Wer entscheidet über Syriens Zukunft?
Nachdem die Offensive auf die letzte syrische Rebellenhochburg Idlib vorerst abgewendet ist, stellt sich die Frage, wie eine Nachkriegsordnung in dem Land aussehen könnte. Eine Gruppe internationaler Juristen warnte am Dienstag in einem Appell an UN-Generalsekretär Guterres davor, dass beim Wiederaufbau die Menschenrechte missachtet werden könnten. Dass der Westen jetzt nicht wieder wegschauen darf, mahnen auch Kommentatoren an.
Westen wird kleine Veränderungen anstoßen
Dass nach einem Friedensschluss in Syrien alles wieder so wird, wie vor dem Krieg, kann sich das libanesische Onlineportal Almodon nicht vorstellen:
„Der Westen wird bei den Verhandlungen mit dem Astana-Trio (Russland, Iran und Türkei) darauf bestehen, die Macht des Staatspräsidenten einzuschränken. Es ist eine Vorstufe für seine Absetzung. Dafür erhält der Premier mehr Befugnisse. Das künftige Syrien soll ein parlamentarisches System bekommen. ... Westliche Staaten werden zwar fordern, dass Verantwortliche für Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden müssen, und die Regierung des künftigen Syrien mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten muss. ... Aber es ist durchaus möglich, dass diese Forderungen im Laufe der Verhandlungen abgeschwächt werden.“
Internationales Recht nicht opfern
Pierre Haski, Kolumnist beim Radiosender France Inter, misst dem Aufruf trotz dessen geringer Erfolgschancen große Bedeutung bei:
„Der Appell der Juristen erfolgt im Rahmen der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats, die im Dezember 2015 von den 15 Mitgliedsstaaten, darunter Russland, einstimmig angenommen wurde. ... Die Resolution befürwortet eine politische Transition in Syrien, die mit einer Einstellung der Kämpfe einhergehen soll. Sie ist jedoch unbeachtet geblieben und vom Konsens von 2015 ist auch nichts mehr übrig. Noch dazu hat sich der Krieg zu Gunsten von Damaskus gewendet. Der Appell der Juristen hat daher in der aktuellen Lage kaum Chancen, Gehör zu finden. Dass er existiert, ist aber bereits ein großer Verdienst: Er ruft in Erinnerung, dass in einer Welt, die sich zum Dschungel zurückverwandelt, das internationale Recht eingehalten werden muss.“
Syrer haben weiterhin Besseres als Assad verdient
Die Zukunft Syriens liegt im Moment zwar in den Händen Russlands, der Türkei und des Iran, doch das heißt nicht, dass der Westen sich aus der Verantwortung stehlen kann, findet Politiken:
„Die Türkei hat de facto Teile des nördlichen Syrien annektiert und wünscht kein Chaos in Idlib. Russland seinerseits hat bereits das Überleben des Assad-Regimes gesichert. ... Auf der anderen Seite haben die USA und Europa sowohl unsere eigenen Ideale als auch die des syrischen Volkes enttäuscht. All unser Reden von Demokratie hat nichts gebracht. ... Es wäre nun verlockend, das Handtuch zu werfen und Syrien Russland, der Türkei und dem Iran zu überlassen. Verlockend - aber falsch. Die Schlacht um Syrien ist für dieses Mal verloren, aber auf lange Sicht geht es nach wie vor darum, eine Zivilgesellschaft aufzubauen, die Assad ablösen kann. Die Syrer haben Besseres verdient. Viel Besseres.“
Russen sollten schleunigst raus aus Syrien
Die syrische Luftabwehr hat vergangene Woche versehentlich ein russisches Militärflugzeug abgeschossen. Moskau führt dies auf israelische Luftangriffe zurück. Oppositionspolitiker Alexej Melnikow warnt in einem von newsru.com wiedergegebenen Blogbeitrag, dass Russland in Syrien zwischen die Fronten zu geraten droht:
„Russland hat sich wegen Putins Schuld in Syrien in den Konflikt zwischen Syrien und Israel gezwängt ... Das hat die Tragödie der Il-20 deutlich gezeigt. Doch statt daraus Schlüsse zu ziehen und Syrien zu verlassen, entscheidet sich die russische Staatsmacht für das Gegenteil - und riskiert weiterhin das Leben russischer Militärs, verheizt Ressourcen und balanciert am Rande eines militärischen Konflikts mit Israel, den USA und deren Verbündeten.“