Indien erkennt Kaschmir den Sonderstatus ab
Indiens hindu-nationalistische Regierung hat den Autonomiestatus für den Bundesstaat Jammu und Kaschmir in der Verfassung aufgehoben. Zudem entsendete sie Tausende zusätzliche Soldaten ins Kaschmirtal und verhängte Ausgangssperren. Die mehrheitlich muslimische Region wird auch von Pakistan beansprucht und immer wieder von Unruhen erschüttert. Dies ruft auch in Europa Sorge hervor.
Vorsicht vor Indiens Nationalisten
Premier Modi gegenüber ist Skepsis angebracht, mahnt Le Monde:
„Er versteht sich als großer Verteidiger der Einheit des Hinduismus gegen einen als immer bedrohlicher empfundenen Islam. Die Besonderheiten Kaschmirs, des einzigen mehrheitlich muslimischen Staats Indiens, zu verwässern und ihn mit dem Land zu verschmelzen, entspricht diesem Programm. Unter diesem Leitsatz hatten das erste Mandat Modis und zuvor seine 14 Jahre an der Spitze des Staats Gujarat brutale Konsequenzen für die muslimischen, aber auch christlichen Minderheiten, die aus den Jahrhunderte langen konfessionellen, ethnischen und politischen Vermischungen hervorgegangen sind, die zur Entstehung Indiens geführt haben. Die internationale Gemeinschaft sollte dieser nationalistischen Rechten Indiens gegenüber wachsam sein, die den Rechtsextremen im Westen in nichts nachsteht.“
Kaschmiris mitreden lassen
Dass die indische Regierung die lokale Bevölkerung bei ihren umstrittenen Reformplänen nicht mitbestimmen lässt, missfällt Financial Times:
„Dass Menschen aus anderen Regionen künftig Land in Kaschmir kaufen können sollen, ist keineswegs eine Garantie dafür, dass mehr Geld hereinkommt. Es besteht das Risiko, dass neue Siedler einwandern und die Einheimischen verdrängen. ... Die Gefahr einer demografischen Verschiebung könnte die Kaschmiris zu Bürgern zweiter Klasse in ihrem eigenen Teilstaat machen. ... Wenn die indische Regierung tatsächlich ein sicheres, stabiles und blühendes Kaschmir will, muss sie das Vertrauen der Einheimischen gewinnen. Diese sollten bei den Entscheidungen über ihre Zukunft mitreden dürfen.“
Asiens Kampf um seinen Platz in der Welt
Die Kaschmir-Krise ist das aktuellste Beispiel für die Antagonismen der Asiaten unter sich, findet Jutarnji list:
„Mit der erneuten Zuspitzung der andauernden Kaschmir-Krise zwischen den Nuklearmächten Pakistan und Indien hat das südliche Asien sich erneut als gefühlter Hauptgenerator der weltweiten Instabilität bewiesen. ... Wie kommt das? Asien versucht, sich den Platz zu erkämpfen den es glaubt wegen seiner Bevölkerungszahl und uralten Zivilisation verdient zu haben. Es erstarkt wirtschaftlich, vor allem Indien und China. ... Widerstand aus Europa und vor allem Nordamerika werden als neokolonialistische Schikane abgetan. Doch der Hauptteil der Energie wird für Konflikte untereinander genutzt: Asiaten drohen hauptsächlich anderen Asiaten. Auch Europa befand sich lange in solch einer Phase. In den vergangenen 70 Jahren hat man diese Probleme - dank der EU - aber überwunden.“
Nun hat auch Indien seinen starken Mann
Kolumnist Gianni Riotta analysiert in La Stampa:
„Nach dem Wahlsieg im Mai diktierte Modi seiner Partei die harte Linie in Kaschmir. Er weiß, dass Wachstumsraten von sieben Prozent nicht ausreichen, um die noch immer im Elend lebenden Menschen zufrieden zu stellen. Hinter seinen Worten zur Entwicklung Kaschmirs verbirgt sich ein riskantes populistisches Projekt: patriotische und religiöse Geister gegen das muslimische Pakistan aufzuwiegeln und die Macht zu zentralisieren. Wie Wladimir Putin und Xi Jinping stellt Narendra Modi fest, dass die Pax Americana der Nachkriegszeit Vergangenheit ist. ... Präsident Trump kümmert sich um seine interne Agenda und Europa ist zu gespalten, um eine Alternative zu bieten. Modi will nun seinerseits ein 'starker Mann' werden und hat in Kaschmir einen ersten, entschlossenen Schritt getan, der sich nicht mehr rückgängig machen lässt.“
Delhi hat sich keinen Gefallen getan
Der Schritt ist ein Sieg religiös-parteipolitischer Ideologie über politische Vernunft, konstatiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Die Aufhebung der Autonomie wird die Sicherheitslage in Jammu und Kaschmir verschlechtern. Und wenn nicht irgendjemand den beiden Atommächten auf dem Subkontinent in den Arm fällt, kann es auch einen weiteren Krieg zwischen Indien und Pakistan geben. Aber selbst wenn es nicht zu dieser ultimativen Eskalation kommt, hat sich Delhi keinen Gefallen getan. Der Starrsinn Modis und seiner Regierung wird Menschenleben kosten.“
Den Finger vom Abzug nehmen
Wer jetzt deeskalieren muss, erklärt The Times:
„Die USA können und sollten beide Seiten unter Druck setzen, einen Rückzieher zu machen. Großbritannien wäre dazu wegen seiner historischen Verbindung mit beiden Ländern vor der Unabhängigkeit 1947 ebenso in der Lage. ... Doch letztlich liegt es an den beiden Nachbarstaaten, den Finger vom Abzug zu nehmen. Pakistans Ministerpräsident Imran Khan sollte sein Versprechen halten, Terrorgruppen zu zerschlagen. Indiens Regierungschef Narendra Modi wiederum sollte darüber nachdenken, ob er als modernisierender Friedensstifter in die Geschichte eingehen will oder als politischer Führer, der für die bedenklichen Ziele seiner nationalistischen Unterstützer die Sicherheit der Region aufs Spiel setzt.“