EU-Kommission: Wäre Weber der richtige Mann?
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber hat angekündigt, nach der Europawahl 2019 Nachfolger von Juncker als EU-Kommissionspräsident werden zu wollen. Ob die EVP ihren derzeitigen Fraktionschef zum Spitzenkandidaten kürt, entscheidet sie am 8. November. Europas Medien wägen schon jetzt die Vor- und Nachteile einer Präsidentschaft Webers ab.
Ein pragmatischer Brückenbauer
Ein deutscher Kommissionspräsident Weber wäre gleich aus mehreren Gründen gut für Europa, zählt die Neue Zürcher Zeitung auf:
„Erstens könnte er besser als jeder ausländische Präsident die misstrauischen Deutschen mitnehmen, wenn es um die schon lange in Brüsseler Schubladen schlummernden Reformpläne für eine Post-Brexit-EU unter deutsch-französischer Führung gehen wird. Zweitens besitzt Weber als Politiker und Persönlichkeit viele Fähigkeiten, die ihn zu einem erfolgreichen Kommissionspräsidenten machen dürften: Erfahrung und beste Vernetzung in den Brüsseler Maschinenräumen, eine solide innere Wertordnung, ein offenes, bescheidenes Auftreten sowie die absolut zentrale Fähigkeit zu Pragmatismus und Kompromissen. Als Vertreter einer jüngeren Generation gäbe er der Brüsseler EU-Zentrale ein offenes, freundliches Gesicht.“
Weber könnte Wegbereiter für Rechtsruck sein
Die politische Herkunft Webers bereitet der Tageszeitung El Periódico de Catalunya Sorgen:
„Von der Kandidatur des bayerischen Politikers geht eine beängstigende Botschaft aus, weil er derjenigen bayerischen Partei angehört, die sich immer mehr dem Populismus zuneigt. Die EVP sieht sich als Zuhause der europäischen Mitte-Rechts-Parteien, nimmt aber auch eindeutig rechte und sogar rechtsextreme Gruppierungen auf. Das ist der Fall bei Fidesz-MPSZ, der Partei von Premier Viktor Orbán, und Slovenska demokratska stranka (SDS) des slowenischen Expremiers Janez Janša.“
Zu viel Toleranz gegenüber den Illiberalen
Der Politologe Yascha Mounk wirft Weber in einem Gastbeitrag für La Repubblica Prinzipienlosigkeit vor:
„Die EU wird in ihrem Inneren zutiefst illiberale und sogar undemokratische Staaten tolerieren und damit der eigenen Legitimität schaden. Die deutschen Bürger mögen akzeptieren, dass sie die Souveränität mit französischen Bürgern teilen, um international mehr Gewicht zu haben. Doch es wird schwer sein, sie davon zu überzeugen, dass sie dies auch mit einem ungarischen Diktator tun müssen. Wenn Weber und Merkel für eine im Grunde nur bedingt wichtige Mehrheit im Parlament bereit sind, ihre Prinzipien aufzugeben, warum sollten wir dann damit rechnen, dass sie sich nicht mit den Nationalisten der AfD verbünden, wenn das der Preis für den Machterhalt in Berlin sein sollte?“
Merkels taktische Manöver
Mit Webers Kandidatur verfolgt Kanzlerin Merkel mehrere Ziele, führt De Standaard aus:
„Merkel will vor allem, dass die Kommission stärker und verbindender nach außen wirkt. Auch ist es ein Signal, dass Deutschland seine Verantwortung ergreifen will. Doch zugleich ist dies auch ein taktisches Manöver um zu verhindern, dass die Europäische Volkspartei, die Kuppel der christdemokratischen und konservativen Parteien, durch Spannungen über die Migrationspolitik auseinanderfällt. Denn das würde ihre dominierende Position im europäischen Kräftefeld bedrohen. Weber versicherte sich auch der Unterstützung des ungarischen Premiers Viktor Orbán, der in dieser Hinsicht Merkel diametral gegenüber steht. Machtpolitik erfordert eben, dass man bisweilen Wasser und Feuer miteinander versöhnen kann.“
Populisten könnten Weber verhindern
Ein möglicher Wahlerfolg der populistischen Parteien könnte den Spitzenkandidaten-Prozess gefährden, meint Politikexperte Radu Carp im Blog bei Adevărul:
„Populistische Parteien könnten laut aktueller Meinungsumfragen 150 Sitze im neuen EU-Parlament holen. Der Abstand zur EVP wird damit immer kleiner. Würden die Populisten den Volksparteien in allen EU-Mitgliedsländern noch 25 Sitze abnehmen, würde das Machtgleichgewicht zu ihren Gunsten ausfallen. Da Merkel sich dieses Szenarios bewusst ist, setzt sie auf einen Kandidaten mit dem Profil eines Manfred Weber. Was aber passiert, wenn die populistischen Parteien einen gemeinsamen Kandidaten vorschlagen und sich auf das Spitzenkandidaten-Verfahren berufen? ... Dann würden Frankreich und Deutschland vermutlich auf das Verfahren verzichten und ein Technokrat, den alle Parlamentsgruppen unterstützen, könnte den Posten bekommen.“
Spitzenkandidaten-Prozess in Gefahr
Der noch junge Spitzenkandidaten-Prozess steht möglicherweise schon vor dem Aus, meint Jutarnji list:
„Es ist nicht verwunderlich, dass die Europäische Volkspartei sich für den Erhalt des Spitzenkandidaten-Prinzips einsetzt, da sie so den meisten Einfluss in den EU-Institutionen behält. Doch ist unklar, ob dieses Prinzip diesmal überleben wird, da immer mehr Politiker dagegen sind. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel scheint nicht begeistert davon zu sein, obwohl sie den Prozess formell akzeptiert. ... Doch sagte sie auch, dass man dieses Prinzip mit der Idee transnationaler Listen bei der EU-Wahl verbinden sollte, wie von Frankreichs Präsident Macron vorgeschlagen.“
Weber ist quasi schon am Ruder
Als graue Eminenz der EVP sitzt Weber schon halb im Chefsessel, glaubt 24 Chasa:
„Dass die EVP noch steht, ist größtenteils Webers persönlicher Verdienst. Ohne seine stille, aber wirksame Diplomatie wären sich die klassischen Christdemokraten schon längst mit den nationalkonservativen Ungarn und den ziemlich linken Belgiern in die Haare geraten. Ohne Weber geht im EU-Parlament kein Gesetzentwurf durch, das geben selbst die Sozialdemokraten zu. Nicht ohne Grund ist er Mitglied des sogenannten G5-Klubs der einflussreichsten EU-Politiker. Darin sind außer Weber nur Juncker, sein Vertreter Timmermans, der ehemalige Parlamentspräsident Martin Schulz und der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament Gianni Pittella vertreten. Dass sowohl die Sozialdemokraten als auch die Nationalkonservativen Weber schätzen, erhöht seine Chancen auf den Chefposten in der EU-Kommission ungemein.“
Berlin hat seine Leute überall
Sollte Manfred Weber Spitzenkandidat der EVP werden, wird Deutschland noch mehr Macht in der EU erhalten, warnt Naftemporiki:
„Sicher ist, dass Berlin diese Kandidatur mit allen Mitteln anstreben wird. ... Außer durch die Europapolitik Berlins, die für den europäischen Süden nicht als die geeignete betrachtet wird, hat Deutschland maßgeblichen Einfluss durch Ämter in deutscher Hand: Werner Hoyer führt die Europäische Investitionsbank, Klaus Regling leitet den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), Elke König den einheitlichen europäischen Bankenabwicklungsmechanismus. Welche Konsequenzen wird die Ansammlung aller Ämter [in deutschen Händen] für die EU und ihre Bürger haben?“
Weidmann wäre kein guter Zentralbank-Chef
Die Signale aus Deutschland sind ein Grund zu Erleichterung, findet Financial Times:
„Grundsätzlich spricht nichts gegen einen Deutschen an der Spitze der EZB. Doch Weidmann war ein hartnäckiger Gegner von Mario Draghis weitreichenden Maßnahmen zur Rettung des Euro nach dem Motto 'Koste es, was es wolle', wie Draghi es selbst formuliert hatte. Weidmann wehrte sich zu Unrecht sowohl gegen Draghis Vorschlag, die Märkte durch den Ankauf von Staatsanleihen aus Krisenstaaten zu stabilisieren, als auch gegen das darauf folgende EZB-Programm der expansiven Geldpolitik. Die EZB muss die gesamte Eurozone vertreten und darf nicht zum Erfüllungsgehilfen einer Partei mit oft abweichenden Ansichten wie der Bundesbank werden.“
Riskantes Spiel von Merkel
Die Bundesregierung sollte ihren guten Kandidaten für die Nachfolge von EZB-Chef Draghi, Jens Weidmann, nicht demontieren, warnt die Neue Zürcher Zeitung:
„[E]in deutscher EU-Kommissions-Präsident wäre 'pflegeleichter', da Berlin auf ihn wohl mehr Einfluss hätte als auf den Präsidenten der EZB, die unabhängig ist. Doch gerade in Krisensituationen ist die Geldpolitik matchentscheidend, weil sie viel rascher reagieren kann als die Finanzpolitik. Die jüngsten Indiskretionen helfen einer möglichen Kandidatur Weidmanns gewiss nicht. Es kann sogar passieren, dass Deutschland am Ende ganz mit leeren Händen dasteht. Da müsste sich Merkel selbst an der Nase nehmen. Noch ist es zum Umsteuern nicht ganz zu spät. Wie hatte Merkel am Höhepunkt der Krise einmal gesagt? 'Der Euro ist unser Schicksal.' Die Kanzlerin sollte wissen, was sie an Weidmann hat. Die Geldpolitik wäre bei ihm in guten Händen.“
Berlin ohne überzeugende Kandidaten
Bloggerin Adelina Marini bewertet in Sega die Kandidaten, die derzeit in Deutschland als künftige Kommissionspräsidenten zur Debatte stehen:
„Manfred Webers Sympathien für antiliberale Staatsoberhäupter und die Tatsache, dass er die Migration zum Hauptthema erhoben hat, lassen vermuten, dass das Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingestellt werden könnte, genauso wie die Sanktionen gegen Ungarn und vielleicht sogar das EU-Monitoring in Bulgarien und Rumänien. ... Es sieht so aus, als wolle Weber in Brüssel Realpolitik betreiben und Deutschlands innenpolitische Probleme nach Brüssel exportieren. ... Ursula von der Leyen und Peter Altmaier, die anderen beiden Kandidaten, sind schwache Kandidaten, zeigen aber, dass Merkel einen engen Vertrauten im EU-Chefsessel haben will.“
EZB-Chefposten wäre Lottogewinn für Finnland
Finnland darf jetzt die Chance auf den Posten des EZB-Chef nicht verspielen, betont Kauppalehti:
„Der ehemalige Chef der finnischen Notenbank, Erkki Liikanen, wird laut Bloomberg als Nachfolger von EZB-Chef Mario Draghi gehandelt. ... Olli Rehn, amtierender Chef der finnischen Notenbank, steht auf Platz 5. ... Bisher hielt Jens Weidmann, Präsident der deutschen Bundesbank, die Pole Position. ... Es ist natürlich schmeichelhaft für Finnland, dass zwei Finnen ganz oben auf der Liste stehen. Die endgültige Entscheidung kann aber auch von der finnischen Parlamentswahl [im kommenden April] abhängen. Die Sozialdemokraten könnten einen anderen Kandidaten für die EU-Spitzenjobs präsentieren als die Sammlungspartei oder das Zentrum. ... Der Posten des EZB-Präsidenten wäre für Finnland aber solch ein Lottogewinn, dass dieser nicht aus parteitaktischen Gründen aufs Spiel gesetzt werden darf.“