Gibt es eine Lösung im Katalonien-Konflikt?

Countdown in Barcelona: Vor der Rede von Regierungschef Carles Puigdemont im katalanischen Regionalparlament ist die große Frage, ob die Region am heutigen Dienstagnachmittag tatsächlich ihre Unabhängigkeit ausrufen wird. Die Presse überlegt indes weiter, welche Auswege aus dem Katalonien-Konflikt es geben könnte.

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The Irish Times (IE) /

Mehr Autonomie wagen

Die Aussicht auf eine Neugründung Spaniens als republikanischer Bundesstaat würde die Separatisten in Katalonien entscheidend schwächen, erklärt The Irish Times:

„Spanien sollte das umsetzen, was die Sozialistische Partei Kataloniens propagiert: Das Land sollte sich als republikanischer Bundesstaat neu gründen anstatt zu versuchen, sich als Einheitsstaat zu erhalten, der durch die Monarchie legitimiert wird. Die einzige Chance, eine Katastrophe abzuwenden und den Parteien der Mitte in Katalonien die nötige politische Munition zu geben, um gegen die Abspaltung argumentieren zu können, die sie selbst und auch die Mehrheit der Katalanen nicht wollen, ist die Aussicht auf ein autonomes Katalonien innerhalb eines spanischen Bundesstaats“

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El País (ES) /

Freiheiten schweißen Schweizer zusammen

Zuckerbrot wirkt besser als Peitsche, argumentiert der Hintergrund-Redakteur vom Schweizer Tages-Anzeiger, David Hesse, in einem Gastbeitrag für El País:

„Wenn Hunderttausende auf der Straße für mehr Selbstbestimmung demonstrieren, kann der Staat nicht einfach auf die Verfassung pochen und Polizisten mit dem Schlagstock losschicken. Er schuldet seinen Bürgern eine Debatte, ja, muss Überzeugungsarbeit leisten, weshalb der Verbleib im Staat sinnvoll ist. Normalerweise kühlt die Sezessionslust bei Zugeständnissen in Sachen Autonomie und Steuerhoheit deutlich ab, so im Baskenland. In der Schweiz gehen die föderalen Freiheiten der Kantone so weit, dass sie aus dem Bundesstaat austreten könnten, wenn sie Mehrheiten dafür gewännen. Vielleicht hat das eben wegen dieser Freiheiten nie ein Kanton versucht.“

Neatkarīgā (LV) /

Bitte mehr Solidarität aus dem Baltikum

Neatkarīgā ärgert sich, dass Lettlands Politiker die Katalanen auf ihrem Weg in Richtung Unabhängigkeit nicht unterstützen:

„In den Jahren 1990 und 1991 waren die Letten über die schwerfälligen und unentschlossenen Reaktionen der westlichen Länder in der Frage der Unabhängigkeit der baltischen Länder empört, weil diese bis zum letzten Augenblick ihre Loyalität gegenüber dem sowjetischen Regime ausgedrückt haben. ... Jetzt, wo in Katalonien die gleiche politische Hitze wie 1991 in den baltischen Ländern herrscht, spielen die Letten globale Geopolitiker. Obwohl die Katalanen angeregt von den baltischen gewaltfreien Ideen und deren Umsetzung in der Praxis zum Unabhängigkeitsreferendum gegangen sind - und das sogar noch mit einer Hymne, die auf einem von einem lettischen Komponisten geschriebenen Lied basiert ['Saule, Pērkons, Daugava', komponiert von Mārtiņš Brauns].“

Adevărul (RO) /

Chancen und Grenzen einer Mediation

Wer die Rolle eines Vermittlers im Katalonien-Konflikt übernehmen könnte, überlegt der Journalist Cristian Unteanu in seinem Blog bei Adevărul:

„Wenn sich die EU einmischt, weiß sie ganz genau, dass sie damit einen Präzedenzfall schafft und künftig in allen ähnlichen Fällen der Richter sein muss. Unmöglich ist das nicht, doch muss dafür der Vertrag abgeändert und eine spezielle Institution geschaffen werden, die sich aufs Management von internen Krisensituationen im europäischen Raum versteht. Die Uno? Vielleicht, nur muss es in diesem Fall ein Mandat des Sicherheitsrats geben. ... Doch es ist schwer vorstellbar, dass Spanien eine Mediation akzeptiert und dabei auf seine Auflage verzichtet: ... Dass die katalanischen Separatisten die zwei verabschiedeten Gesetze zurücknehmen und die Autorität des spanischen Königreichs und der Verfassung akzeptieren.“

Dilema Veche (RO) /

Wichtige Lektion für Nationalstaaten

Spanien sollte zu einem Bundesstaat werden, meint Dilema Veche:

„Es ist klar, dass nur ein Dialog im Ergebnis zu einer Neudefinition des spanischen Staats führen kann. Doch das ist eine Variante, die die rigide Mitte-rechts-Regierung von Mariano Rajoy bislang ausschließt. Eine Umwandlung Spaniens in solch einen konföderalen Staat wäre ein historischer Sieg für die Katalanen. Doch nicht nur für sie. Sie würde zeigen, dass ein Kampf für eine regionale Emanzipation, wenn schon nicht zur Abspaltung, dann doch zumindest zu einer radikalen Veränderung der Staatsaufbaus führen kann - zum Vorteil der Regionen. Katalonien wäre hier ein gutes Beispiel für die EU und darüber hinaus. Schon jetzt dient Katalonien als Lektion für Nationalstaaten: Sie sollten stets auf die Grundlagen des nationalen Zusammenhalts sowie auf die Diskrepanzen zwischen den Regionen achten.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Unabhängigkeit heißt mehr Demokratie

Die Gründung einer katalanischen Republik muss ernsthaft in Betracht gezogen werden, fordert der Autor Raul Zelik in seinem Gastbeitrag in der taz:

„Denn Madrid verweigert sich seit 15 Jahren jedem Kompromiss. ... Die Forderungen nach einer Anerkennung der Plurinationalität Spaniens werden systematisch ignoriert. Bei grundlegenden Konflikten droht der Zentralstaat mit der Suspendierung der Autonomie. ... In spanischen Medien heißt es oft, der Norden wolle seinen Reichtum nicht mit dem armen Süden teilen. Doch tatsächlich wünscht sich eine klare Mehrheit der katalanischen Bevölkerung nicht weniger, sondern mehr Solidarität. Es geht um soziale und demokratische Reformen, die innerhalb des spanischen Staates nicht durchsetzbar sind, auch nicht unter Regierungen der PSOE. ... Die Ausrufung einer katalanischen Republik öffnet die Tür für eine demokratischere Gesellschaft - auch im Rest Spaniens.“

e-vestnik (BG) /

EU muss Katalonien Beitritt zusichern

Bevor Blut fließt, muss die Europäische Union in Katalonien einschreiten, drängt e-vestnik:

„Sollte in Katalonien das Militär zum Einsatz kommen und die Gewalt weiter eskalieren, was mittlerweile unausweichlich scheint, werden sich noch mehr Menschen aus Mitleid auf die Seite der Separatisten schlagen. Die EU müsste jetzt eingreifen, mit den katalanischen Behörden Gespräche führen und Katalonien [im Fall der Unabhängigkeit] einen sofortigen EU-Beitritt zusichern. Sie haben den Euro, ihre Institutionen funktionieren nach EU-Vorgaben, sie sind in der EU - und daran sollte sich auch nichts ändern. Stattdessen werden wir jedoch bald Zeugen von Blutvergießen werden. Die Wunden des spanischen Bürgerkriegs, die noch nicht verheilt sind, werden wieder aufgerissen werden.“

Keskisuomalainen (FI) /

Unabhängig heißt nicht souverän und anerkannt

Katalonien hätte nach einer Unabhängigkeit wohl ein Problem mit seiner internationalen Anerkennung, konstatiert Keskisuomalainen:

„Die Kriterien für einen unabhängigen Staat variieren je nach Sichtweise, doch es ist klar, dass Katalonien diese nicht erfüllt. Der Regionalregierung fehlt die Souveränität, also die uneingeschränkte Kontrolle über das eigene Gebiet. Auch was die Anerkennung durch andere Staaten betrifft, kann es eng werden. Zumindest in dieser Phase würde Katalonien in einer Gruppe von Staaten landen, denen entweder die Souveränität oder die internationale Anerkennung als unabhängiger Staat fehlt. Zum Beispiel hat eine große Gruppe von Staaten die Unabhängigkeit Palästinas und der West-Sahara anerkannt, aber es fällt schwer, diese Staaten als unabhängig zu betrachten, da beide nicht souverän sind.“