Profitiert Europa von höheren US-Zinsen?
Die Aussicht auf steigende Zinsen in den USA ließ den Dollar am Donnerstag auf ein 14-Jahres-Hoch klettern. Zuvor hatte Fed-Chefin Yellen den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte angehoben. Vom starken Dollar wird Europas Exportwirtschaft profitieren, freuen sich einige Kommentatoren. Doch protektionistische Gegenmaßnahmen der USA könnten diese Freude schnell zunichtemachen, warnen andere.
Export wird anziehen
Vielleicht kann die Zinserhöhung der Fed Europa sogar helfen, hofft die Tageszeitung taz:
„Die USA haben mit 4,6 Prozent Arbeitslosenquote und 1,7 Prozent Inflationsrate die Finanzkrise 2008/09 einfach deutlich besser gewuppt als die Eurozone (9,8/0,5). Weil es in großen Teilen Europas kriselt, fährt die EZB weiter auf Nullzinskurs. Und: Bis Ende 2017 sollen insgesamt 2,3 Billionen Euro in die Märkte gepumpt worden sein. Das entspricht etwa sieben Mal dem Etat des Bundes. Irre viel Geld für irre große Probleme: Gestern war Brexit, heute sind es Italiens Banken, morgen kommen vielleicht ultrarechte Regierungen, die auch raus aus der EU wollen. Aufgeblähte Aktien- und Immobilienmärkte und Zwergenrendite für Kleinanleger sind die Folgen. Aber: Vielleicht kann uns die größte Volkswirtschaft der Welt auch helfen. Der Dollar zog nach der Fed-Entscheidung auf ein 14-Jahres-Hoch gegenüber dem Euro an. Das macht europäische Produkte günstiger und damit wettbewerbsfähiger in Übersee.“
Protektionistische Reaktion droht
Auch Kauppalehti glaubt, dass ein stärkerer Dollarkurs eine gute Nachricht für Europas Exportindustrie sein könnte, fürchtet aber gleichzeitig die Folgen einer möglichen Schwächung des US-Exports:
„Die Länder, die mit den USA Handel treiben, profitieren, wenn ihre Währungen gegenüber dem Dollar schwächer werden. ... Der stärkere Dollar beschleunigt zudem die Inflation in der Eurozone, da Importprodukte teurer werden. Das ist für die Eurozone, die sich schon lange am Rande einer Deflation befindet, eine Erleichterung. … Die Stärkung des Dollars hat aber auch eine Kehrseite. Sie kann nämlich zu Gegenreaktionen führen. Falls der starke Dollar den US-Export bremst, könnte dies die protektionistische Stimmung beflügeln. Die Fed reagiert traditionell empfindlich auf eine Schwächung der Wachstumsaussichten und Marktturbulenzen. Sie könnte die für das nächste Jahr geplanten Zinsanhebungen wieder zurücknehmen.“
Aufschwung könnte über den Atlantik schwappen
Sollte sich die Wirtschaft der Eurozone stabilisieren, kann auch sie mit höheren Zinsen nachziehen, hofft Delo:
„EZB-Chef Mario Draghi sorgt sich um Auswirkungen des noch immer geringen Wirtschaftswachstums in Europa auf die Wahlergebnisse bedeutender EU-Staaten im Jahr 2017. In Gefahr sind große italienische und deutsche Banken, hinzu kommt die Arbeitslosigkeit im Süden der EU. Die USA hingegen haben sich schnell wieder erholt und lassen mit hohem Wirtschaftsaufschwung und niedriger Arbeitslosenzahl die Muskeln spielen. Für Optimismus auf den Finanzmärkten sorgt auch der künftige US-Präsident Trump. … Mittelfristig gesehen wird nach dem Wahljahr 2017 alles von der Kondition der Eurozone abhängen. Kann die EU etwas von der Konjunktur auf der anderen Seite des Atlantiks aufgreifen und sorgt sie endlich für Ordnung im eigenen Haus, dann normalisieren sich auch die EZB-Zinsen und erholen sich endlich vom historischen Tiefststand.“
Eurozone darf dem US-Beispiel nicht folgen
Mit ihrem neuen finanz- und haushaltspolitischen Kurs entfernen sich die USA vom alten Kontinent, analysiert Le Monde:
„Gewiss braucht auch Europa eine Normalisierung: die Rückkehr zu einer Inflationsrate um die zwei Prozent und einen Anstieg der Zinsen, um die Entstehung neuer Finanzblasen zu verhindern und um die Genesung der Banken zu fördern. Europa ist aber anfällig, sehr anfällig, insbesondere die überschuldeten Volkswirtschaften Südeuropas, Frankreich eingeschlossen. Der Wahlsieg Trumps und die Entscheidung der Fed vollziehen die Entkopplung der beiden Kontinente, von denen einer mitten im Boom steckt und der andere stark geschwächt ist. Die USA haben sich für höhere Staatsausgaben und eine restriktive Geldpolitik entschieden. Europa braucht die umgekehrte Politik: eine flexible Währungspolitik und die Beibehaltung einer gewissen Haushaltsdisziplin.“
Nur eine homöopathische Korrektur
Die Zinserhöhung in den USA ist zu begrüßen, sie kommt aber reichlich spät, attestiert die Neue Zürcher Zeitung:
„Die vom designierten Präsidenten angedachten Stimuli in Form von Steuersenkungen und Ausgabensteigerungen dürften nämlich die Kerninflation ... zusätzlich anheizen. Die Notenbank könnte dadurch in die heikle Lage geraten, der Inflationsentwicklung nachzuhinken. ... Sie sähe sich dadurch gezwungen, die monetären Zügel viel rascher und kräftiger anzuziehen, als dies ihrem Ziel einer graduellen Normalisierung entspricht. Die Fed betont, eine solch schockartige und aggressive Verschärfung der Geldpolitik unter allen Umständen verhindern zu wollen, weil die USA dadurch in eine Rezession stürzen könnten. Mit ihrer allzu zögerlichen Politik hat die Notenbank aber genau dieses Szenario wahrscheinlicher werden lassen. Daran ändert auch die homöopathische Zinskorrektur vom Mittwoch wenig.“
Notenbank sorgt schon mal vor
Die Entscheidung der Fed-Chefin wertet La Vanguardia auch als Vorsichtsmaßnahme auf Trumps Wirtschaftspläne:
„Die Notenbank will zu erwartende Inflationsspannungen ausgleichen, die Trumps expansive Wirtschaftspolitik mit sich bringen könnte: Er hat einen millionenschweren Investitionsplan und Steuersenkungen angekündigt. ... Die Notenbank wird also 2017 eine härtere Geldpolitik betreiben müssen und es zeichnen sich Konfrontationen mit Trump ab, der eine Verteuerung des Geldes ablehnt und als Gegner von Janet Yellen bekannt ist. ... Die Geldpolitik der Notenbank und Trumps Wirtschaftspläne zielen auf eine Stärkung des Dollars und stehen konträr zu Europas Maßnahmen: Hier werden Haushalte gekürzt und der Zinssatz bei null gehalten, bei einer schwachen Wirtschaft und hohen Arbeitslosenzahlen. Trotz aller finanziellen Spannungen, die zwischen den beiden Blöcken entstehen können, ist es für Europa positiv, dass die wichtigste Wirtschaftsnation der Welt ihr Wachstum festigt.“