Vierergipfel zur Zukunft der EU
Die Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien haben sich in Versailles für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ausgesprochen. Dass ausgerechnet der spanische Premier Rajoy dabei war, freut die Presse des Landes besonders. Kommentatoren aus anderen Mitgliedstaaten können nachvollziehen, nicht zur Führungsriege Europas zu gehören.
Spanien wird vom Patienten zum Chefarzt
Spanien ist wieder wer in Europa, freut sich El Periódico de Catalunya nach dem EU-Vierergipfel in Versailles:
„In gerade mal sechs Jahren ist Spanien vom europäischen Patienten ins Chefarztteam aufgestiegen, das den kranken Kontinent zurück auf die Beine bringen soll. Man muss zugestehen, dass Rajoys Anwesenheit auf dem informellen Gipfeltreffen in Versailles - zusammen mit den deutschen, französischen und italienischen Regierungschefs - Spanien auf die EU-Kommandobrücke zurückgeholt hat, auf der einst [Spaniens Premier von 1984 bis 1996] Felipe González stand und die dann [der Premier von 1996 bis 2004] José María Aznar gegen die Texas-Ranch von [US-Präsident] George W. Bush eingetauscht hatte. ... Die Posten der anderen Gipfelteilnehmer Hollande und Paolo Gentiloni wackeln. Merkel liegt in den Umfragen hinter dem Sozialdemokraten Martin Schulz. ... So gesehen ist Rajoys Position im europäischen Vergleich doch ziemlich stabil.“
Polen sollte nicht zum Kern gehören
Sollten bei einer Neukonzeption der EU die Mitglieder in verschiedene Kategorien eingeteilt werden, ist Polen in der zweiten Gruppe ganz gut aufgehoben, findet Gość Niedzielny:
„Letztlich ist die Frage, ob die Richtung, die das Europa der ersten Kategorie einschlägt, auch für Polen gut ist. Die Vertiefung der EU-Integration ist sicherlich mit einem gemeinsamen Haushalt, der Angleichung von Steuern, der Umverteilung von Schulden sowie einer größeren Harmonisierung der Sozialpolitik verbunden. Wollen wir denn wirklich so hohe Steuern wie die Franzosen zahlen oder für die Italiener die Schulden begleichen? Oder wollen wir die arbeitslosen deutschen Migranten finanziell unterstützen? Zusätzlich dürfte die Grenze zwischen den beiden Kategorien zwischen West- und Mitteleuropa verlaufen. Doch gerade Mitteleuropa verzeichnet ein entschieden schnelleres Wirtschaftswachstum als der westliche Teil.“
Portugal muss sich hinten einreihen
Portugal ist wirtschaftlich nicht in der Lage, zum Kern Europas zu gehören, meint Jornal de Negócios:
„Die Diskussion über ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ist nicht neu, aber realistisch: Es ist die Erkenntnis, dass ein Europa, in dem alle auf demselben Karren sitzen, keine Fortschritte erzielen wird. Diese Einsicht sollte ernst genommen werden. Portugals Premier weigert sich, das Land in der Verfolgergruppe einzureihen. ... Er ließ wissen, dass Portugal 'immer' dem vorderen Feld angehören würde. Was anderes wäre auch nicht zu erwarten gewesen. ... Doch die Frage, die sich stellt ist folgende: Erfüllt Portugal tatsächlich die Voraussetzungen, um der ersten Gruppe anzugehören? Nein! Ein Land, das nicht in der Lage ist zu erkennen, dass man nicht das verteilen kann, was man nicht erwirtschaftet und das weiterhin das ausgibt, was es nicht hat, kann nicht in der vordersten Reihe der EU stehen und sich in Richtung Föderalismus bewegen.“
Schwächlinge an der Spitze einer schwachen EU
Die vier Teilnehmer des Gipfels haben nicht den Eindruck vermittelt, als hätten sie die kritische Situation im Griff, beobachtet Il Sole 24 Ore:
„Zunächst mal sind die vier Großen heute eher schwache Führungskräfte: François Hollande etwa ist auf dem absteigenden Ast und wird am 7. Mai die Bühne verlassen. Aber auch Angela Merkel, Deus ex machina der europäischen Politik des vergangenen Jahrzehnts, ist sich heute ihres vierten Mandats nicht mehr so sicher. ... Gälte es ein unkompliziertes Europa auf die Beine zu stellen, das sich seines unverzichtbaren Mehrwerts im globalen Zeitalter bewusst wäre und die breite Unterstützung des Volks hätte, wäre die Schwäche seiner wichtigsten Politiker zwar weiterhin ein Problem, doch kein unüberwindbares. Die Verwundbarkeit der schwachen Politiker hingegen summiert sich zur Anfälligkeit einer Union, die immer stärkere Interessenkonflikte unregierbar gemacht haben.“
Quartett klammert sich an Status quo
Von den vier innenpolitisch geschwächten Regierungspolitikern ist wohl kein entscheidender Impuls für die Genesung der EU zu erwarten, bedauert Slate:
„Man kann sich nur schwer vorstellen, dass sich die Versailler Tafelgäste auf eine spektakuläre Initiative einigen, die eine Antwort auf die großen Herausforderung gibt, vor der Europa nach dem Rückzug der USA infolge des Wahlsiegs von Trump steht. Mit vier Angeschlagenen am Krankenbett steht es schlecht um Europa. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der beauftragt worden war, anlässlich des Jahrestags der Römischen Verträge ein Projekt zu präsentieren, legte fünf Hypothesen vor. Darunter ein Sprung in den Föderalismus, dessen Namen er selbst nicht auszusprechen wagt, sowie die Beibehaltung des Status quo. Es ist zu befürchten, dass die letztere Lösung, verziert mit ein paar Schnörkeleien, siegen wird.“