Rom gibt Paris die Schuld an Migration aus Afrika

Italiens Vizeregierungschef Di Maio hat Frankreich vorgeworfen, in Afrika eine "Kolonialpolitik" zu betreiben und deshalb schuld zu sein an der "Massenflucht" nach Europa. Paris bestellte daraufhin Italiens Botschafterin ein. Doch Innenminister Salvini legte nach und spottete, dass Macron viel reden, aber wenig erreichen würde.

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Jeune Afrique (FR) /

Starker Tobak für Macron

Wie Di Maios Anfeindungen im Nachbarland aufgenommen werden, beschreibt das Nachrichtenmagazin Jeune Afrique:

„Luigi Di Maios Äußerungen lösen in Frankreich doppelten Unmut aus. Denn zum einen ist die Kolonialzeit ein Tabu, das Emmanuel Macron wiederholt auf den Tisch zu bringen versucht, seitdem er die Kolonialzeit im Frühjahr 2017 als 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit' eingestuft hat. Zum anderen hat der italienische Vizepremier seine historisch-geopolitischen Ausführungen durch einen Appell an die Europäische Union ergänzt, Sanktionen zu verhängen gegen Frankreich 'und alle Länder, die, wie Frankreich, Afrika verarmen lassen'.“

Corriere del Ticino (CH) /

Frankreichs Libyen-Politik ist schuld

Ganz Unrecht hat Rom mit seinen Vorwürfen gegen Frankreichs Afrika-Politik nicht, doch hat Di Maio die falschen Argumente gebracht, erläutert Kolumnist Osvaldo Migotto in Corriere del Ticino:

„Vizepremier Di Maio hat Paris vorgeworfen, Afrika mit seiner Kolonialpolitik arm zu machen und hat den CFA angeprangert, den de Gaulle nach dem Krieg in 14 afrikanischen Staaten eingeführt hat. Wie der Euro ist auch der CFA-Franc nicht frei von Fehlern. Aber es scheint doch etwas zu simpel, die ganze Schuld für die Migrationskrise auf die Franzosen abzuwälzen. Viel gravierender war, wenn überhaupt, die militärische Unterstützung von Paris bei der Vertreibung von Gaddafi im Jahr 2011. Man versäumte schlichtweg, die Weichen für das 'Nach-der-Diktatur' zu stellen. Auf den Tod des libyschen Machthabers folgte im Land in der Tat ein politisches Chaos, das bis heute andauert.“

Handelsblatt (DE) /

Nach dem Brexit die nächste Zerreißprobe

Die drei führenden EU-Staaten Italien, Frankreich und Deutschland halten immer weniger zusammen, klagt das Handelsblatt:

„Italiens starker Mann Salvini und sein Verbündeter Di Maio attackierten Frankreich derart massiv, dass die Regierung in Paris sich genötigt sah, die italienische Botschafterin einzubestellen. Mit Deutschland brach Italien einen so heftigen Streit über die Mittelmeer-Flüchtlinge vom Zaun, dass die Bundesregierung ihre Mitarbeit an der EU-Rettungsmission Sophia einstellte. Es wäre schön, wenn man das Ganze als vorübergehendes Wahlkampfgeplänkel abtun könnte. Doch leider ist damit zu rechnen, dass die Spannungen nach der Europawahl andauern. ... Nach Großbritannien droht Italien der zweite Staat zu werden, der die EU vor eine existenzielle Zerreißprobe stellt.“

La Stampa (IT) /

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Italien manövriert sich in eine gefährliche Isolation, warnt Kolumnist Marcello Sorgi in La Stampa:

„Abgesehen davon, dass die Anschuldigungen oberflächlich und unpräzise sind, hat man das Gefühl, dass der Ansatz der gelb-grünen Koalitionspartner für den Wahlkampf zur Europawahl vom ursprünglichen Souveränitätspopulismus in eine Art Nationalismus abdriftet. … Man ist verleitet zu sagen: denn sie wissen nicht, was sie tun. ... Sie machen sich keine Vorstellung davon, welche Folgen eine derartige Isolation Italiens hat, an der sie hartnäckig bauen. Obwohl sie es besser wissen müssten, haben sie doch kürzlich [im Haushaltsstreit] erst am eigenen Leib erfahren, was das heißt“

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Tages-Anzeiger (CH) /

Kampf der zwei großen Ideen unserer Zeit

Der französische Präsident ist zur Hassfigur der italienischen Regierung geworden, erklärt der Tages-Anzeiger:

„Denn er verkörpert in vielem ihr Gegenteil. Macron will Europa stärken, er will sein Land strukturell reformieren, er sucht die konstruktive Zusammenarbeit mit Brüssel und Berlin. Salvini und Di Maio hingegen möchten Europa zugunsten der Nationalstaaten schwächen, sie streuen Staatsgeld auf Pump unter die Wähler, nehmen Reformen früherer Regierungen zurück. Die französische und die italienische Regierung stehen also für die beiden grossen Kräfte, die derzeit um die Seelen der Bürger ringen: die freiheitlich-liberal-europäische Kraft und die autoritär-nationalistische. Bei der Europawahl prallen sie aufeinander.“