Beeinflusst das FBI den US-Wahlkampf?
Neue FBI-Ermittlungen in der Affäre um die dienstliche Nutzung eines privaten Servers bringen US-Präsidentschaftskandidatin Clinton kurz vor Wahlkampfende in Bedrängnis. Einige Kommentatoren werfen dem FBI-Chef vor, eigenmächtig und eitel gehandelt zu haben. Andere finden den Umgang der Parteien mit dem Justizapparat unangebracht.
Moralische Wichtigtuerei des FBI
Mit der Ankündigung, wieder in Clintons E-Mail-Affäre zu ermitteln, habe der FBI-Chef voreilig und aus eitlen Motiven agiert, meint der Irish Examiner:
„Comeys Verhalten hat den Vertretern verschiedener politischer Couleur deutlich gemacht, dass ein Beamter durch das Ausleben von selbstherrlicher moralischer Eitelkeit großen Schaden anrichten kann. ... Vielleicht ist es nun, nachdem sich der FBI-Direktor mit beiden politischen Parteien angelegt und damit jedem bewiesen hat, wie tugendhaft vorsichtig und unparteiisch er ist, an der Zeit, nochmals etwas Selbstkorrektur auszuüben: Warum kehren wir nicht zur traditionellen Aufgabenverteilung zurück in der ein Staatsanwalt entscheidet, ob er Anklage erhebt und das nachdem Ermittler ermittelt haben und die Ergebnisse vorliegen? Dann können Staatsanwälte, wie es traditionell ihre Aufgabe ist, entweder Anklage erheben oder die Klappe halten - ohne Pressekonferenzen und öffentliche Selbstrechtfertigungen.“
Parteien treten US-Justiz mit Füßen
Die beiden großen Parteien erkennen die Autorität des FBI nicht mehr an, beobachtet die Neue Zürcher Zeitung besorgt:
„Nachdem Comey bekanntgemacht hatte, dass Clinton kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten nachgewiesen werden könne, atmeten die Demokraten auf und priesen die Unabhängigkeit des FBI-Chefs. ... Jetzt, da der FBI-Chef Clintons E-Mail-Affäre wieder ins Rollen gebracht hat, preisen ihn die Republikaner und verteufeln ihn die Demokraten. ... Man mag sich uneins darüber sein, ob Comey den richtigen Weg aus der Zwickmühle gewählt hat oder ob er bei der Entscheidung besser auf den Rat seiner Vorgesetzten wie Kollegen gehört und zugewartet hätte. Doch für das Ansehen des gesamten Justizapparats ist es nachhaltig schädlich, wenn die zwei führenden Parteien seine Autorität mit Füßen treten, sobald die Entscheide nicht in ihre Wahlkampfstrategien passen. Zu beobachten, wie leichtfertig dies geschieht, ist die eigentliche, erschreckende Überraschung in diesem Wahlherbst.“
Clintons Sieg ist nicht in Gefahr
Dass die neuen FBI-Ermittlungen gegen Clinton ihren Wahlsieg gefährden, glaubt Kainuun Sanomat nicht:
„Die E-Mail-Untersuchung in der Schlussphase kann dazu führen, dass Trump von den großen Bundesstaaten Texas und Florida gewinnt, wo das Rennen bisher überraschend ausgeglichen war. In der Vergangenheit war sogar darüber spekuliert worden, dass das ausgeprägt republikanische Texas diesmal an die Demokraten fallen könnte. ... Um zu gewinnen, muss Trump aber die Unterstützung aller Swing-States bekommen. Wenn das geschehen und Clinton noch einige Staaten verlieren würde, die jetzt stärker zu ihr tendieren, würde Trump vom Verlierer zum Präsidenten aufsteigen. Aber bei den Wettbüros gilt Clintons Sieg noch immer als sicher. Trumps Siegeschancen liegen dagegen laut abgeschlossener Wetten bei höchstens 33 Prozent.“
Düstere Aussichten für Demokratin
Die E-Mail-Affäre könnte auch über den Wahlkampf hinaus verheerende Konsequenzen für Hillary Clinton haben, analysiert Le Point:
„Bislang ist es Clinton gelungen, geschickt zu lavieren, nicht zu verhängnisvolle Geständnisse zu machen und ihren Kontrahenten ebenso wie dessen russischen 'Komplizen' zu beschuldigen, unwürdige Methoden zu verwenden, um gegen sie Anklage zu erheben. Es bleiben zwar nur noch [wenige] Tage bis zur Wahl, doch ist die demokratische Kandidatin nicht sicher vor einer belastenden Enthüllung, die ihr Verteidigungssystem zerstören und die Karten neu mischen würde. Und vor allem wird der Kongress - sollte er nicht vollständig von ihrem Lager dominiert werden, was unwahrscheinlich ist - ihr selbst nach ihrer Wahl das Leben monate-, wenn nicht gar jahrelang schwer machen.“
Neue Ermittlungen sind unumgänglich
FBI-Chef James Comey hatte keine andere Wahl, als weitere Ermittlungen gegen Hillary Clinton anzukündigen, meint Sme:
„Die explosiven Ermittlungen, die im Sommer bereits eingestellt wurden, sind plötzlich wieder brandaktuell. Viele Demokraten beschuldigen jetzt Comey, er handle unverantwortlich und besorge das Geschäft für Trump. Comey konnte aber gar nicht anders handeln. ... Würde er schweigen und käme später heraus, dass Clinton das Gesetz verletzt hat, dann wäre die Polizei gezwungen, gegen die amtierende Präsidentin zu ermitteln. Und er hätte begründen müssen, weshalb er nicht früher an die Öffentlichkeit gegangen ist. ... Comey wird vielleicht seinen Posten räumen müssen, vor allem, wenn Trump nicht gewinnt. Doch er hat keinen Fehler gemacht.“
Schuld ist Clinton, nicht die Bundespolizei
Clintons sorgloser Umgang mit E-Mails könnte ihr zum Verhängnis werden, fürchtet der Tages-Anzeiger:
„Hauptverantwortlich ist ... nicht Comey, sondern es sind Hillary Clinton und ihre Vertraute [und Beraterin] Huma Abedin. Im vergangenen Sommer hat das FBI Clintons 'extrem nachlässigen' Umgang mit amtlichen E-Mails kritisiert. Ähnliches lässt sich offensichtlich auch von Abedin behaupten. Sie hat Nachrichten auf einen Laptop gespeichert, zu dem auch ihr Gatte Anthony Weiner Zugang hatte. Nachdem sich die beiden trennten, ist das Gerät im Besitz des ehemaligen demokratischen Abgeordneten geblieben, gegen den wegen obszöner Nachrichten an eine Minderjährige ermittelt wird. Um das Mass an Peinlichkeit voll zu machen, hat Abedin gestern erklärt, sie habe keine Ahnung, wie die E-Mails überhaupt auf den Laptop gelangt seien.“
FBI macht Wahlkampf noch schmutziger
Mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen Clinton richtet FBI-Chef Comey großen Schaden an, kritisiert Daily Telegraph:
„Comey möchte nicht von einer Öffentlichkeit verurteilt werden, in der die Stimmung so konspirativ ist, dass gar nichts mehr heilig ist. ... Das FBI ist in die Falle getappt und denkt, dass diese subversive Stimmung durch Vernunft und Integrität gezähmt werden könne. Tatsächlich erreicht die institutionelle Anerkennung von Paranoia genau das Gegenteil. Es beweist dem Verschwörungstheoretiker, dass er schon immer Recht hatte: Das FBI hat gelogen und musste es nun zugeben! Das schadet nicht nur Clinton. Es schadet den Institutionen, die Demokratien am Leben erhalten. Die Hässlichkeit der Debatte auf beiden Seiten wird das Regieren in den USA zu einem Alptraum machen - egal, wer gewinnt.“
Für Trump rückt das Weiße Haus in Reichweite
Donald Trumps Chancen, die Wahl zu gewinnen, waren nie besser als heute, glaubt Huffington Post Italia:
„Trump scheint nach zwei schwarzen Wochen der Berichterstattung über das Skandalvideo mit sexistischen Äußerungen den kritischen Punkt überwunden zu haben. Die Wiederaufnahme der FBI-Ermittlungen gegen Clinton könnte für den New Yorker Milliardär möglicherweise den entscheidenden letzten Schub bedeuten, um den Kampf um das Weiße Haus für sich zu entscheiden. In den sozialen Netzwerken ist Trump Hillary in punkto Mitnahmeeffekt eindeutig überlegen, was nicht zu unterschätzen ist. … Bis zum 8. November wird der Kampf unerbittlich sein, ein wahrhaftiger Krieg. Sollte es Trump gelingen, über keine weiteren Desaster wie den des Skandalvideos zu stolpern, steigen seine Chancen, der nächste Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, deutlich. Das Weiße Haus ist für ihn so nah wie nie.“
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