Ist Draghis geldpolitische Wende zu zaghaft?
Die Europäische Zentralbank will ab Januar ihre Staatsanleihenkäufe halbieren. Bis mindestens September 2018 sollen monatlich nur noch Papiere im Wert von 30 Milliarden Euro erworben werden. Den Leitzins ließ die Notenbank unangetastet. Einige Kommentatoren loben EZB-Chef Draghi für seine behutsame Wende in der Geldpolitik. Anderen geht der Kurswechsel nicht schnell genug.
Draghi ist zu Recht vorsichtig
Angesichts der politischen Turbulenzen in Europa ist Draghis Entscheidung genau richtig, findet Expresso:
„Der jüngste Aufstieg rechter Parteien in Tschechien, Österreich und Deutschland, der Rückgang der Popularität traditioneller Parteien sowie das Wiederaufleben von Unabhängigkeitsbewegungen in Europa (siehe Spanien) bedürfen besonderer Vorsicht und Sorgfalt beim Management der anhaltend lockeren Geldpolitik der EZB. ... Was jedoch am meisten Sorgen bereitet: Sollten die Hilfen der EZB verringert werden, besonders wenn die europäische Wirtschaft wieder aufhört zu wachsen, dann könnte dies katastrophale wirtschaftliche und politische Auswirkungen für den Osten und Süden Europas bedeuten.“
Wirtschaft muss auf kalten Entzug
Die EZB muss endlich einen Termin für das Ende des Kaufprogramms nennen, fordert NRC Handelsblad:
„Es ist wie bei vielen Schmerzmitteln: Die Ursache des Übels wird nicht angegangen. Das wird zu Recht kritisiert, vor allem von Ländern wie Deutschland und den Niederlanden. ... Wenn die Wirtschaft künstlich angekurbelt wird, sehen Regierungen von Staaten mit schlechter Bilanz keine Notwendigkeit, strukturelle Ungleichgewichte in ihrem System zu beseitigen. ... Der währungspolitische Kunstgriff der EZB führt am Ende zur Abhängigkeit. Das kann nicht der Sinn der Sache sein. Daher ist es gut, dass ein Entzugsprogramm angekündigt wurde. Aber Draghi hat immer noch nicht gesagt, wann das Programm zum Aufkauf von Anleihen endgültig endet. Diese Deutlichkeit ist aber wünschenswert. Es wird höchste Zeit, dass die Realwirtschaft ihre Arbeit macht.“
Behutsame Kursänderung richtiger Schritt
Draghi hat die richtigen Lehren aus der Geschichte der Geldpolitik gezogen, lobt Les Echos:
„Die USA hatten ihre lockere Geldpolitik in den 1930er Jahren zu schnell angezogen und dadurch die Große Depression verschlimmert. Japan hat in den 1990er Jahren den gleichen Fehler gemacht. Die [US-Notenbank] Fed nimmt sich aktuell viel Zeit, um ihre Zinsen anzuheben und ihre Bilanz zu verkürzen. Mario Draghi hat die Lehre verstanden: Er wird sich Zeit lassen, bevor er das Ende der Ära des billigen Geldes einläutet. Es kann sogar sein, dass der Italiener niemals selbst die Zinssätze der EZB erhöhen muss. Sein Mandat endet in genau zwei Jahren. Und die Frage nach seiner Nachfolge wird sich sehr bald stellen.“
Unorthodoxe Beschlüsse verdienen Respekt
Die Politik des EZB-Chefs erhält Lob von Financial Times:
„Mario Draghi verdient so wie vorher der frühere Chef der US-Notenbank Ben Bernanke großen Respekt. Zunächst lieferte er die nötigen Argumente für eine unorthodoxe geldpolitische Intervention. Dann setzte er diese in die Tat um, indem er geschickt seinen Weg durch die komplizierten politischen Prozesse der Eurozone fand. Dabei trat er Kritikern sowohl innerhalb der EZB als auch unter den EU-Finanzministern entgegen. Die Ankündigung vom Donnerstag zeigte, wie erfolgreich Draghis Bemühungen bisher waren. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass er imstande ist, der Bank Spielraum für eine wenn nötig weiterhin lockere Geldpolitik in den kommenden Jahren zu bewahren.“
Draghi muss schneller gegensteuern
Die Trendwende der EZB ist der Süddeutschen Zeitung viel zu zögerlich:
„Menschen kaufen sich Häuser, die sie sich auf Dauer nicht werden leisten können. Euro-Staaten verlieren einen Anreiz, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Und an den Kapitalmärkten droht eine Blase. Was, wenn diese platzt? Und weil die EZB fast nur noch bei den hoch verschuldeten Euro-Staaten ausreichende Volumina für ihre Ankäufe findet, wachsen die Anteile von Ländern wie Italien, Frankreich und Spanien an den EZB-Anleihebeständen weiter. ... Die Hüter des Geldes gehen gewaltige Risiken ein, so gewaltig, dass selbst manchen der Akteuren mulmig geworden ist. Deshalb ist es richtig innezuhalten. ... Bis die Gefahren gebannt sind, bis Geld und Zinsen wieder ihre Kontrollfunktion für gutes Wirtschaften haben, wird es noch viele Jahre dauern. Mehr und schneller gegenzusteuern wäre besser gewesen.“
Es droht eine Blase
Die andauernde Stimulierung der Märkte ist riskant, warnt De Tijd:
„Die EZB tritt das Pedal weniger hart durch, aber sie gibt weiter Gas. ... Die Realwirtschaft könnte auch ohne außerordentliche Unterstützungsmaßnahmen auskommen. Doch gilt dasselbe auch für die Finanzmärkte? ... Sie sind süchtig nach dem Gratisgeld. Wenn die EZB nun abrupt aufhören würde, Geld in die Märkte zu spritzen, könnte das zu schweren Entzugserscheinungen führen. Draghi hat kein Interesse daran, einen Crash auf den Finanzmärkten zu verursachen. Denn das könnte sich negativ auf die Realwirtschaft auswirken. ... Doch sein Vorgehen ist nicht ohne Risiko. Die EZB bläst weiter Luft in die bereits ziemlich gefüllten Ballons der Finanzmärkte.“