Proteste gegen Justizreform: Rumänien in Aufruhr
In Rumänien leisten die Bürger weiter Widerstand gegen die Justizreform. Am Samstag gingen allein in Bukarest 70.000 Menschen auf die Straße. Anlass ist wohl auch die Regierungsumbildung, gilt doch die neue Premierministerin als Gegnerin eines harten Anti-Korruptionskampfes. Einige Beobachter stimmt der Protest euphorisch - andere zeigen sich besorgt, weil sie eine neue Auswanderungswelle beobachten.
Revolution der Jugend ist unaufhaltsam
Der Wandel in Rumänien ist nicht mehr zu stoppen, glaubt Philosoph Andrei Cornea und schreibt in Revista 22:
„Die Revolution ist bereits in vollem Gange. Es ist die Revolution der Rezist-Generation [Rezist bedeutet 'Widerstand leisten', 'Nicht aufgeben' und ist zur Parole der Proteste geworden]. Diese marschiert selbst bei Schneegestöber durch alle großen Städte des Landes - nicht, um höhere Gehälter zu fordern, sondern für immaterielle Werte: für eine unabhängige Justiz, für einen Rechtsstaat, für eine Absetzung der Korrupten. Sie demonstrieren nicht, weil sie bezahlt oder manipuliert wurden, noch aus Ignoranz, so wie es die einfältige PSD-Propaganda einem weismachen will. Sie demonstrieren, weil sie die Werte der Freiheit verinnerlicht haben, weil sie ein Ideal haben, eine Überzeugung. Und genau das macht ihre Revolution unaufhaltsam.“
Mittelschicht kehrt dem Land den Rücken
Darauf, dass die aktuelle politische Situation in Rumänien eine neue Auswanderungswelle ausgelöst hat, macht Hotnews aufmerksam:
„Die massive Auswanderung nach dem Jahr 2000 betraf vor allem die Arbeiterklasse und Leute, die vom Lande kommen - die Opfer der Deindustrialisierung sozusagen. Jetzt kommt es zu einer massiven Auswanderung der Mittelschicht: Unternehmer, Angestellte von Konzernen, Freelancer. Sie werden seit Jahren dort getroffen, wo es am meisten schmerzt: Ihre ökonomische Freiheit ist eingeschränkt, sie brauchen eine unabhängige und starke Justiz, die nicht permanent von der [regierenden sozialdemokratischen] PSD ausgehöhlt wird. … Bis auf die großen Konzerne, die die Möglichkeiten haben, mit ständigen Gesetzes- und Steueränderungen umzugehen, ist der Rest der Wirtschaftsakteure verstört.“
Widerstand verliert an Kraft
Die Menschen, die am Samstag auf den Straßen waren, werden nichts erreichen, meint der rumänische Dienst der Deutschen Welle:
„Der Protest hat seinen Einfluss verloren, weil sein potenzieller politischer Verbündeter - Präsident Johannis - der Ernennung einer neuen PSD-Regierung zugestimmt hat. Auch der heterogene Charakter der Demo-Teilnehmer, ihre vage Botschaft und ihre unklaren Ziele haben dazu beigetragen, dass der Protest am Samstag schnell an Energie verloren hat. Denn niemand nimmt die Proteststimmung auf und trägt sie weiter. … Ex-Premier Dacian Cioloș [parteilos, Premier von Ende 2015 bis Anfang 2017] sagte am Tag des Regierungsrücktrittes etwas Bezeichnendes: 'Ich glaube, dass wir unsere Enttäuschung über solche Situationen in die Fähigkeit verwandeln müssen, Alternativen durch Fakten zu bieten.'“
Der Tag X wird für die Machthaber kommen
Auf lange Sicht werden die Demonstranten gewinnen, glaubt Publizistin Claudia Postelnicescu auf dem Blogportal Contributors:
„Die schlechte Nachricht für Autokraten und Lokalbarone ist: ... Die Zahl derer, die sich ihren Werten nicht unterordnen wollen und auch nie werden, steigt täglich. ... Die Geschichte ist gegen sie und nicht für sie. Die Dinge wiederholen sich eine Zeit lang, doch dann ändern sie sich unumkehrbar. ... Jene Rumänen, die verstanden haben, dass ihre Stimme und ihr bürgerliches Engagement für eine gesunde Demokratie unerlässlich sind, wollen keinen Rückfall in eine Epoche lokaler Tyrannen. Eine Zeit lang funktioniert Machiavellismus. Doch Tag X wird kommen.“