Wahl in Israel endet mit Patt
Nach der erneuten Parlamentswahl in Israel gibt es laut Hochrechnungen ein Patt zwischen dem Likud von Premier Netanjahu und der Partei Blau-Weiß seines Herausforderers Benny Gantz. Die Regierungsbildung ist damit ebenso schwierig wie nach der Wahl im April. Kommentatoren sehen Netanjahus Position nun allerdings geschwächt.
Dreizehn Jahre an der Macht sind genug
Israels Demokratie braucht einen Machtwechsel, analysiert Die Presse:
„Noch ist Netanjahu im Amt. Wer weiß, was ihm noch einfällt? Vielleicht bleibt er unentbehrlich, wenn eine internationale Krise ausbricht. Ein Krieg gegen den Iran erscheint in diesen Tagen wahrscheinlicher denn je. Dennoch: So schwierig wie jetzt war es für Benjamin „Houdini“ Netanjahu [Anspielung auf den Entfesselungskünstler] noch nie, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und es wäre wohl für das Land wenig segensreich, wenn die Entfesselungsübung auch diesmal gelänge. Seit zehn Jahren regiert Netanjahu ununterbrochen, 13 Jahre hat er insgesamt an der Macht verbracht. Das reicht. Israel täte ein reinigender Machtwechsel gut.“
Einer Demokratie unwürdig
Noch ganz andere Gründe, warum Netanjahu gehen muss, erläutert NRC Handelsblad:
„Trotz [aller Wählerstimmen] drängt sich die Frage auf, ob Netanjahu nicht schon im Februar dieses Jahres hätte zurücktreten müssen, als er in drei Fällen von Korruption angeklagt wurde. Der Premier versucht, mit aller Macht im Amt zu bleiben, weil er nicht ins Gefängnis muss, solange er das Land regiert. Diese Haltung ist einem Premier eines demokratischen Landes unwürdig und eine Niederlage für den israelischen Rechtsstaat. Einer von Netanjahus Vorgängern, Ehud Olmert, trat vor etwa einem Jahrzehnt zurück, als er des Betrugs verdächtigt wurde. Auch jetzt sollte das Recht seinen Lauf nehmen müssen.“
Klarer Rechtsruck auf Kosten Palästinas
Netanjahu hin oder her, die Richtungsentscheidung ist gefallen, beobachtet Le Temps:
„Der Rechtsruck der israelischen Politik ist unbestreitbar. Wäre der Platz frei gewesen, hätte Netanjahus 'linker' Rivale, General Benny Gantz, einen perfekten Spitzenkandidaten für die Liste von dessen Likud abgegeben. Diese Wahl beweist ganz klar: Die Siedlungspolitik und eine mögliche Annexion des Jordangrabens gehören nunmehr zum israelischen Konsens. Die Wahl am Dienstag mag das Ende der Politik des unverwüstlichen 'Bibi' signalisieren. Was sie jedoch definitiv ankündigt, ist das Ende eines palästinensischen Staats an. Die 'Zwei-Staaten-Lösung' ist gegenwärtig nur noch ein geplatzter Traum.“
Ist die Ära Netanjahu vorbei?
Dass Netanjahu auf Neuwahlen gesetzt hat, hat sich für ihn nicht ausgezahlt, kommentiert die Israel-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Alexandra Föderl-Schmid:
„Netanjahu befindet sich in der gleichen Situation wie im April: Nur mit Avigdor Liebermans Partei könnte er eine Regierung bilden. Die Ausgangslage hat sich für ihn sogar verschlechtert, weil Liebermans Partei zugelegt hat. Lieberman ist wieder in der Rolle des Königsmachers. Bleibt Lieberman bei seiner Ankündigung, eine Einheitsregierung aus Blau-Weiß und Likud unterstützen zu wollen, und bleibt auch Gantz dabei, nicht in eine Regierung mit dem bisherigen Premier einzutreten, dann ist Netanjahus Ära vorbei.“
Königsmacher Lieberman
Keine Optionen für Netanjahu erkennt auch Jerusalem-Korrespondent Giordano Stabile in La Stampa:
„Laut zwei der drei genehmigten Umfragen liegt das Bündnis Weiß-Blau des großen Rivalen Benny Gantz sogar einen Platz vor dem Likud. … Netanjahu hat keine Chance, eine Mehrheit zu bilden, außer durch einen Zusammenschluss mit seinem ehemaligen Verbündeten Lieberman. Eine Möglichkeit, die bereits nach der Pattsituation vom 9. April ausgeschlossen schien und heute umso unwahrscheinlicher ist, als dass der Chef der Partei der russischen [und osteuropäischen] Einwanderer schon vor der Abstimmung einen Pakt mit Gantz geschlossen hat.“
Hass und unverschämte Lügen
Wie Netanjahu noch auf den letzten Metern versucht hat, Stimmen wettzumachen, erklärt Gândul:
„König Bibi ist mit seinem lang erprobten Rüstzeug in den Kampf gezogen: mit unverschämten Lügen, indem er Hass verbreitete, ebenso Angst, dass ein Israel ohne seine Führung von der Landkarte verschwinden würde. Auf seinem Instagram-Konto ist das Bild einer palästinensischen Fahne an einen Wolkenkratzer in Tel Aviv projiziert, mit der Botschaft: 'Wenn Ihr nicht wählen geht, ist das das Ende!' … Er demütigte seinen Hauptrivalen Benny Gantz, in dem er behauptete, dass dieser keinerlei Autorität vor den Anführern der Welt habe. Nur er, Netanjahu, könne den außergewöhnlichen Dialog mit Donald Trump am Leben halten.“
Palästinenser sind die großen Verlierer
Keine der größeren politischen Gruppierungen in Israel hat das Ziel, die Situation der Palästinenser zu verbessern, klagt der palästinensische Autor Raja Shehadeh in The Guardian:
„In den Palästinensergebieten setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Israels internationale Kampagne, Kritik an seiner Kolonialpolitik als eine Form des Antisemitismus zu dämonisieren, erfolgreich ist. Und in Israel selbst gibt es keine Hoffnung: Keine der Parteien, die am Dienstag an den Wahlen teilnahmen, thematisiert die Besetzung oder schlägt vor, wie diese beendet werden soll. Stattdessen versuchen die Parteien, sich gegenseitig mit Versprechen an die Siedler zu überbieten. ... Wer auch immer als Sieger aus den Wahlen hervorgeht, eines steht fest: Es wird keinen Unterschied für die Zukunft von uns Palästinensern in diesem Land machen.“
Parlament der Gegensätze
Wie ein friedliches Miteinander in der israelischen Politik überhaupt möglich sein kann, fragt sich die Wiener Zeitung:
„Da gibt es die ultraorthodoxen Juden, die mit ihren mandatsstarken Parteien seit jeher in der Knesset sitzen und die, wie der Erzfeind Iran höchstpersönlich, das Existenzrecht Israels nicht anerkennen. Die Parteien der Religiösen sind als Mehrheitsbeschaffer nötig, weshalb sie häufig an Regierungen beteiligt sind. Dort üben sie tagespolitische Zurückhaltung und sind der Garant dafür, dass ihre Klientel weiterhin Privilegien genießt. Während Netanjahu umfangreiche Annexionspläne im Westjordanland wälzt, sitzen in der Knesset Abgeordnete der arabischen Partei 'Balad', deren Abgeordnete sich demonstrativ mit Familien palästinensischer Attentäter treffen.“
Irgendwie funktioniert es doch
Anders sieht die Dinge Benjamin Katzeff Silberstein, Gastwissenschaftler an der Hebrew University of Jerusalem. Er schreibt in Svenska Dagbladet:
„Es ist ein kleines Wunder, wie viele verschiedene Gruppen mit radikal unterschiedlichen Lebensstilen hier zusammenkommen. ... Jüdische und arabische Israelis, Säkulare und Haredim (oft als 'ultraorthodoxe Juden' bezeichnet) … Nur wenige Orte auf der Welt haben eine so breite und unwahrscheinliche Mischung von Menschen. ... Wie kommt es, dass Israel in Anbetracht all dessen doch relativ gut als Gesellschaft und als Staat funktioniert? … Das gesamte israelische Sozialmodell ist eine Kompromisslösung. ... Israel wird auf absehbare Zeit weiterhin gleichzeitig weltlich und religiös sein.“
Wer ist David, wer ist Goliath?
Dass Israels Politik den Palästinensern gegenüber durch die Furcht vor dem Iran begründet ist, erklärt der israelische Journalist Jossi Klein Halevi in Gazeta Wyborcza:
„Es wundert mich, wie der Westen über Israels Dilemmata spricht und dabei vergisst, dass Israel im Nahen Osten liegt, dass es nicht nur um uns und die Palästinenser geht. Der Iran ist überall - außer im Westjordanland, weil wir es kontrollieren. Die Israelis wissen, dass sie in ihrer Beziehungen zu den Palästinensern Goliath sind und die Palästinenser David. Aber wenn man das größere Bild betrachtet, dann sieht man, dass die Palästinenser zusammen mit den arabischen Staaten und dem Iran Goliath ergeben und Israel zu David wird. Der palästinensische Staat wird sich nicht im luftleeren Raum erheben. Das kann bedeuten, dass der Iran hinter der nächsten Ecke steht.“
Höchste Zeit für Regierungswechsel
Eine Chance, Benjamin Netanjahu in die Opposition zu schicken, wittert The Observer:
„Avigdor Lieberman, dessen säkulare Partei Yisrael Beitenu bei den neuen Mehrheitsverhältnissen das Zünglein an der Waage sein könnte, fordert eine Regierung der nationalen Einheit. Eine solche wünscht sich auch der Anführer des Wahlbündnisses Blau-Weiß, Benny Gantz. Unter einer Voraussetzung: Der derzeitige Regierungschef darf dieser Regierung nicht angehören. Das ist völlig verständlich. Netanjahus hässliche Ausprägung rechter Politik hat großen Schaden angerichtet. Er bietet keine guten Perspektiven für die großen Herausforderungen Israels. Andere könnten besser handeln. Jetzt ist die Zeit, Bibi 'bye-bye' zu sagen. Er steckt so tief in Korruptionsvorwürfen, dass er mehr Zeit mit seinen Anwälten verbringen sollte.“
Gantz ist ein Profi
Herausforderer Benny Gantz ist geschickter geworden, analysiert Jerusalem–Korrespondent Giordano Stabile in La Stampa:
„Die Strategie von Gantz ist die gleiche wie bei der Abstimmung am 9. April. Nur in diesen fünf Monaten hat er schnell das Handwerk des Politikers erlernt. Er hat die Überraschungsangriffe, eine Spezialität von Netanjahu, abgefangen und das Ruder in der Mitte gehalten, um die Stimmen der enttäuschten Likud-Wähler auf sich zu vereinen. Das Ziel ist ein zusätzlicher Sitz, was bedeuten würde, dass er von Präsident Reuven Rivlin den Auftrag zur Regierungsbildung bekäme, selbst wenn die Mitte-Rechts-Koalition die Mehrheit behielte.“
Wenig Hoffnung auf Frieden
Selbst wenn nach einem möglichen Sieg der Opposition wieder Friedensgespräche begännen, hätten diese zur Zeit wenig Aussicht auf Erfolg, befürchtet Sydsvenskan:
„Die Palästinenser sind offenbar nicht in der Lage, sich zu einigen. Und ohne eine palästinensische Einheit ist es schwierig zu sehen, wie Friedensverhandlungen zu Ergebnissen führen sollen. Im Gaza regiert die Terrororganisation Hamas, deren erklärtes langfristiges Ziel es ist, den Staat Israel auszulöschen. Und im Westjordanland gibt es nichts Neues. Dort regiert die palästinensische Autonomiebehörde, abhängig von der Gnade Israels, korrupt und gelähmt. Die Wahlen in Israel können an dieser Realität, unabhängig vom Wahlausgang, nichts ändern.“