Wie lange kann sich May noch halten?
EU-Unterhändler Barnier hat der britischen Regierung eine Frist von zwei Wochen für Zugeständnisse gesetzt, nachdem in einer weiteren Brexit-Verhandlungsrunde kein Durchbruch erzielt worden war. Nur mit einer Kabinettsumbildung kann May den Kopf noch aus der Schlinge ziehen, meinen einige Kommentatoren. Andere sehen im Chaos bei den Tories eine turbulente Phase, die auch Regierungen anderer Ländern durchmachen.
Schlechte Aussichten für die Premierministerin
Für die Regierung unter Theresa May wird es jetzt eng, analysiert La Vanguardia:
„Mehrere Faktoren haben in den vergangenen Tagen die Premierministerin weiter geschwächt und dazu geführt, dass ihre Regierung nun vor allem für Chaos steht. Zwei wichtige Minister traten zurück, ein weiterer [Außenminister Boris Johnson] beging einen schweren Fehler, aber niemand traut sich, ihn zu ersetzen. Und die Verhandlungen zum Brexit, der für den 29. März 2019 geplant ist, werden durch eine Entscheidung aus Brüssel blockiert. Entweder sagt London der EU eine konkrete Entschädigungssumme zu einem konkreten Zeitpunkt zu oder Großbritannien bekommt keine Zusage für das erwünschte Handelsabkommen. Schlechte Aussichten für Theresa May.“
Regierungsumbildung ist Mays letzte Chance
Nur ein innerparteilicher Befreiungsschlag kann die Premierministerin noch retten, meint The Daily Telegraph:
„Einflussreiche Hinterbänkler der Tories im Parlament und Parteigranden haben Theresa May seit der politischen Sommerpause zu einer großen Regierungsumbildung gedrängt. Eine solche würde es ihr ermöglichen, im Kabinett die Wackelkandidaten, Fehlbesetzungen und Versager loszuwerden. Ein Neustart wäre möglich. Außerdem würde eine Umbildung innerhalb ihrer Partei eine Entscheidung erzwingen. Entweder stellen sich die Tory-Abgeordneten hinter Mays neue Mannschaft. Oder sie müssen sich dazu durchringen, May loszuwerden. So oder so würde reiner Tisch gemacht werden. ... Eine solche Regierungsumbildung wäre Mays letzte Chance, sich zu retten.“
Turbulente Phase kein Grund zur Sorge
Die britische Innenpolitik ist in einem viel besseren Zustand als viele wahrhaben wollen, beruhigt Kolumnist David Goodhart in Financial Times:
„Es steht außer Frage, dass das politische System im Grunde gut funktioniert. Man führe sich nur vor Augen, wie das britische System mit seinen qualifizierten parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen dank seiner Flexibilität die Unabhängigkeitsbewegung in Schottland verkraftet und letztlich abgewehrt hat. Und man vergleiche das mit dem Konflikt in Katalonien. ... Die Tories mögen intern tief gespalten sein. Doch Regierungen machen häufig turbulente Phasen durch, die von sensationsgeilen Medien angeheizt werden. Und wenn man sich in Europa umschaut, sieht man viele Regierungen, die sich im Zustand einer dauerhaften leichten Krise befinden.“
Rücktritt würde ein paar Probleme lösen
Statt weitere Minister zu feuern, sollte May selbst zurücktreten, fordert der Großbritannien-Korrespondent des Handelsblatts, Carsten Volkery:
„Um Großbritannien durch die Brexit-Verhandlungen zu bringen, braucht es entschlossene - und charismatische - Führung. Als Abschiedsgeschenk könnte May zusagen, die EU-Austrittsrechnung zu begleichen. Dann könnte ihr Nachfolger unbelastet in die Gespräche mit den Europäern über ein neues Handelsabkommen gehen. Mays Abgang würde nicht alle Probleme lösen. Die Brexit-Verhandlungen blieben schwierig, die Lager in der Partei zerstritten. Doch ein neuer Tory-Chef hätte durchaus Chancen, eine Neuwahl zu gewinnen.“
Angst vor Corbyn hält Premierministerin im Amt
Die Tories werden ihre angeschlagene Premierministerin nicht so schnell fallen lassen, glaubt New Statesman:
„Könnte noch in diesem Monat das politische Ende von May kommen? Nun, ein Aspekt, den alle vergessen haben, ist, dass die Premierministerin immer noch einen großen Vorteil hat. Sein Name ist [Labour-Chef] Jeremy Corbyn. Die Angst unter den Parlamentariern der Tories vor einer von Corbyn geführten Regierung sitzt so tief, dass May immer noch größeren Gestaltungsspielraum hat, als ihr vielleicht bewusst ist. Und der weit verbreitete Eindruck, dass eine vorzeitige Neuwahl einen Labour-Sieg bringen würde, bedeutet, dass niemand unter den Tories eine Palastrevolution vom Zaun brechen wird.“
Mays Schwäche blockiert Brexit-Verhandlungen
Die Brexit-Verhandlungen stocken auch deshalb, weil sich die EU der Schwäche von May und ihrem Team bewusst ist, analysiert Hospodářské noviny:
„Beide Seiten bereiten sich mittlerweile auf die Variante 'no deal' vor, darauf, dass die offiziellen Verhandlungen scheitern. Bei einem Rücktritt von Premierministerin May bräche zweifelsohne das Chaos aus. Die Konservativen müssten einen neuen Chef suchen, der dann Premier wird. Also genau die Operation vollziehen, die nach dem Abtritt von David Cameron May an die Macht katapultierte. Das alles würde die Brexit-Verhandlungen deutlich verzögern. Bei einer möglichen Neuwahl könnte sogar Labour-Chef Corbyn an die Macht kommen. Der schwieg lange zum Brexit, tendiert aber jetzt zum Verbleib im gemeinsamen Markt.“