Österreich rückt nach rechts
Die konservative ÖVP von Sebastian Kurz feiert mit einem Ergebnis von 31,4 Prozent einen klaren Sieg bei der Nationalratswahl in Österreich, gefolgt von der rechtspopulistischen FPÖ, die auf 27,4 Prozent kommt. Beide Parteien legten jeweils um rund sieben Prozentpunkte zu. Kommentatoren erklären, warum das starke Abschneiden der FPÖ heute für keinen Aufschrei mehr sorgt.
Koalition mit FPÖ heute kein Skandal mehr
Die Regierungsbeteiligung der FPÖ in einer Koalition mit der ÖVP hatte im Jahr 2000 noch zur Isolation Österreich geführt, doch die Zeiten haben sich geändert, konstatiert der Politikwissenschaftler Radu Carp auf seinem Blog bei Adevărul:
„Heute würde dieselbe Koalition in Brüssel nicht mehr zu Streitigkeiten führen. Der Grund: Nach Österreich sind in den vergangenen Jahren in mehreren Ländern populistische Parteien an die Macht gekommen. Pragmatisch gesprochen, sieht man in Brüssel lieber eine solche Koalition, in der die EPP [Europäische Volkspartei] das Sagen hat, als eine Minderheitsregierung einer populistischen oder linken Partei. Die demokratischen Standards sind heute andere als im Jahr 2000: Selbst eine populistische Linkspartei [Syriza in Griechenland] wird inzwischen als Dialogpartner akzeptiert.“
Harmlose Rechtspopulisten in Wien
Die sehr wahrscheinliche Regierungsbeteiligung der FPÖ wird nirgendwo Panik auslösen, analysiert Lidové noviny:
„Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn in Deutschland die AfD oder in Frankreich der Front National an der Regierungsbildung beteiligt wären. Das ist undenkbar und würde wohl auch Unruhe erzeugen. Auch die Freiheitlichen sind eine Anti-Systempartei. Aber Österreich hat mit ihrer Regierungsbeteiligung zwischen 2000 und 2006 bereits Erfahrungen gemacht und weiß, dass die FPÖ weder die Verfassungsordnung noch die liberale Demokratie untergraben hat. Diese 'österreichische Ausnahme' ist eine Mahnung, nicht alle Parteien, die als rechtspopulistisch bezeichnet werden, in einen Topf zu werfen.“
Tiefe Gräben und echte Ängste
Für ÖVP und FPÖ wird der Wechsel vom Wahlkampf- in den Regierungsmodus nicht leicht, erwartet die Wiener Zeitung:
„[Sebastian] Kurz und Heinz-Christian Strache machen für so gut wie jedes sozialpolitische Problem ausländische Arbeitskräfte und Flüchtlinge verantwortlich, auch die SPÖ machte - mit angezogener Handbremse - mit. Das wird sich in konkreter Regierungsarbeit nicht bestätigen, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt. Dazu wurden weitere Gräben sichtbar ... : Die großen Städte, allen voran Wien, stimmten ganz anders ab als die ländlichen Gebiete. In den Industrie-Regionen wurde noch einmal anders gewählt als in jenen, die Tourismus und kleinbetriebliche Struktur aufweisen. Hier wird es darum gehen, ganz unterschiedliche Ängste aus dem Weg zu räumen - der Wahlkampf tat das Gegenteil.“
Große Koalition hat vorerst ausgedient
Der Jungstar der ÖVP muss nun zeigen, dass er das Land erneuern kann, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:
„Der Sieg der Liste Kurz [ist] eine Chance für Österreich, wo sich das Modell der grossen Koalition zwischen Konservativen und Sozialdemokraten totgelaufen hat … Viele von Kurz' Ideen - eine effizientere Verwaltung, Steuerentlastungen und mehr Mitsprache des Volks – sind richtig. Sie sind allerdings meist nicht neu. Gehapert hat es stets an der Implementierung. Dass Kurz auch abseits von Burkaverbot und Balkanroute dicke Bretter bohren kann, muss er erst beweisen - umso mehr, als der wahrscheinliche Koalitionspartner FPÖ bei der letzten Regierungsbeteiligung eine traurige Figur machte. Die auf Kurz gesetzten Hoffnungen sind jedenfalls ähnlich gross wie das Potenzial für Enttäuschungen.“
Bürger wählen Realismus statt Naivität
Österreich hat sich verändert und die Wähler wollen, dass die Regierung darauf reagiert, resümiert Denik:
„Die Zahl der Muslime ist in den vergangenen 15 Jahren von vier auf acht Prozent gestiegen, in Wien von acht auf 14 Prozent. Je mehr es wurden, desto weniger waren sie geneigt, ihren ursprünglichen Lebensstil aufzugeben und sich anzupassen. Dass die Österreicher Flüchtlinge weniger bereitwillig aufnehmen wollen, zeigen die Verluste von Sozialisten und Grünen. Ausländerfeindlich werden sie jedoch mit einiger Sicherheit nicht werden. Von Kurz erwarten die Österreicher, dass er Solidarität mit Realismus verknüpft. Die demographischen und soziologischen Prognosen zeigen, dass sich Österreich Naivität nicht mehr leisten kann.“
Rechtsruck wirksames Rezept gegen Populisten
Sebastian Kurz gehört zu den Politikern, die sich angesichts der Herausforderungen durch die Massenzuwanderung erfolgreich neu positioniert haben, meint Kolumnist Daniel Johnson in The Daily Telegraph:
„Die Belastungen durch unkontrollierte Zuwanderung sind überall auf die gleiche Weise spürbar: im Wohnungswesen, bei staatlichen Serviceleistungen, bei der Sicherheit. Diese Spannungen werden weiter zunehmen, wenn in den kommenden zehn Jahren zig Millionen Migranten von Afrika und Asien Richtung Europa ziehen. In Folge dessen haben sich politische Führer der Mitte überall neu positioniert, um die Herausforderung durch Populisten abzuwehren - von Mark Rutte in den Niederlanden bis hin zu Emmanuel Macron in Frankreich. Konservative, die die Angst vor offenen Grenzen ignorieren, sind dazu verdammt, Macht an Populisten zu verlieren. Angela Merkel hat das schmerzlich lernen müssen.“
Willkommen in der Visegrád-Gruppe
Rzeczpospolita glaubt, dass Österreich sich bald in der V4-Gruppe wiederfinden könnte:
„Recht, Gerechtigkeit, Souveränität. Diese Ansichten repräsentieren beide siegreichen Gruppierungen: die ÖVP und die FPÖ. ... Sie nähern Österreich, ein Land des alten Europas, dem Osten und dem neuen Europa an. ... Und für viele Österreicher klingt das nicht wie eine Beleidigung. Denn der Führer der FPÖ hat die Absicht verkündet, der Visegrád-Gruppe beizutreten. ... Wenn Wien sich wirklich Bratislava, Budapest, Prag und Warschau anschließen würde, würde Visegrád stark an Bedeutung gewinnen. Scheinbar geht es nur um ein Land mit knapp neun Millionen Einwohnern. Doch sie kommen aus einer anderen - in den Augen der EU-Eliten - besseren Welt.“
Die Spitze des Eisbergs
In Europa siegt der Populismus, klagt La Stampa:
„Dem Populismus gelingt es mit seinen Forderungen, vor allem gegen die Einwanderung, die Agenda der neuen Regierungen zu bestimmen - egal ob die populistischen Parteien an diesen beteiligt sind oder nicht. Die Spitze des Eisbergs ist Österreich, hier tritt diese Manipulation offen zutage: Kurz hat, um siegen zu können, die Position der Freiheitlichen Partei übernehmen müssen. … Doch Österreich ist kein Einzelfall. Die gleiche Konditionierung steckt hinter der Wahl und der Bildung der neuen Regierung in den Niederlanden und klammheimlich wird sie auch die künftige deutsche Koalition beeinflussen. Ja, Deutschland ist das Massiv des Eisbergs, nicht oder nicht nur wegen des massiven Einzugs der AfD in den Bundestag, sondern wegen der Zugeständnisse, die Angela Merkel gezwungen sein wird, der CSU und der FDP zu machen.“