Ende der Proteste in Iran?
Die regierungskritischen Proteste in Iran flauen offenbar ab, die iranischen Revolutionsgarden betrachten die Protestwelle gar für beendet. Das erklärten sie am Sonntag und gaben Staaten wie den USA, Israel und Saudi-Arabien Schuld an den Unruhen, die am 28. Dezember begonnen und sich schnell im ganzen Land ausgeweitet hatten. Europas Presse beleuchtet das Verhalten der EU und des iranischen Regimes.
List und Verharmlosung auf Seiten der Regierung
Nahost-Experte Mohammed Khalaf beschreibt in 24 Chasa, mit welcher Strategie die iranische Regierung gegen die Proteste vorgeht:
„Mal zeigt sie sich lediglich als Beobachter, mal gibt sie sich den Anschein, als ob sie nachgeben wolle. ... In den Medien versucht sie, die Ereignisse zu verharmlosen, indem sie suggeriert, dass die Protestierenden lediglich aus wirtschaftlichen Gründen auf die Straße gehen. In den Anschuldigungen der Revolutionsgarde, die USA, Israel und Großbritannien steckten hinter den Protesten, und in der Sperrung der Messenger-App Telegram und der Online-Plattform Instagram offenbaren sich jedoch die wahren Ängste der Regierung.“
Westliche Einmischung verfehlt ihr Ziel
Der Versuch westlicher Staaten, im Nahen Osten Einfluss zu nehmen, indem sie regierungskritische Proteste unterstützen, fruchtet nicht mehr, glaubt Daily Sabah:
„Heute werden die gleichen Methoden, die während der Gezi-Proteste in der Türkei genutzt wurden, im Iran angewandt. Aber trotz der Unterstützung westlicher Medienorganisationen gibt es keinen konkreten politischen Gewinn. Es scheint klar, dass diese Methode des politischen Einflusses ihre Wirksamkeit für den Nahen Osten verloren hat. Präsident Trumps Botschaft zu Beginn der Proteste, es sei 'Zeit für einen Wandel im Iran', wird letztendlich zu mehr Unterstützung für die iranische Regierung führen - und nicht für die Demonstranten oder die Welle der Rebellion.“
Europa weiter ohne klare Haltung zum Iran
Europa braucht dringend eine eigene Iran-Politik, mahnt der Historiker und Politologe Gian Enrico Rusconi in La Stampa:
„Europa kann nicht tatenlos zusehen, wie Teheran die Proteste mit Tausenden von Verhaftungen niederschlägt. Es muss dieses Vorgehen entschieden verurteilen, ohne Trump nachzueifern, der die Revolte noch anheizt. Denn Trump untermauert so nicht nur den Vorwurf der iranischen Regierung, die Revolte sei von ausländischen Mächten geschürt worden. Er provoziert auch unvermeidlich eine Verschlechterung der Beziehungen mit dem iranischen Regime. Letzteres käme ihm und seinem Wunsch, das Atomabkommen aufzukündigen, sehr entgegen. ... Europa muss zu einer selbstständigen, verbindlichen und aktiven Iran-Politik finden. Die Gelegenheit bietet sich jetzt - gerade weil die Situation weit komplizierter ist, als es die vereinfachende Sichtweise von Trump nahelegt.“
Warten auf die junge Generation
Der Politikwissenschaftler Valentin Naumescu glaubt in Contributors, dass die Zeit für einen iranischen Umsturz in diesem Jahr noch nicht gekommen ist:
„Eher könnte es sein, dass das Lager von Präsident Rohani die Ereignisse nutzt, um sich der Rivalen aus dem konservativen Lager zu entledigen. Dass Rohani sie der Verwaltungsämter enthebt, die sie (aufgrund von Korruption und Amtsmissbrauch) innehaben, um eine bescheidene, aber medial sehr präsente Reform anzustoßen. Die Regierungsprobleme in Iran werden sich wohl - wie vermutlich auch in Saudi-Arabien - vergrößern, aber erst zwischen 2019 und 2020 auf eine Lösung zusteuern. Dann, wenn sich in den beiden bedeutenden islamischen Ländern alternative Anführer der jungen Generationen etabliert haben.“
Mehr Beteiligung würde vieles ändern
Die Proteste werden anhalten, bis der Iran für mehr Demokratie sorgt, ist Karar sicher:
„Der Iran ist zwar laut Verfassung eine Theokratie, also ein Religionsstaat, trotzdem kann man angesichts der Stärke des Wahlsystems nicht sagen, es gäbe keine Demokratie. Es ist aber definitiv eine unzulängliche Demokratie, wenn man sich die Schwäche der Justiz, der Medien oder der Zivilgesellschaft anschaut. ... Ein Weg, die gesellschaftlichen Zweifel und Sorgen zu beseitigen, liegt darin, die Institutionen auszubauen und nicht bloß an der Urne, sondern überall die gesellschaftliche Beteiligung zu stärken. Statt Verschwörungstheorien zu entwickeln sollte man sich der Realität stellen. Denn so kann man am klügsten denjenigen Einhalt gebieten, die vom Verlauf der Ereignisse profitieren und sich in Iran einmischen wollen.“
Medien sind der Schlüssel
Für die Demonstranten sind Kommunikationsmittel wie die Messenger-App Telegram enorm wichtig. Der aber hat sein Angebot auf Wunsch des Regimes eingeschränkt. Hier gilt es für die internationale Gemeinschaft, zu handeln, findet Le Soir:
„Die Bereitschaft des iranischen Regimes, sich zu reformieren, um der Bevölkerung bessere Lebensbedingungen zu bieten, wird nicht nur an der Härte der physischen Niederwerfung gemessen werden (bislang gab es bereits 15 bis 20 Todesopfer und hunderte Festnahmen). Ein mindestens ebenso wichtiges Beurteilungskriterium wird sein, ob Informations- und Kommunikationsmedien mundtot gemacht werden - oder neue Freiheiten erhalten. Und genau hierauf müssen sich die internationalen Schritte konzentrieren, damit die Iraner in die Lage versetzt werden, selbst Druck auf die Regierenden ihres Landes auszuüben.“
Keine Zukunft für Kleriker-Staaten
Langfristig wird sich das iranische Regime nicht halten können, schreibt der Soziologe Igor Eidman in einem von newsru.com wiedergegebenen Facebook-Beitrag:
„Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Die städtische Jugend in Iran, in der Türkei und in Ägypten hat sich in den letzten Jahren aktiv gegen den Klerikalismus gestellt. Deshalb hat er in diesen Ländern keine Zukunft. In den letzten paar Jahrhunderten sind die Staaten in Europa, in den beiden Amerikas und im Fernen Osten säkular geworden. Die klerikale Reaktion ist heute hauptsächlich in der islamischen Welt und in Russland aktiv. Doch früher oder später wird auch in diesen Ländern die Religion ihre Versuche zur politischen und moralischen Dominanz aufgeben und die banale Rolle übernehmen, Anlassgeber für Familienessen und kostümierte Kinderfeste zu sein.“
Unruhe, Krieg und Terror endlich beenden
Europa muss den Regimewandel forcieren, fordert der aus dem Iran stammende Journalist Ehsan Kermani in De Volkskrant:
„Viele Diktaturen wurden mit Hilfe des Auslands zu Fall gebracht. Jetzt haben die Niederlande und Europa eine goldene Chance, die Iraner zu unterstützen. Europa muss alle Gewalt gegen Demonstranten verurteilen und die Menschenrechte weit oben auf die Agenda setzen. ... Wie die USA muss auch die EU die Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen. ... Mit dem Ende des Regimes werden 40 Jahre Unruhe, Krieg, Terrorismus und Massenflucht enden.“
Europas Schweigen ist falsch
Die Wochenzeitung Ir ärgert sich über die Reaktion der Europäischen Union auf die Ereignisse im Iran:
„[Sie] ist ein echter Skandal. Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini hat sich nicht zu den Ereignissen geäußert. Die EU will offenbar ihre diplomatischen Möglichkeiten nicht nutzen, um ihre Unterstützung für eine demokratische Lösung der Situation zu bekunden. Bedauerlich, dass die EU zunehmend ihre Prinzipien aufgibt. … Es scheint, dass die Hauptstädte der meisten europäischen Länder in aller Stille hoffen, dass das iranische Regime die Unruhen bald unterdrücken werde, sich im Staat eine Friedhofsruhe einstellt und man in Ruhe weiter Handel treiben kann. Dank des Handels hat Teheran jetzt Milliarden, mit denen es weiter die Kriege in Syrien und Jemen unterstützen und täglich drohen kann, Israel zu vernichten.“
Westen braucht gemeinsame Haltung
Die Europäer müssen dringend ihre Iranpolitik überdenken, glaubt The Times:
„Bislang hat Teheran die europäischen Unterzeichner des Atomabkommens gegen Trump ausgespielt. Jetzt ist es Zeit, dass wir uns mit Trumps Team an einen Tisch setzen und uns auf gemeinsame Ziele einigen: Ist es im kollektiven westlichen Interesse, dass der Iran zur militärischen Vormacht in der Region wird? Was können zusätzliche Sanktionen ausrichten? Wie erreichen wir die einfachen Iraner und überzeugen sie davon, dass die Zerstörung, die ihre Regierung in anderen Ländern anrichtet, ihrem Ansehen in der Welt schadet? Dass ihre Wirtschaft von einer räuberischen Revolutionsgarde einverleibt wird? Die Iraner stehen vor einer klaren Entscheidung zwischen Waffen und Butter. Wir sollten sie in Richtung der richtigen Zukunft stupsen.“
Autoritärer Gegenschlag droht
Westliche Forderungen nach einem Regimewechsel könnten für das Anliegen der Demonstranten kontraproduktiv sein, warnt Der Standard - und wirft Ländern wie den USA eine eigene Agenda vor:
„Dass die Proteste in absehbarer Zeit zu einem Umsturz führen, daran glaubt kaum ein Experte. Der wahrscheinliche mittelfristige Ausgang einer Gewalteskalation wäre wohl ein autoritärer Backlash im Iran - und das endgültige Ende von Rohanis Bestrebungen, den Menschen etwas mehr Luft zum Atmen zu verschaffen. Die krude Wahrheit ist natürlich, dass sich das Bedauern der meisten (nicht-iranischen) Regimegegner im Ausland darüber in Grenzen halten würde: Denn wenn es den Iranern und Iranerinnen halbwegs gutgeht, wird die nächste Revolution noch länger auf sich warten lassen.“
Trump sollte sich nicht einmischen
Die Tweets, mit denen Donald Trump die Proteste in Iran unterstützt, richten nichts als Schaden an, findet Hürriyet Daily News:
„Hält der US-Präsident die Iraner für Narren, die ein Gedächtnis wie ein Goldfisch haben und sich nicht an den von der CIA gesponserten Staatsstreich von 1953 erinnern können? Denkt er nicht daran, dass andere Regierungen in diesem alten Teil der Welt dadurch ebenfalls beunruhigt sein könnten? ... Aus Sorge, dass die US-Politik der 1950er bis 1980er Jahre zurück sein könnte, als die USA Militärputsche in Lateinamerika und im Nahen Osten förderten. Und dass ihren Regierungen das gleiche passieren könne. Also werden sie eher zu harten Maßnahmen neigen und jedweden demokratischen Protest in ihren Ländern zerschlagen - gerechtfertigt durch Trumps offene Einmischung in iranische Angelegenheiten.“
Russlands Angst vor dem Aufstand
Moskau, einer der wenigen Verbündeten Irans, reagiert mit Beunruhigung auf die Protestwelle, weiß der Radiosender Echo Moskwy zu berichten:
„Wir fürchten all diese Maidans, diese orangenen und farbigen Revolutionen, und schauen entsprechend auf jede Unruhe in welchem Land auch immer wie auf einen Probelauf für das, was auch bei uns passieren könnte. Die iranischen Machthaber behaupten, das Ganze sei ein Aufstand und kein Protest - und zwar der Aufstand einer Minderheit! Dabei rebelliert diese Minderheit faktisch im ganzen Land. Zum Schuldigen ernennt man trotzdem äußere Kräfte, Aufwiegelung durch das Ausland. Alles wie bei uns! Als ob das Volk nicht von sich aus unzufrieden sein könnte und protestieren würde.“
Die Iraner haben es satt
Die Proteste basieren auf einer weit verbreiteten Wut, schildert Cumhuriyet:
„Es ist eine Situation, wie sie die Iranische Islamische Republik in ihrer Geschichte noch nicht erlebt hat. Interessant ist, dass die Demonstrationen weder unter der Kontrolle irgendeiner politischen Bewegung noch als Reaktion auf eine politische Entwicklung entstanden sind. Im Gegenteil: Sie agieren spontan und unorganisiert und sie vereinen verschiedene Teile der Gesellschaft. ... Das ist weder eine Revolution, noch eine politisierte gesellschaftliche Bewegung, sondern eine Explosion. Grund dafür sind die wachsende Arbeitslosigkeit, besonders unter den Jugendlichen, die Schwächung der nicht auf dem Öl basierenden Wirtschaftsbereiche, die abnehmende Kaufkraft - kurz: unerträglich gewordene Existenzprobleme.“
Leider kein iranischer Frühling
Trotz Wut und Frust wird aus den Demonstrationen im Iran wohl kein Umsturz, bedauert die Basler Zeitung:
„Die Szenen aus Iran erinnern zwar an den Anfang des Aufstands in Ländern wie Tunesien oder Ägypten vor sieben Jahren. Aber die Demonstrationen in Iran stellen derzeit keine Gefahr für das Regime dar. Es verfügt zum einen über genügend Möglichkeiten, den Aufstand zu beenden: mithilfe seiner Propagandamaschine in den Moscheen, seiner Polizei und seinem Militär. Zudem haben die Demonstranten - zumindest bisher - weder eine Führung noch ein Programm, die der Protestbewegung eine Richtung geben und konkrete Ziele stecken könnten. Ein iranischer Frühling ist deshalb - leider - noch nicht in Sicht.“
Proteste nicht weiter anheizen
Die Demonstrationen könnten weiter an Fahrt aufnehmen, hofft The Times, mahnt den Westen aber zur Zurückhaltung:
„Auch wenn der Sturz des Schahs schon 39 Jahre her ist: Der Iran kann sich noch an die wirtschaftlichen Missstände und das Gefühl von Unterdrückung und Ungerechtigkeit erinnern, das die Massenbewegung zur Unterstützung des Exil-Klerikers Ayatollah Khomeini anheizte. ... Der Schah antwortete mit eiserner Faust auf den Aufstand von 1979, was ihn den Thron kostete. Die heutigen Proteste haben mehr Gewicht als die Proteste gegen die gefälschten Wahlen von 2009, denn ihre Unterstützerbasis ist größer. Es wäre unklug vom Westen und insbesondere von Trump, die Proteste anzustacheln. Das könnte die Hardliner auf den Plan rufen. Besser ist es, abzuwarten und dem Regime dabei zuzuschauen, wie es sich entblößt und in den eigenen Widersprüchen verstrickt.“
Regimegegner nicht wieder im Stich lassen
Der Westen darf seinen Fehler von 2009 nicht wiederholen, mahnt dagegen La Stampa:
„Die Iraner hofften damals, der Westen würde sie unterstützen. Was sie stattdessen erfuhren, war politischer und moralischer Verrat, für den der damalige US-Präsident Obama zwar nicht allein-, aber hauptverantwortlich war. ... Obama lenkte Amerika und somit auch Europa auf den Weg einer nachsichtigen Politik gegenüber genau dem Regime, gegen das die Iraner heute wieder erhobenen Hauptes protestieren und dabei ihr Leben riskieren. Deshalb ist die Entscheidung der Regierung Trump, sich sofort hinter die Demonstranten zu stellen, so wichtig. Auch Europa muss sich entscheiden. Nach den ersten schüchternen Erklärungen aus Berlin und Brüssel hat es jetzt Gelegenheit für eine drastische Änderung seines verfehlten Kurses der letzten acht Jahre gegenüber den Ayatollahs.“
Westen darf die Augen nicht verschließen
Wenn gegen die Demonstranten Gewalt angewendet wird, darf Europa nicht schweigen, fordert auch De Telegraaf:
„Mit dem Atomdeal wurde der Iran 2015 wieder von der internationalen Gemeinschaft aufgenommen. ... Doch wegen anhaltender Aggression im Nahen Osten und einer Reihe von Raketentests erwägt Präsident Trump, in diesem Monat erneut Sanktionen zu verhängen. Europa ist dagegen, doch wenn die heutigen Proteste genau wie 2009 knallhart niedergeschlagen werden, dann kann es schwerlich weiter die Augen vor dem brutalen Regime in Teheran verschließen. ... Durch hartes Eingreifen der Revolutionären Garde droht der Iran nicht nur jede internationale Unterstützung zu verlieren, sondern auch die Unruhe im eigenen Land weiter zu schüren.“