Kroatien: Was bedeutet der Wahlsieg Milanovićs?
In der Stichwahl um das Präsidentenamt in Kroatien hat sich Zoran Milanović gegen Amtsinhaberin Kolinda Grabar-Kitarović durchgesetzt. Der Kandidat der sozialdemokratischen SDP gewann mit knapp 53 Prozent der Stimmen gegen die Kandidatin der konservativen HDZ. Für Europas Journalisten sendet die Wahl in mehrfacher Hinsicht ein starkes Signal.
Der Balkan kann Europa
Die klare Europa-Orientierung des neuen kroatischen Präsidenten ist ein bedeutsames Zeichen, schreibt die Süddeutsche Zeitung:
„'Normalität' statt Nationalismus - genau damit traf der sozialdemokratische Ex-Premier Zoran Milanović einen Nerv. .. Nun ist der Präsident in Kroatien vor allem fürs Repräsentieren zuständig - aber das Resultat vom Sonntag zeigt, dass eine Wiederwahl der rechtskonservativen HDZ im Herbst alles andere als sicher ist. Noch wichtiger ist das Signal nach außen: Das jüngste EU-Mitglied hat jetzt ein Staatsoberhaupt, das sich klar zu einem geeinten, kooperativen Europa bekennt. Das sollte all jene ins Grübeln bringen, die den Balkan grundsätzlich für nicht europatauglich halten.“
Die Gretchenfrage
Die Frage nach dem Umgang mit kroatischen Kriegsverbrechern war ein entscheidendes Wahlkampfthema, erklärt Gazeta Wyborcza:
„Den Ton hat der Nationalist Miroslav Škoro angegeben, der als Dritter fast die zweite Runde erreichte. Eine seiner Forderungen war die Begnadigung des kroatischen Kriegsverbrechers Tomislav Merčep. Dessen paramilitärische Organisation beging in den 1990er Jahren zahlreiche Morde an Serben. Die Forderungen von Miroslav Škoro wurden größtenteils von Präsidentin Grabar-Kitarović übernommen, die um die gleichen Wähler kämpfte. Milanović, der künftige Präsident, hat hingegen nachdrücklich für ein Verfahren gegen Kriegsverbrecher plädiert.“
Lektion für Osteuropas Populisten
Der Wahlausgang in Kroatien zwingt die populistischen Kräfte Ostmitteleuropas, sich selbst zu hinterfragen, glaubt Népszava:
„Die städtische Bevölkerung hat genug von den rechtspopulistischen Floskeln und will konkrete Ergebnisse sehen. ... Man kann in der ganzen Region spüren, dass viele Menschen Veränderungen wollen. Dazu ist aber umfangreiche Selbstkritik der Regierungsparteien nötig. Im Vokabular der [ungarischen Regierungspartei] Fidesz ist das Wort Selbstkritik nicht zu finden, während sich bei der kroatischen Regierungspartei HDZ nach der Wahl überraschend selbstkritische Stimmen gemeldet haben. Mehrere Politiker haben zugegeben, dass es ein Fehler war, zwischen den zwei Wahlrunden ihre Politik noch weiter nach rechts zu verschieben. Andere haben darauf aufmerksam gemacht, dass man die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht genug beachtet hat.“
Anspruchsvolle Kohabitation
Eine konservative Regierung und ein sozialdemokratischer Präsident – das wird eine Reifeprüfung für Kroatien, meint Večernji list:
„Zoran Milanović ist seit gestern Präsident aller Bürger. So abgedroschen es auch klingt, es ist der logische und einzige Rahmen, den uns die Demokratie bietet. Die gestrigen Reden des neuen Präsidenten und seiner Vorgängerin geben uns das Recht zu glauben, dass sich die kroatische Gesellschaft zu einer politisch verantwortungsvollen Gemeinschaft entwickelt, die Unterschiede anerkennt und bei strategischen nationalen Zielen zusammenarbeitet. ... Wir betreten eine Zeit einer intensiven und anspruchsvollen Kohabitation. Der EU-Vorsitz, die USA-Iran Krise und der Brexit sind nur ein Teil der außenpolitischen Herausforderungen, bei denen Premier und Präsident politische und menschliche Reife zeigen müssen.“
Eindeutige Orientierung nach Westen
Dass es zumindest über Kroatiens außenpolitische Ausrichtung künftig weniger Streit geben wird, erwartet Azonnali:
„Im außenpolitischen Bereich, wo die bisherige Staatschefin und der Regierungschef trotz der gemeinsamen Parteizugehörigkeit eine gegensätzliche Politik verfolgt haben, ist in Zukunft eine harmonischere Zusammenarbeit zu erwarten. Sowohl [Premier] Plenković als auch Milanović orientieren sich eindeutig nach Westen und wollen Kroatien in den Schengen-Raum, in die Eurozone und in ein eventuelles Kerneuropa führen.“
Bürger wollen Veränderung
Milanovićs Sieg sendet ein klares Signal an die Politik, analysiert Jutarnji list:
„Für die politische Gesundheit der Nation ist es gut, dass nicht alle Macht in der Hand einer Partei liegt. Die Befugnisse des Präsidenten sind relativ klein, aber genügen, um ein Gegengewicht zur Regierung zu bilden, die den Staatschef bei Fragen der Außenpolitik, Geheimdienste und des Militärs konsultieren muss. ... Diese Veränderung zeigt, dass bei einigen wichtigen Fragen die Entscheidungen nicht mehr nur an einem Ort gefällt werden können. Was jedoch außerordentlich wichtig ist: dass Milanović mit all seinen Mängeln, die den Wählern nur allzu bekannt sind, die Kandidatin der HDZ vor allem deshalb überzeugend geschlagen hat, weil die Bürger Veränderungen wollen.“
Weniger Emotionen, sonst bleibt alles gleich
Große Neuerungen in Kroatien erwartet Dnevnik allerdings nicht:
„Die Befugnisse des Präsidenten sind, wie in Slowenien, relativ begrenzt. Auch in den Beziehungen zu Slowenien wird es keine revolutionären Veränderungen geben, denn auch für Milanović ist das Schiedsabkommen zur slowenisch-kroatischen Grenze tot. Wir werden jedoch Zeugen eines etwas anderen Stils sein, der weniger emotional ist, mit weniger Gesangseinlagen auskommt und auch nicht davon geprägt sein wird, Fußballer zu umarmen. Bald werden wir sehen, ob Milanovićs Niederlage bei den Parlamentswahlen und seine zweijährige Abwesenheit von der Politik ihm mehr Ausgeglichenheit, Toleranz und Gelassenheit gebracht haben oder ob Zynismus, Hochmut und mangelnder Sinn für Dialog weiter sein Wesen bestimmen.“