA in Syrien geführt haben, sondern auch die von Barack Obama auf dem Tablett servierte Möglichkeit hervorgebracht haben, künftig weitere Verbrechen zu begehen.“
Besonnen aber hart gegenüber dem Kreml sein
Für eine Ausweitung der EU-Sanktionen gegen Russland spricht sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus:
„Niemand im Westen hat schlüssige Konzepte dafür, wie man dieser auf Destruktion ausgelegten russischen Politik entgegentreten kann, ohne Gefahr zu laufen, in eine womöglich nicht mehr zu bremsende Spirale von Eskalationen einzutreten. Der Kreml baut auf diese Hilflosigkeit. ... Auch wenn es nach Ohnmacht aussieht: Angesichts der Kriegshysterie, welche die gelenkten russischen Staatsmedien verbreiten, ist es wichtig, nicht mit den Mitteln und dem Ton des Kremls zu antworten. Das bedeutet nicht Appeasement: Auch besonnene Antworten können hart und unmissverständlich formuliert werden. Zu diesen Antworten sollten bald auch neue Sanktionen gegen Russland zählen. Nicht weil es eine ernsthafte Hoffnung gäbe, damit die russische Politik zu ändern, sondern um dem Kreml deutlich zu machen, dass er für sein Vorgehen einen steigenden Preis zahlen muss.“
Nicht zum Massaker in Aleppo schweigen
Die EU muss sich geschlossen hinter den französischen Präsidenten stellen, fordert der Politikwissenschaftler Vittorio E. Parsi in Il Sole 24 Ore:
„Die französische Position (der die anderen Staaten der Union ihren Rückhalt nicht verweigern sollten) ist einfach und kohärent: Die Unterstützung von Putin für das Assad-Regime kann nicht so weit gehen, militärische Hilfe und politische Deckung für das vorsätzliche Massaker an der Zivilbevölkerung im Osten von Aleppo zu liefern. Hier geht es nicht mehr um unterschiedliche Interessen und Positionen bezüglich der Zukunft des syrischen Präsidenten und seines Regimes im Syrien nach dem Bürgerkrieg. Es geht darum klarzustellen, dass dieses Vorgehen ein Verbrechen gegen die Menschheit ist, das sich unvermeidbar verheerend auf die Beziehung zwischen Frankreich (und Europa) und Russland auswirkt. ... Wie unpopulär Hollande auch sein mag, er hat Recht zu betonen, dass die Vorgehensweise Russlands in Syrien absolut inakzeptabel ist. Und wehe aus Europa erheben sich opportunistische Ja-Aber-Stimmen.“
Diplomatie heißt, auch mit den Parias zu reden
Hollande sollte sich gegenüber Putin nicht als moralischer Lehrmeister aufführen, schimpft L'Opinion:
„Keine der großen Krisen kann ohne Russland gelöst werden, und gegen dessen Willen schon gar nicht. Diplomatie besteht nicht nur darin, mit seinen Freunden zu kommunizieren: Sie dient dazu, mit allen zu sprechen, die zählen, seien sie auch noch so unliebenswürdig. François Hollande hat Kriegsverbrechen und den Internationalen Strafgerichtshofs erwähnt und dabei auf den Kreml gezielt. Diese Themen gehören jedoch in Reden von NGO-Leitern und nicht in die eines Staatschefs. Wenn politische Aussagen sich in moralische Mahnungen flüchten, drücken sie nichts anderes als Ohnmacht aus. Wie es eine der Größen der französischen Diplomatie gesagt hat, 'ist die Abkopplung Frankreichs nunmehr unvermeidbar'. Die französisch-russische Schmach illustriert dies auf traurige Weise.“
Putin tanzt dem Westen auf der Nase herum
Die Absage zeigt die Stärke Putins, meint der Kurier:
„Das Ganze erinnert an ein Katz-und-Maus-Spiel mit vertauschten Rollen: Der Westen ist die halb ohnmächtige Katze, die Putin zur Raison bringen will; und der Russe ist die mächtige Maus, die seinem Jäger nach Belieben und immer ungehemmter auf der Nase tanzt. Die Sanktionen, die der Westen wegen der Annexion der Krim ergriffen hat, haben den neuzeitlichen Zaren wenig beeindruckt, im Gegenteil: Seit einem Jahr bombt er ohne jede Rücksicht für Syriens Präsident Assad, zuletzt so heftig wie nie. ... Dagegen steht eine unter Barack Obama sträflich schwache US-Außenpolitik, ein Sanktionen ja/Sanktionen nein/Gespräche bitte der Europäer, und der russische Präsident lacht sich eins: Er kann durch die momentane Weltgeschichte tanzen, wie ihm beliebt.“
Russland heute ist nicht die Sowjetunion
In der Diskussion über den richtigen Umgang mit Russland wird immer wieder Bezug auf die bundesdeutsche Ostpolitik der 1970er und 1980er Jahre genommen, die eine Entspannung mit der Sowjetunion zum Ziel hatte. Wer heute jedoch wieder darauf setzt, übersieht einen wichtigen Unterschied, analysiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Die Ostpolitik ... trug zum Frieden in Europa bei und erleichterte zwischenmenschliche Kontakte, aber ihre Geschäftsgrundlage war zugleich die Erhaltung der Stabilität der Diktaturen jenseits des Eisernen Vorhangs. Der wesentliche Unterschied zwischen der späten Sowjetunion und Putins Regime ist, dass dieses nicht eine Einflusssphäre zu erhalten, sondern zurückzuerobern versucht. ... In einem friedlichen Wettlauf mit dem Westen aber ist Russland heute so hoffnungslos unterlegen wie damals die Sowjetunion. ... Diesen Nachteil will Putin kompensieren, indem er seine Gegner im Inneren zu schwächen versucht, aggressiver auftritt und größere Gewalt- und Risikobereitschaft als der Westen zeigt.“