Wie schlecht sind Westprodukte in Osteuropa?
Die Premiers der vier Visegrád-Länder haben sich beschwert, dass westliche Konzerne in Osteuropa unter den gleichen Etiketten minderwertigere Lebensmittel verkaufen als in ihren eigenen Ländern. Dies hätten Laborproben bestätigt. Die EU-Kommission müsse dafür sorgen, dass die Regeln auf dem Binnenmarkt einheitlich bleiben. In manchen osteuropäischen Ländern allerdings geht die Debatte an der Realität vorbei, bemerken Kommentatoren.
Rumänen können sich Empörung nicht leisten
Warum sich Rumänen nicht darüber beklagen, dass unter dem Label teurer Marken minderwertige Produkte in ihren Supermärkten liegen, erklärt der Rumänische Dienst der Deutschen Welle:
„Der Hauptgrund dafür ist mit Sicherheit das niedrigere Kaufkraftniveau in Rumänien. ... In einem Land, das ein riesiger Absatzmarkt für Second-Hand-Produkte ist - angefangen von Pkws bis hin zu Kleidung - ist es Verkäufern und Kunden nur recht, dass der Anschein [von wertigen Markenprodukten] gewahrt wird. … Niemand hat hier Interesse, von einem 'Second-Hand-Produkt' oder einem qualitativ minderwertigen Produkt zu sprechen. Vielmehr geht es darum, die Illusion von Gleichheit im Wohlstand aufrecht zu erhalten. … Die mitteleuropäischen Länder sind eben jene Staaten, die sich bei den Lebensbedingungen immer mehr dem Westen annähern - deshalb haben sie auch größere Ansprüche als Rumänen oder Bulgaren.“
Heimische Produzenten unterstützen
Anstatt gegen multinationale Lebensmittelkonzerne zu wettern, sollte Bulgarien den eigenen Lebensmittelproduzenten unter die Arme greifen, rät die Tageszeitung 24 Chasa:
„Wir sollten ein Wettbewerbsumfeld schaffen, in dem die heimischen Produzenten eine Chance haben, die Gunst der Verbraucher für sich zu gewinnen. Es sollte mehr bulgarische Lebensmittelhersteller geben. Übrigens exportieren diese, genau wie die Multis, ihre teureren Qualitätsprodukte ebenfalls in Länder mit einer höheren Kaufkraft. Leider ist die Wirtschaftspolitik Bulgariens seit Jahren vor allem darauf ausgerichtet, Geld aus dem Staatshaushalt und aus den EU-Fonds an die 'richtigen' Leute zu verteilen. Wenn man den multinationalen Konzernen die Stirn bieten will, muss man zuallererst die heimische Produktion fördern.“
EU ist Qualität der Lebensmittel egal
Internationale Konzerne machen sich in Osteuropa zunutze, dass es in der EU keine detaillierten Qualitäts-Vorschriften gibt, ärgert sich Duma:
„Auf die Frage, ob es tatsächlich Qualitätsunterschiede bei den Lebensmitteln in verschiedenen EU-Ländern gibt, antwortete ein EU-Beamter, dass die Lebensmittel den EU-Vorschriften für Lebensmittelsicherheit und -kennzeichnung entsprechen müssen. Auch wenn sie noch so dreist ist, entspricht diese Antwort der Wirklichkeit. Der ganze Vorschriften-Wirrwarr für Lebensmittel, den unser Staat anstandslos angenommen und unterschrieben hat, um der EU beitreten zu können, läuft darauf hinaus, dass Lebensmittel sicher sein müssen. Das war's. Und dafür haben wir unsere hochwertigen heimischen Produkte verkommen lassen. Produkte mit dem staatlichen bulgarischen Qualitätssiegel BDS sind exotisch geworden. Der Begriff 'Qualität' hat seine Bedeutung verloren, besonders angesichts der geringen Kaufkraft der Bulgaren.“
Betrug an Osteuropa hat System
Nicht nur Nahrungsmittel sind von dem Qualitätsgefälle betroffen, bemerkt Kolumnistin Eszter Bálint in Krónika:
„Wir hoffen sehr, dass dem gemeinen Betrug ein Ende gesetzt wird und wir nicht mehr als Konsumenten zweiten Rangs behandelt werden. ... Wir sind überzeugt, dass es sich beim Betrug nicht nur um Lebensmittel handelt. Es ist höchst wahrscheinlich, dass für die Märkte Ostmitteleuropas unter demselben Markennamen qualitativ schlechtere Waschmaschinen oder Kühlschränke hergestellt werden als für jene des Westens. Die Autorin dieser Zeilen hat sogar die Erfahrung gemacht, dass das Shampoo einer großen namhaften französischen Kosmetikfirma in Rumänien von geringerer Qualität war als im Westen. Von einem Tag auf den anderen wird es sicher keinen Wandel geben. Was wir als einfache Bürger vorerst aber tun können, ist, die Westwaren zu boykottieren, die von minderwertiger Qualität sind.“
Gesundheitsschädliches Zwei-Klassen-Europa
Bulgarien hat schon 2011 auf die minderwertige Qualität westlicher Lebensmittelimporte hingewiesen, doch damals fanden sich in der EU nicht genug Fürsprecher, um etwas zu ändern, ärgert sich die Tageszeitung 24 Chasa:
„Sechs Jahre lang geschah nichts. Erst als die Slowaken [im Jahr 2016] die Ratspräsidentschaft übernahmen, brachten sie das Thema auf die Tagesordnung und bekamen Unterstützung von ihren Nachbarländern. Am 1. Januar 2018 übernimmt Bulgarien den EU-Vorsitz und könnte den Ausgleich der Qualitätsstandards für Lebensmittel in der EU zur Hauptpriorität machen. Es ist höchste Zeit, dass wir aufhören, den Müll aus dem Westen zu essen. Da sich gerade eine breite Koalition dagegen bildet, müssen wir die Gunst der Stunde nutzen und mit Nachdruck auf unsere Rechte pochen. Ein Zwei-Klassen-Europa ist schon beleidigend genug. Es muss nicht auch noch gesundheitsschädlich sein.“
Konsumenten haben selbst die Macht
Als verlogen empfindet die Klagen der Mittelosteuropäer über die mindere Qualität westlicher Lebensmittel in ihren Ländern die slowakische Tageszeitung Sme:
„Wenn ein Kunde in der Wurst mehr Fleisch und weniger Fett haben will, dann überzeugt er die Hersteller von der Notwendigkeit einer Rezeptur-Änderung, indem er diese Wurst nicht mehr kauft. Man kann Wurst ja auch in anderen Läden kaufen. ... Eine Intervention Brüssels in dieser Angelegenheit zu fordern, wie das die V4 getan haben, ist der Gipfel der Heuchelei einer Gruppe von Regierungen, die bei jeder anderen Gelegenheit auf den Schutz ihrer nationalen Souveränität bedacht sind. ... Es ist kein Fehler von Coca-Cola, dass die Mittelosteuropäer passiv billige Ersatzgetränke hinnehmen. Die Käufer in Westeuropa sind nicht klüger, aber sie haben höhere Erwartungen. Also bekommen sie auch bessere Produkte.“
Hersteller machen mit Ausschuss Kohle
Die Verkaufsstrategie westlicher Lebensmittelproduzenten ist nach Meinung von Pravda ein großes Ärgernis:
„Es ist kein Wunder, dass die Parkplätze vor österreichischen Supermärkten voller Autos mit slowakischen Kennzeichen sind. Markenwaren mit gleicher Kennzeichnung schmecken dort anders, weil sie einen anderen Inhalt haben. Auch wenn sich die Firmen hinter einem 'anderen regionalen Geschmack' verstecken, kann man nur schwer glauben, dass den Menschen hinter dem früheren Eisernen Vorhang Lebensmittel besser schmecken, die mehr 'E' enthalten, Ersatzstoffe oder künstliche Süßungsmittel. Es geht nicht um Geschmack, sondern um Geld. Wenn die Firmen für den 55-Millionen-Markt der V4 billiger produzieren, sparen sie ein hübsches Sümmchen. Bei den Bürgern dort erhöht es aber nicht das Vertrauen in die EU, die eh schon Zentrifugalkräften ausgesetzt ist. Es erweckt den Eindruck, Menschen zweiter Klasse zu sein, denen man Ausschuss andrehen kann.“
Wer im Glashaus sitzt
So wie sich die Visegrád-Staaten über die Lebensmittelqualität auf ihren Ladentheken beklagen, könnte sich auch Westeuropa über deren Flüchtlingspolitik beschweren, meint dagegen Lidové noviny:
„Macht es Sinn, die Harmonisierung der Regeln auf einem Gebiet zu stärken, wenn man sie auf einem anderen ablehnt? 'In der EU muss es eine Qualität von Lebensmitteln geben, die höchste', sagt Tschechiens Premier Sobotka. Das klingt, wie wenn EU-Kommissionspräsident Juncker sagt: 'In der EU muss es für den Umgang mit den Migranten aus dem Nahen Osten einen Standard geben, den höchsten.' Sind die V4 in der Lage, die Harmonisierung der Lebensmittelqualität durchzusetzen und gleichzeitig dem Druck zur Gleichbehandlung von Migranten zu widerstehen? Wenn nicht, ließe sich nach dem Muster von Sobotka sagen: Wenn der Westen uns bei den Lebensmitteln 'bescheißt', tun wir das unsererseits bei den Migranten. Oder sind wir bereit, Quoten für Migranten im Gegenzug zu besseren Lebensmitteln zuzustimmen?“