Pekings Drohungen schüchtern Hongkonger nicht ein
Trotz Drohungen Pekings und heftigen Regens sind am Wochenende in Hongkong erneut Hunderttausende auf die Straße gegangen. Die Organisatoren des Protestmarsches sprachen von 1,7 Millionen Menschen. Zuvor hatte die chinesische Zentralregierung Medienberichten zufolge Truppen an die Grenze verlegt. Europas Presse fiebert mit.
Verhandeln heißt so viel wie Schwäche zeigen
Was Xi davon abhalten könnte, mit den Demonstranten zu verhandeln, erklärt Helsingin Sanomat:
„Aus Sicht der chinesischen Führung erinnert die Situation in Hongkong in vieler Hinsicht an die Studentendemonstrationen auf dem Tiananmen-Platz im Frühjahr 1989. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Zhao Ziyang, ging damals auf den Platz, sprach mit den Studenten und trat für eine friedliche Beendigung der Demonstrationen ein. In den Augen der chinesischen Führung ein Zeichen von Schwäche, Zhaos Entmachtung war besiegelt. Ministerpräsident Li Peng und der Führer hinter den Kulissen, Deng Xiaoping, beschlossen, die Demonstrationen mit Gewalt zu beenden. Die heutige Führung Chinas sieht sie als Helden, die die Stellung der Kommunistischen Partei sicherten. Wenn Xi jetzt mit den Demonstranten verhandeln würde, würde er eine Rolle wählen, die als schwach gilt.“
Härte als Überlebenstaktik
Peking ist zu allem bereit, glaubt Kolumnistin Xenia Tourki in Phileleftheros:
„Es besteht kein Zweifel, dass Peking seine Drohungen wahr machen wird. Dies ist seit Jahrzehnten die bewährte Überlebenstaktik der chinesischen Regierung. Jede gegnerische Stimme wird zum Schweigen gebracht, jeder Widerstand wird niedergeschlagen, jeder Streit wird ausgelöscht. Menschen verschwinden und niemand erfährt etwas über sie, Oppositionelle füllen die Gefängnisse. … Die gewaltsame Unterdrückung von Protesten in Hongkong scheint nicht die erste Wahl Pekings zu sein, da man die Reaktionen fürchtet. Doch wenn eine militärische Intervention erforderlich ist, wird dies unabhängig von den Kosten geschehen.“
Die Demonstranten im Osten haben verstanden
Dass sich die Bürger im Westen ein Beispiel nehmen sollten an den Demonstranten in China und Russland, findet die Historikerin Anne Applebaum in Gazeta Wyborcza:
„Wir sind daran gewöhnt, dass der Westen den Osten politisch beeinflusst - aber gilt das noch? Eine ganze Generation von Dissidenten im Osten hat ernsthafter darüber nachgedacht als wir, wie wir uns organisieren sollten, wie wir in einer Welt handeln sollten, die von geheimen kleptokratischen Eliten regiert wird, die alles tun, um uns zu entmutigen und apathisch werden zu lassen. ... Vielleicht haben wir im Westen einfach nicht darüber nachgedacht, mit welcher Taktik einfache Leute in einer Welt handeln sollten, in der das Geld weit entfernt im Ausland liegt, Macht unsichtbar und Apathie universell ist. Vielleicht sollten wir von denen lernen, die dies alles durchdacht haben.“
Peking wird niemals nachgeben
China-Korrespondent Steffen Wurzel skizziert auf tagesschau.de zwei Szenarien:
„Entweder macht Chinas Führung echte Zugeständnisse und führt in Hongkong zum Beispiel echte Demokratie ein. Das wäre dann das Ende der Regierung Lam und würde die Kritiker sofort besänftigen. Oder aber: Chinas Führung bringt die aufmüpfige Stadt vollständig politisch unter ihre Kontrolle. Kurzfristig ist beides sehr unwahrscheinlich. Langfristig aber wird Letzteres passieren. Denn erstens verliert Hongkong in 28 Jahren ohnehin seinen Autonomie-Status. Und zweitens - viel wichtiger: Es entspricht ganz einfach der politischen Logik der Kommunistischen Partei Chinas, auf Widerspruch ausschließlich mit Härte zu reagieren. ... Gesellschaftliche Öffnung, politische Teilhabe und eine freiheitlich-demokratische Zivilgesellschaft kommen in der Logik der kommunistischen Führung nicht vor.“
Lieber Geld, statt Macht verlieren
Ein hartes Eingreifen Chinas in Hongkong wird immer wahrscheinlicher, fürchtet Helsingin Sanomat:
„Hongkong ist wohlhabend, aber sein relativer Anteil an Chinas Wirtschaft hat abgenommen. Das Gebiet ist dennoch das Finanzzentrum Asiens und ein hartes Durchgreifen könnte Hongkongs Stellung schnell schwächen und Chinas Wirtschaftsaussichten weiter verschlechtern. Doch die Regierenden in China denken langfristig. Man will im Machtbereich der Kommunistischen Partei keine Beispiele dafür, dass sich politische Rechte mit Demonstrationen erstreiten lassen. Deshalb scheint es immer wahrscheinlicher, dass China gegebenenfalls bereit ist, wirtschaftliche Einbußen und Proteste des Auslands als Preis für ein Ende der Demonstrationen, die das Machtsystem bedrohen, in Kauf zu nehmen.“
Demonstranten spielen mit dem Feuer
Die Lage in Hongkong steht kurz vor der Eskalation, fürchtet De Telegraaf:
„Noch wird nur gebellt und nicht gebissen, denn Peking fürchtet einen propagandistischen Fehler vergleichbar mit dem der Niederschlagung des Aufstandes auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen 2.0). Und Peking will auch nicht die Kuh schlachten, die es melken will (Hongkong), und sich den Zugang zum internationalen Handel versperren. Doch Hongkong ist in den letzten Jahren weniger relevant geworden, Shanghai hat seine Rolle übernommen. Der Drang zu mehr Freiheit ist bewundernswert, aber die Demonstranten spielen mit dem Feuer und sie könnten ihre Privilegien verlieren. Auf Unterstützung von außen können sie nicht setzen. China ist zu wichtig.“
Europa fährt Vogel-Strauß-Politik
Warum die Passivität Europas so gefährlich ist, erklärt Ex-Diplomat Stefano Stefanini in La Stampa:
„Angesichts der Tragödie, die sich schon bald ereignen könnte, scheint Europa den vermeintlich sichersten Weg gehen zu wollen. Es steckt den Kopf in den Sand. Das Schweigen von Brüssel ist ebenso schuldig wie kurzsichtig. Denn wenn China militärisch auf der Insel eingreifen würde, würden die Folgen nicht nur das prekäre Gleichgewicht in Asien und im Pazifik beeinträchtigen, wo es genug Krisenherde gibt, die nur darauf warten, entfacht zu werden (Taiwan, Nordkorea, Südchinesisches Meer). ... Sondern Peking würde auch seine Position als seriöser und verantwortungsbewusster internationaler Akteur gefährden, auf dem das gesamte Projekt der neuen Seidenstraße beruht.“
Festland-Chinesen verachten Hongkong
Von den Bürgern auf dem chinesischen Festland ist wohl kaum Solidarität für Hongkong zu erwarten, glaubt Gazeta Wyborcza:
„Von Beginn der Proteste an war klar, dass Peking nicht befürchten muss, dass die Chinesen dem Beispiel Hongkongs folgen werden. Wenn man sich anschaut, was sie in sozialen Netzwerken schreiben, ist klar, dass sie die ehemalige britische Kolonie, der sie mangelnden Patriotismus vorwerfen, ehrlich hassen. Die Bewohner des Reichs der Mitte glauben, dass Hongkong - mit Privilegien ausgestattet wie kein anderer Ort in China - die Hand beißt, die es füttert.“
Auch soziale Probleme spielen eine Rolle
Eine Beruhigung der Lage in Hongkong ist nicht in Sicht, glaubt die Wochenzeitung Dilema Veche:
„Auch wenn China 1997 bei der Rückgabe des Territoriums versprochen hat, Hongkong bis 2047 'unverändert' zu belassen, fürchten die Einwohner jetzt eine erzwungene Integration des Territoriums, eine Re-Kolonisation. Auch wenn Hongkong wirtschaftlich gesehen leistungsfähig und ein wichtiger Handelsknotenpunkt in der Region und ein globales Finanzzentrum geblieben ist, haben die sozialen Unterschiede deutlich zugenommen. Die sehr hohen Mietkosten sorgen für enorme Frustration - vor allem unter der Jugend. Sie verstärken das Gefühl der Unsicherheit und der politischen Ohnmacht - auch deshalb gibt es die massiven Proteste. Es ist schwer zu glauben, dass diese Protestwelle gestoppt werden kann.“
Peking ermuntert Protest auch außerhalb Hongkongs
Peking schafft sich mit seinem harten Kurs gegenüber Hongkong Probleme, bemerkt Pravda:
„Als Hongkong nach einem Jahrhundert britischer Herrschaft 1997 zu China zurückkehrte, verpflichtete sich Peking, den Übergang nach dem Motto zu gestalten: Ein Land, zwei Systeme. Dieses Modell sollte auch Vorbild für Macao und Taiwan sein. Demonstranten und die örtlichen Behörden beschuldigen sich nun gegenseitig, dieses Modell zu untergraben. ... Zwei Systeme in einem Land könnten koexistieren, wenn nicht eine Seite um jeden Preis den Sieg davontragen möchte. Peking hat recht: Was in Hongkong passiert, könnte Separatisten aus allen anderen Regionen Chinas ermutigen. Peking muss sich aber die Frage stellen, in welchem Maß es selbst dafür verantwortlich ist.“
Der Westen muss seine Stimme erheben
Die USA und die EU müssen sich China gegenüber klar äußern, fordert Berlingske:
„Wir dürfen die Einwohner Hongkongs, die für die Demokratie kämpfen, nicht im Stich lassen und wir dürfen nichts unversucht lassen, um auf China einzuwirken, nur weil sich das Land wirtschaftlich enorm entwickelt hat. Unter der Regie der Welthandelsorganisation WTO genießt Hongkong besondere Rechte, die China nicht hat. Hier können die westlichen Länder ansetzen, wenn China Hongkong wie jede andere chinesische Großstadt unter totale politische Kontrolle bringen will. Sowohl die EU als auch die USA müssen China gegenüber sehr klar machen, dass die brutale Unterdrückung der Proteste in Hongkong nicht akzeptiert wird.“