Was bedeutet Österreichs Wahl für Europa?
Zwei Tage nach dem Urnengang diskutieren viele Journalisten, wie das Wahlergebnis in Österreich im Kontext der europäischen Politik zu bewerten ist. Einige glauben, dass europäische Themen die Regierungsbildung in Wien bestimmen werden. Andere fürchten, dass Österreich unter Kanzler Kurz einem Neustart der EU im Weg stehen wird.
Kann FPÖ auch proeuropäisch?
Die EU-Politik wird schon gleich bei der Regierungsbildung zu einem Prüfstein für Sebastian Kurz, erklärt Der Standard:
„Nicht nur Präsident Alexander Van der Bellen, auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker machte klar, dass er eine proeuropäische Regierung wünscht. Das ist dem 31-Jährigen, der ein in Österreich und Europa geachteter Premier werden will, nicht egal. Kurz muss also die FPÖ - wie 2000 - zum proeuropäischen Kotau zwingen, samt Austritt aus der Le-Pen-Fraktion. Oder es am Ende doch mit der SPÖ als Junior probieren. Wenn gar nichts geht, bleibt eine Minderheitsregierung - zumindest bis nach dem EU-Vorsitz 2018.“
Bremsklotz für Mercron
Der Rechtsruck in Österreich wird die Umsetzung der Pläne von Merkel und Macron für einen Neustart der EU nicht gerade erleichtern, meint Jyllands-Posten:
„Mit einer geschwächten Angela Merkel in Berlin - die Niederlage der CDU in Niedersachsen macht es noch schlimmer - gibt es kaum Aussichten, dass der neue deutsch-französische EU-Motor so stark wird, wie Macron es geplant hat. Die neuen Machtverhältnisse in Wien verstärken diese Entwicklung. Österreich unter einem Kanzler Kurz wird ein offenes Ohr für Ungarn und Polen haben, die gegen Brüssel aufbegehren. Neben der Zuwanderung war die EU-Kritik ein tragendes Thema im Wahlkampf. Langsam geht dem Macron-Ballon die Luft aus.“
Wien passt nicht zur Visegrád-Gruppe
Auf die Einschätzung der Rzeczpospolita vom Montag, Österreich könne sich der Visegrád-Gruppe anschließen, bezieht sich die Neue Zürcher Zeitung und widerspricht:
„[Kurz fordert] lediglich eine Verhinderung der illegalen Migration ... In der Vergangenheit betonte Kurz jeweils, Österreich müsse sehr wohl Flüchtlinge aufnehmen, und sprach von bis zu 15.000 Personen jährlich über Resettlement. Auch für die europäischen Asylquoten setzte sich die ÖVP stets ein. ... Das Land ist zudem im Unterschied zu den Visegrád-Ländern kein Nato-Staat, lehnt Atomenergie ab und will die Personenfreizügigkeit eher einschränken - gerade bei Letztgenannter steht Wien im Konflikt mit den ostmitteleuropäischen Ländern. Kurz wie auch der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache übten im Wahlkampf Kritik an der EU und forderten weniger Zentralismus. Kurz präsentiert sich aber stets als überzeugter Europäer, der mit der EU aufgewachsen ist und keinerlei Grenzen im Innern der Union wünscht.“
Neuer Vermittler zwischen Ost und West
Diplomatische Chancen erkennt Ziare in dem Wahlergebnis:
„Die Wahl von Sebastian Kurz gibt der österreichischen Diplomatie erneut die Möglichkeit, die Schiedsrichterrolle zwischen den früheren kommunistischen Staaten im Osten und den West-Ländern einzunehmen. Eine Rolle, die im vergangenen Jahrzehnt von der links-konservativen Koalition vernachlässigt wurde. Die daraus entstandenen Spannungen ließen nicht lange auf sich warten. ... Keiner hat zu Jahresbeginn gedacht, dass die traditionellen Parteien bei den österreichischen Wählern eine zweite Chance erhalten. Ihre Reformen und ein Generationswechsel haben ihnen gute Ergebnisse beschert, zum Nachteil der extremen Rechten.“