Warum FaceApp die Alarmglocken schrillen lässt
Politiker und Datenschützer warnen vor der Nutzung von FaceApp. Es bestehe die Gefahr, dass Daten für Werbung oder andere Zwecke weitergegeben werden. Die russische App bearbeitet mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Fotos und lässt Nutzer stark verjüngt oder gealtert aussehen. Kommentatoren stimmen der Kritik zu - und setzen noch eins oben drauf.
Gesichter werden zum Rohstoff
Die Panik um die App geht am Kern des eigentlichen Problems vorbei, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Aus Gesichtserkennungs-Technik wird derzeit die nächste Stufe der Überwachungsgesellschaft gebaut. FaceApps Sammlung von Gesichtsfotos ist nur eine von vielen. ... Überwachungskameras vor Universitäten oder in Cafés sind Goldgruben für die offene Forschung an biometrischen Datenbanken: Gesichter von Millionen ahnungsloser Menschen sind so schon zu Übungsmaterial verarbeitet worden - etwa für Software, die Kampfdrohnen zur Zielerkennung dient. ... Auch Facebook, Google und Microsoft verfügen über Sammlungen Hunderter Millionen Fotos von Gesichtern. ... Den Bürgern sollte der Fall FaceApp bewusst machen: Ihr Gesicht, der Spiegel ihrer Individualität, ist für andere lediglich ein Rohstoff.“
Alles andere als EU-konform
Die Datenschutzbestimmungen von FaceApp laufen den europäischen Regelungen zuwider, moniert Le Figaro:
„So präzisiert FaceApp in den allgemeinen Nutzungsbedingungen, dass mit dem Teilen eines Bildes die Eigentumsrechte übertragen werden. ... Die Datenschutzbestimmungen von FaceApp sind nicht konform mit dem geltenden EU-Recht. Es wird erklärt, dass die gesammelten Daten in Länder außerhalb Europas geleitet werden können, wo FaceApp über Infrastrukturen verfügt, und dass sie dann den dortigen Regelungen unterliegen. Die DSGVO der EU basiert ja gerade auf der Garantie, dass ein europäischer Bürger, egal in welches Land seine Daten gelangen, über das gleiche Schutzniveau für seine Daten verfügt.“
Vom wahren Altwerden wollen wir nichts wissen
FaceApp hat etwas Wichtiges gezeigt, bemerkt die Kolumnistin Lila Stabouloglou in Protagon:
„Die App offenbart den Narzissmus unserer Zeit in seiner ganzen Größe. Und hat gezeigt, wie leichtfertig wir mit dem Alter umgehen. Wir haben mit so viel Enthusiasmus diese App benutzt, um uns alt zu sehen - oberflächlich. Falten sind jedoch das geringste Problem, das man bekommt, wenn man älter wird. Leider verursacht das Altern weitaus schwerwiegendere Probleme als tiefe Furchen in der Haut. … Würden wir uns auch bemühen, das psychische und physische Bergab zu betrachten, das sich auf die Befindlichkeit älterer Menschen auswirkt und nicht auf das Aussehen? Würde eine solche App viral gehen? Glaube ich nicht.“
Wer gibt einem Unbekannten seine Hausschlüssel?
Einen verantwortungslosen Umgang mit den eigenen Daten kritisiert IT-Sicherheitsexperte Giedrius Meškauskas in Verslo žinios:
„Es ist sehr unangenehm, dass höchstwahrscheinlich ein uns feindlich gesinnter Staat, in dem Datenschutz nicht existiert, Zugriff auf die FaceApp-Daten bekommt. ... Doch lassen sie uns kurz innehalten: Hat der Staat die Daten selbst herausbekommen oder wurden sie ihm durch uns zur Verfügung gestellt? Schauen Sie sich doch die Liste der Apps in Ihrem Telefon an. Wie viele Hersteller dieser Anwendungen sind Ihnen bekannt? ... Unseren Kindern bringen wir bei, den Kontakt mit Unbekannten zu meiden. Doch im Internet geben wir Unbekannten sogar die Schlüssel zu unserem digitalen Zuhause.“
EU muss Privatsphäre schützen
Die FaceApp lässt die Sorge um den Umgang mit persönlichen Daten im Netz wachsen, konstatiert Keskisuomalainen:
„In der digitalen Welt ist der Schutz des Einzelnen schwach, auch wenn die Datenschutz-Grundverordnung diesen etwas verbessert hat. Im digitalen Raum ist es üblich, dass der Nutzer für die Verwendung kostenloser Apps seine Privatsphäre aufgibt. ... In der Regel gibt es keine Alternative. Vielleicht kommen in der Zukunft einmal Apps auf den Markt, die die Daten der Nutzer nicht verwenden. Einige Menschen wollen sich nicht tracken lassen und können dann auch nicht als Kunden gewonnen werden. Die Europäische Union muss die Privatsphäre in der digitalen Welt weiter verteidigen.“
Ein seltsamer Aufschrei
Dass sich angesichts des Erfolgs der FaceApp nun viele um ihre Daten im Netz sorgen, kann Krytyka Polityczna nicht nachvollziehen:
„Ihre Daten waren und sind öffentlich und FaceApp ändert daran nichts. Vielmehr sollten Sie sich Gedanken darüber machen, was die sogenannten Cookies tun oder Facebook selbst, das durch die in unseren Bildern gespeicherten Codes unser soziales Netzwerk abbildet und durch den Hashtag tenyearchallenge seine Algorithmen zur Gesichtserkennung im Alterungsprozess trainiert hat. ... Das sollte uns eine wichtige Lektion sein. Man sollte es sich also drei Mal überlegen, bevor man sein eigenes Bild mit persönlichen Informationen online stellt - ob in einer russischen oder irgendeiner anderen App.“