Prozess gegen katalonische Separatisten
Vor dem Obersten Gericht in Madrid hat am Dienstag der Prozess gegen zwölf katalanische Separatisten begonnen. Die Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafen bis zu 25 Jahren wegen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Mittel im Zuge des Unabhängigkeitsreferendums 2017. Kommentatoren diskutieren über die Rolle von Justiz und Medien.
Richter verdienen Vertrauensvorschuss
Der Vorwurf, es handele sich um einen Schauprozess, ist verfehlt, findet der Deutschlandfunk:
„Die sonst ziemlich kritische Organisation Freedom House zählt Spanien zu den hochwertigsten Demokratien weltweit. Richter genießen in dem Land eine hohe Unabhängigkeit. Auch deswegen sitzen Mitglieder der Königsfamilie oder einflussreiche Politiker hinter Schloss und Riegel. ... Die spanische Justiz weiß, dass es ein besonderer Prozess ist. Einer, an dem der spanische Rechtsstaat gemessen werden wird. ... Die sieben Richter müssen jetzt feststellen, ob sich die angeklagten katalanischen Separatisten wirklich etwas haben zuschulden kommen lassen - und wenn ja in welchem Maße. Sie sollen entscheiden, ob die Forderungen der Staatsanwaltschaft völlig überzogen sind, wie nicht nur Separatisten behaupten. Man sollte den Richtern diesen Vertrauensvorschuss geben.“
Journalisten dürfen nicht unparteiisch sein
Der Chefredakteur von La Vanguardia, Màrius Carol, bittet die Prozessbeobachter um ernsthafte Anteilnahme:
„Die Gerichtsverhandlung hat großes Interesse hervorgerufen, über 600 Journalisten haben sich akkreditiert. Es ist ihre Aufgabe, über die Unparteilichkeit der Richter sowie über die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Angeklagten zu urteilen. Dabei sollten wir uns die Worte Oscar Wildes in Erinnerung rufen: 'Wir können nur eine unparteiische Meinung über Dinge haben, die uns nicht interessieren, und eben deshalb sind unparteiische Meinungen zweifelsohne von geringem Wert.'“
London ging mit Schottland viel klüger um
Indem der frühere britische Premier David Cameron der schottischen Unabhängigkeitsbewegung eine Volksabstimmung im Jahr 2014 zugestand, die diese verlor, nahm er ihr den Wind aus den Segeln, erinnert The Independent:
„Cameron erkannte das Recht eines Volkes an, sich selbst zu regieren, und er bemühte sich, dieses im Rahmen eines demokratischen Wahlkampfes davon zu überzeugen, Teil einer größeren staatlichen Union zu bleiben. Dass der damalige Chef der schottischen Regionalregierung, Alex Salmond, durch eine Gefängnisstrafe zum Märtyrer gemacht wird, war zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise vorstellbar. Wenn Spaniens Regierungschef nicht einsehen will, dass das Vorgehen seiner Regierung in Katalonien falsch ist, sollte er zumindest erkennen, dass es kontraproduktiv ist und noch viel größere Schwierigkeiten in der Zukunft bringen könnte.“
Vorwurf der Rebellion ist absurd
Die Anklage der Staatsanwaltschaft entbehrt jeglicher juristischer Grundlage, kritisiert die Neue Zürcher Zeitung:
„Politisch motiviert ist die Anklage wegen Rebellion gegen einige der Separatistenführer, die die Staatsanwaltschaft erhebt; sie sollen möglichst hohe Gefängnisstrafen erhalten. Doch dieser Straftatbestand setzt Gewaltanwendung voraus, und die Angeklagten haben sich stets gegen ein gewaltsames Vorgehen ausgesprochen. Allenfalls gab es vonseiten von Demonstranten Nötigung und Nichtbefolgen von Anweisungen der Polizei. Die Rechtsvertretung der Regierung unterstützt im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft den Vorwurf der Rebellion nicht. Er ist offensichtlich absurd.“
Grundrechte werden geopfert
Jordi Cuixart, einer der zwölf Angeklagten, schreibt in Le Soir:
„Der Kampf um das Recht auf Meinungsfreiheit, das Recht auf Selbstbestimmung der Völker, das Recht auf friedliche Versammlung, das Wahlrecht, das Recht auf einen fairen Prozess, aber auch der Kampf gegen willkürliche Inhaftierung - kurzum der Kampf um Bürgerrechte kombiniert mit den Menschenrechten, stellen die festen Grundpfeiler dar, auf denen unsere demokratischen Gesellschaften stehen sollten. In Spanien werden diese Rechte derzeit auf dem Altar der in der Verfassung verankerten Einheit des Landes geopfert. Die Krise, die unser Land beutelt, ist sowohl eine politische als auch eine demokratische Krise. Die Antwort der Justiz heizt die Spannungen Tag für Tag nur weiter an. Überwinden lassen sie sich allein durch Dialog und eine politische Lösung.“
Referendum war Angriff auf die Verfassung
El Mundo stellt sich dagegen hinter die Anklage:
„Die separatistische Herausforderung im Herbst 2017 stellt den schwersten Angriff auf die Verfassung in ihrer vier Jahrzehnte langen Geschichte dar. Es handelte sich nicht um eine Revolution des Lächelns, wie uns ihre Urheber fälschlicherweise weismachen wollen. Es war auch kein demokratischer Prozess, weil es nichts undemokratischeres gibt, als das Brechen der Gesetze. Es war der Versuch, einen katalanischen Staat in Form einer Republik zu errichten und dabei die nationale Souveränität auszuhebeln. ... Das sollte man nicht vergessen.“
Junge Demokratie in Schwierigkeiten
Wie die Katalonien-Krise Spanien verändert hat und was nun auf dem Spiel steht, verdeutlicht Jyllands-Posten:
„Im Zuge des Katalonien-Konflikts haben stark nationalistische Strömungen in Spanien an Unterstützung gewonnen. Die Vox-Partei sitzt im andalusischen Parlament und hat erst am Sonntag wieder gezeigt, dass sie in der Lage ist, gemeinsam mit der konservativen PP und Ciudadanos, die für einen harten und unversöhnlichen Kurs gegenüber den Separatisten stehen, in kurzer Zeit Tausende zu mobilisieren. Regierungschef Pedro Sánchez hat ein fragiles Mandat. Im Falle von Neuwahlen könnte sich herausstellen, dass das, was als Aufstand im kleinen, wohlhabenden Katalonien begann, für Spaniens letztlich noch junge Demokratie große Konsequenzen haben kann.“