EU-Parlament urteilt über Ungarn
Das EU-Parlament stimmt am heutigen Mittwoch über die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn ab. Ob es zu einer Zweidrittel-Mehrheit kommt, hängt wesentlich von der EVP-Fraktion ab, der auch Orbáns Partei Fidesz angehört. Ungarns Premier übte am Dienstag scharfe Kritik am Bericht der EU-Abgeordneten Sargentini, in dem ein Artikel-7-Verfahren gefordert wird. Wie soll das Parlament entscheiden?
Endlich wird rote Linie gezogen
Endlich regt sich auf EU-Ebene Widerstand gegen Orbáns Politik in Ungarn, freut sich die Wiener Zeitung:
„Auf europäischer Ebene hat sich nun - spät aber doch - die Einsicht durchgesetzt, dass man Orbáns Treiben viel zu lange tatenlos zugesehen hat. Anstatt demokratische Gesinnung und den Rechtsstaatsgedanken in Länder des ehemaligen Ostblocks zu exportieren, war die EU in Gefahr, autoritäre Gesinnung, Korruption und antidemokratischen Ungeist aus Ländern wie Ungarn zu importieren. Dass nun endlich eine rote Linie gezogen wird, ist ein deutliches Signal gegen die Fans der 'illiberalen Demokratie'.“
Orbán ist Hindernis für Webers Ambitionen
Warum Ungarns Premier nicht auf den uneingeschränkten Rückhalt seiner Fraktion im Europaparlament zählen kann, erklärt Jean Quatremer, Brüssel-Korrespondent von Libération:
„Wenn die EVP Orbán unterstützt, reiht sie sich bei den EU-feindlichen 'Populisten' ein. Dass Weber vorsichtiger vorgeht, liegt an der anstehenden Europawahl und an seiner Kandidatur als EU-Kommissionschef. Orbán ist ein Hindernis für seine Ambitionen: einerseits, weil sich ein Teil der Wählerschaft von der traditionellen Rechten abzuwenden droht, wenn die Europawahl im Mai kommenden Jahres zu einer Konfrontation zwischen EU-Befürwortern und -Gegnern werden sollte; andererseits, weil ein Teil der Staats- und Regierungschefs sich weigern könnte, den Vertreter einer orbanisierten EVP, die somit offen für Bündnisse mit der extremen Rechten ist, zum Kommissionspräsidenten zu küren.“
Verfahren könnte nach hinten losgehen
Man sollte vom Artikel-7-Verfahren keine Wunder gegen die populistischen Umtriebe in Europa erwarten, warnt De Standaard:
„Die Opferrolle ist ein populäres Instrument in den Händen der identitären Verführer. Wenn man Orbán und seine Gleichgesinnten isoliert, dann riskiert man, den gegenteiligen Effekt zu erreichen. Die Androhung von finanziellen Bußen oder politischen Sanktionen wird die Rachegelüste gegen die EU und ihren 'arroganten' westlichen Flügel nur vergrößern. Die Herzen und Köpfe der Wähler von Orbán und anderer Populisten zurück zu gewinnen, ist komplexer. Ihre Angst und Wut müssen gehört und beantwortet werden. Aber zugleich müssen sie davon überzeugt werden, dass ihre Zukunft in einem friedlichen Europa liegt, das auf Gesetzen, Rechten und Freiheiten beruht.“
Strafe für Ungarns Migrationspolitik
Die Sorge um Rechtsstaat und Demokratie in Ungarn ist nur vorgeschoben, glaubt die rechtsnationale Tageszeitung Figyelö:
„Ungarn soll aufgrund zahlreicher Lügen im Sargentini-Bericht verurteilt werden und das unter dem Deckmäntelchen des Schutzes der Demokratie. Die Politiker, die immer das von George Soros propagierte Bild der offenen Gesellschaft vor Augen haben und die Migration befördern, sind nicht mit der ungarischen Einwanderungspolitik einverstanden und versuchen sie mit allen Mitteln zu ändern. Die Ungarn haben seit 2015 bei vielen Gelegenheiten ihren Willen bekundet, nicht in einem Einwanderungsland leben zu wollen. Aber das möchten diejenigen in Brüssel nicht wahrhaben, die sich vor der Demokratie fürchten und auch die heimische Opposition will das nicht akzeptieren.“
Europawahl wird liberalen Spuk beenden
Der Bericht ist ein weiterer Angriff des liberalen Establishments, das bei der Europawahl im kommenden Jahr abgestraft werden wird, glaubt die Leiterin des Auslandsressorts von Magyar Hírlap, Mariann Öry:
„Die einzig gute Nachricht ist, dass die Tage dieser mit sich selbst beschäftigten, arroganten liberalen Elite, die jeden Bezug zur Realität verloren hat, gezählt sind. Wir wissen zwar, dass gute Kader nicht verloren gehen und dass sie sicher alle eine Stelle im Soros-Netzwerk finden. Doch die kommende Europawahl wird für sie eine große Ohrfeige. Der französische Philosoph und Historiker Dominique Venner hat kurz vor seinem Tod 2013 gesagt, dass es eine der beunruhigenden Folgen des Masochismus der westlichen Kultur sei, dass Migranten den Kontinent kolonialisieren. Doch er beschrieb auch, dass die Menschen aufwachen und zu Bewusstsein kommen werden.“
Erwartbare Empörung aus Budapest
Es ist wenig verwunderlich, dass die ungarische Regierung so gegen den Sargentini-Bericht wettert, kommentiert die regierungskritische Tageszeitung Népszava:
„Die Abstimmung über den Bericht sitzt uns im Nacken. Und am Dienstag wird Viktor Orbán persönlich versuchen, seinen Standpunkt im EU-Parlament zu vertreten und auf der Meinung der niederländischen Grünen-Abgeordneten Sargentini herum zu trampeln. Doch vorher werden sich wieder alle, die zum Machtzirkel zählen, in Kötcse [Treffpunkt der Fidesz-Parteispitze] versammeln. Und es ist klar, zu welchem Schluss sie dort kommen werden. Wahrscheinlich werden wieder die Schlüsselwörter erklingen, die schon in den vergangenen Tagen die Kommunikation des Fidesz und der Regierung bestimmt haben: Rache, Strafe, Soros. Und: Brüssel führt natürlich einen Rachefeldzug gegen unsere süße Heimat.“