8. März: Demonstrationen für mehr Frauenrechte
Millionen Menschen sind weltweit am Internationalen Frauentag am 8. März auf die Straßen gegangen, um für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Gewalt an Frauen zu demonstrieren. In Spanien legten Frauen die Arbeit nieder, in Portugal hingen Fahnen in Gedenken an ermordete Frauen auf Halbmast, in Istanbul ging die Polizei mit Tränengas gegen Demonstrantinnen vor. Europas Kommentatoren ziehen Bilanz.
Reaktionäre kriegen kalte Füße
Spaniens konservative Oppositionsparteien haben sich nicht an den Demonstrationen anlässlich des Weltfrauentags beteiligt und kritisierten ein Manifest des Bündnisses, das diese organisierte, als linksradikal. Mit der erstarkenden Frauenbewegung formiert sich auch die Gegenbewegung, folgert El País:
„Sie wollen den Feminismus diskreditieren, indem sie dessen Grundlagen attackieren, die ihn zu einer transversalen Bewegung machen, die sich quer durch alle Schichten und Kulturen der Gesellschaft zieht. ... Bislang beschränkten sich die Reaktionäre gegenüber dem Feminismus auf Passivität: Beweist, dass es Ungleichheit gibt, sagten sie. Hunderte, tausende Studien später ist der Feminismus der Beweise müde. Es ist alles bewiesen. Jetzt gilt es, die Strukturen zu ändern. Gegenüber dieser Forderung, verstecken die Reaktionäre nicht mehr ihren eigentlichen Plan: die patriarchale Ordnung zu bewahren.“
Kommerz frisst Revolte
Der ursprüngliche Anlass des Frauentags, das Gedenken an Arbeiterinnen, die 1908 in New York während Protesten für bessere Arbeitsbedingungen in einer Fabrik eingeschlossen wurden und durch einen Brand starben, wird nicht mehr gewürdigt, klagt Habertürk:
„Der Kapitalismus ist ein kluges Monster. So wie es ihm gelang, jeden wichtigen Tag von Sinn und Bedeutung zu trennen und ihn für Kommerz zu gewinnen, so hat er auch Bedeutung und Namen dieses Tags auf den Kopf gestellt. ... Und so wird der 8. März, den die Demokratin und revolutionäre Anführerin Clara Zetkin und ihre Kolleginnen im Gedenken an die verbrannten 129 Arbeiterinnen eigentlich 'Welttag der arbeitenden Frauen' nannten, als 'Tag derjenigen, die als Frau zur Welt kamen' gefeiert. Das ist in den vergangenen Jahren so ausgeartet, dass Frauen Partys feiern und sich gegenseitig erzählen, welche Geschenke und Blumen sie von ihren Ehemänner bekommen haben.“
Männer, packt mit an!
Die Herren der Schöpfung sollten ihre Frauen stärker unterstützen, appelliert Francis Van de Woestyne, Leitartikler bei La Libre Belgique:
„Ihr Männer, wie wäre es, wenn wir uns etwas aufraffen? ... Die Gleichstellung von Mann und Frau im Arbeitsleben wird auch verbessert, wenn die Männer zu Hause mehr mit anpacken. Im Alltag warten Aufgaben auf uns, die wir aber bitte nicht schlurfend, stöhnend oder vor uns hin schimpfend erledigen sollten, sondern mit Schwung, Liebe, Zärtlichkeit. Denn, wie jeder weiß, gibt es keine Liebe ohne Liebesbeweis. Das mag vielleicht naiv klingen, aber große Fortschritte macht die Menschheit nicht nur mit großen Erklärungen oder Entscheidungen. Manchmal entwickeln sich die Mentalitäten im Alltagsleben weiter und bringen die Gesellschaft voran.“
Gleicher Lohn statt Blumen
Frauen in Tschechien bekommen im Durchschnitt 22 Prozent weniger Lohn als Männer. Warum das so ist, erklärt die Ombudsfrau des Landes, Anna Šabatová, in Hospodářské noviny:
„Ein Grund dafür ist, dass Frauen nie von bestimmten [lukrativen] Stellen erfahren werden. Es ist nicht nur eine Angewohnheit, nicht über Geld zu reden, es ist in vielen Unternehmen verboten. Wenn es einst der Hauptmotor der Proteste war, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu erstreiten, wird dies heute durch Vertraulichkeitsklauseln unmöglich gemacht. Die Unternehmen verpflichten die Mitarbeiter, niemandem die Höhe des Lohns mitzuteilen. Jeder ist aufgefordert, die Löhne individuell für sich selbst auszuhandeln. Wie Statistiken zeigen, sind davon Frauen systematisch benachteiligt. Aber auch Frauen brauchen einen anständigen Lohn. Blumen können sie sich allein kaufen.“
Umwälzungen befördern Gewalt
In der Türkei sind Femizide in den letzten Jahren stark angestiegen, im Jahr 2018 wurden 440 Frauen ermordet. Warum Frauen oft zu Opfern werden, erklärt die islamisch-konservative Tageszeitung Yeni Şafak:
„Die Türkei ist ein Land, das sich schnell modernisiert. Wie auch in anderen sich modernisierenden Ländern erlebt die Familie während dieser Phase Erschütterungen und Umwälzungen. Inzwischen sind sich alle Frauen, ob sie außerhalb des Hauses einer Arbeit nachgehen oder daheim ihre Kinder großziehen, zunehmend ihrer Rechte bewusst. ... Einerseits fordern Frauen diese Gleichberechtigung und werden dabei gesetzlich und institutionell unterstützt. Andererseits besteht die patriarchale Haltung in Gerichten sowie im öffentlichen und privaten Bereich weiter. Das bedeutet einen Konflikt der Normen und führt in eine Krise.“
Trauriges Schlusslicht Litauen
Darauf, wie schlecht Litauen in Sachen Frauenanteil in der Politik dasteht, weist die litauische Europa-Abgeordnete Vilija Blinkevičiūtė in einem Interview mit dem Online-Portal Alfa hin:
„Wenn wir uns die Zahl der Frauen im litauischen Seimas anschauen, so ist diese sehr niedrig, in dieser Legislaturperiode sogar noch niedriger als in der vorherigen. ... Zudem hat die Regierung, geführt von Herrn Skvernelis, überhaupt keine Frau als Ministerin, während in der EU durchschnittlich jeder dritte Ministerposten mit einer Frau besetzt ist. Litauen ist das einzige Land unter den 28 EU-Staaten, das keine Frau in der Regierung hat. Wenn wir uns auf globaler Ebene vergleichen, so haben von 186 Staaten nur 13 Staaten keine Frauen als Minister. Das ist ein mächtiger Minuspunkt und eine große Schande für die litauische Regierung und die regierende Mehrheit.“
Afrikas Politikerinnen preschen vor
Eine überdurchschnittlich hohe Frauenquote in einigen afrikanischen Parlamenten hilft, den gesellschaftlichen Wandel auf dem Kontinent voranzutreiben, lobt Äthiopiens Präsidentin Sahle-Work Zewde in Financial Times:
„In Ruanda sind 60 Prozent der Abgeordneten im Parlament Frauen. In Namibia, Südafrika, Mosambik und im Senegal sind es jeweils zumindest 40 Prozent. ... Das spiegelt einen dramatischen Wandel der Repräsentation, der Teilhabe und der Demokratisierung von Möglichkeiten wider. Frauen, vor allem junge, die andere Frauen in Führungspositionen und untypischen Berufen sehen, sehen plötzlich über den Tellerrand hinaus. Wenn politische Institutionen und Regierungen das Potenzial an Talenten voll ausschöpfen können, profitiert man in Zeiten, in denen harte Entscheidungen getroffen werden müssen, von einer Vielfalt an Sichtweisen und Erfahrungen.“
Glücklich Frau sein ist die schwerste Aufgabe
Die konservative Journalistin Birgit Kelle schreibt in Die Presse über künftige Herausforderung der feministischen Bewegung:
„Es geht uns als Frauen fantastisch im Europa des 21. Jahrhunderts. Ganz ohne Quoten werden wir und unsere Töchter die Männer innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte nahezu überrennen. Weil wir gut sind. Klug sind. ... Wir sind später losgelaufen als die Männer. In einer globalen Welt darf man sich aber nicht auf vermeintlich sicheren Standards ausruhen. ... Und dann hätten wir noch eine Mammutaufgabe zu bewältigen, die seit Beginn der feministischen Bewegung brachliegt: Wie verhindern wir beim Den-Männern-Nachrennen, dass wir vor lauter Dekonstruktion von Geschlecht unsere Weiblichkeit verlieren? Glücklich Frau sein. Vielleicht die schwerste Aufgabe für die nächsten 100 Jahre Emanzipation.“
Der Kampf wird noch lange dauern
Dass sich der Frauentag irgendwann erledigt haben wird, hofft die Tageszeitung Avgi:
„Dass man keine Veranstaltungen, Reden und Märsche gegen die Diskriminierung von Frauen mehr benötigt. Dass keine Frau daran denkt, einen feministischen Streik zu organisieren. ... Doch dieser Tag ist noch weit weg und so geben sich viele mit dem Alibi des Frauentags zufrieden. Seit mehr als 160 Jahren kämpfen Frauen um echte Gleichberechtigung - seit dem großen Streik und den Demonstrationen der Textilarbeiterinnen in den Schneidereien von New York am 8. März 1857. ... Sie kämpfen sogar in jenen Teilen der Erde, in denen die Diskriminierung abgeschafft wurde - auf gesetzlicher Ebene, aber nicht in der Praxis. Selbst gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist in den meisten entwickelten Ländern noch ein weit entferntes Ziel.“