Davos: Wirbel um Greta und die Frage der Wirkung
Donald Trump hat das Thema Klimaschutz, das beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos eigentlich im Zentrum steht, in seiner Rede nur gestreift. Später sprach Greta Thunberg und warf den Topmanagern Tatenlosigkeit vor. Pressestimmen ärgern sich über die platte Fixierung auf die prominenten Kontrahenten - und fragen sich, wie zeitgemäß das Forum noch ist.
Karikaturhaftem Duell fehlt Rationalität
Die Erde hat eine differenziertere Debatte verdient als die aktuelle, glaubt L'Opinion:
„Wer nur einen einzigen Feind benennt, verkürzt die Realität, stärkt die Demagogie und untersagt jegliche konkrete Lösung. … In Sachen CO2-Ausstieg kann man die Grenzen des Marktes kritisieren, ohne dabei die Planwirtschaft zu rehabilitieren. Man kann über den Kapitalismus diskutieren, ohne die Verbraucher von ihrer Verantwortung zu entbinden. Man kann die Unternehmen zum Reagieren drängen und gleichzeitig auf die Untätigkeit der Staaten deuten, die oft unfähig sind, das Verursacherprinzip durchzusetzen. Man kann die Blindheit der CO2-Sünder stigmatisieren, ohne die lügenhafte Utopie eines glücklichen Wandels gutzuheißen, der in Wirklichkeit das Aus für Kaufkraft und individuelle Freiheiten bedeutet. Das Schicksal der Erde verdient Besseres als ein primitives Duell: ein wenig Rationalität.“
Kapitalismus gibt auch Hoffnung auf Klimarettung
Donald Trump und Greta Thunberg sind zwei Seiten einer Medaille, meint Lidové noviny:
„Greta verkörpert offenbar das Reich des Guten, Trump das Reich des Bösen, der Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Planeten. Die Wahrheit ist jedoch nicht so verbohrt schwarz-weiß. ... Der Kapitalismus verursacht nicht nur Klimaprobleme, er ist auch eine Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel. Das moralisch-politische Problem der Rettung der Erde wandelt sich zu einem wirtschaftlichen Problem, zu einem von Investitionen. Der Kapitalismus und seine Banken sind unter politischem und gesellschaftlichem Druck dazu gezwungen, eine neue grüne Welt zu finanzieren. Darin liegt der alles in allem konfliktfreie Kern der Agenda von Davos, nicht im Redewettstreit von Greta und Trump.“
Zeiten von Davos sollten vorbei sein
Für das jährliche Treffen der Wichtigen und Reichen in Davos - garniert mit ein paar Youtubern und jungen Leuten - hat Kristeligt Dagblad wenig übrig:
„Das eigentliche Problem mit Davos ist, dass es den meisten schwerfallen würde zu erklären, zu welch konkreten Ergebnissen dieses jährlich wiederkehrende Ereignis eigentlich geführt hat - ungeachtet der umfassenden Medienberichterstattung. ... Dieses hyper-exklusive Treffen für die Reichsten der Welt in einer Alibi-Gesellschaft mit NGOs und einigen jungen Menschen enspricht nicht nur nicht mehr dem Zeitgeist: Vielleicht müssen die großen Herausforderungen in der Realität endlich so ernst genommen werden, dass darüber auf Foren diskutiert wird, in denen der Berühmheits- und Privatjet-Faktor weniger ausgeprägt ist und die Verpflichtungen der internationalen Gesellschaft ein bisschen größer sind.“
Wirtschaftselite kann Unruhe nicht mehr ignorieren
Einen gewissen Reformwillen in Davos sieht Linas Kojala, Leiter des Eastern Europe Studies Center in Vilnius, auf Delfi:
„Aufgeschreckt von den Vorschlägen Bernie Sanders' und Elizabeth Warrens, die das Amt des US-Präsidenten anstreben, und in Erinnerung an die Aspirationen Jeremy Corbyns auf den Posten des UK-Premierministers, sprechen die führenden Vertreter der Wirtschaft über die Notwendigkeit, den Kapitalismus zu reformieren. … So schlägt ['Davos-Gründer' Klaus] Schwab vor, sicherzustellen, dass bei der Bewertung von Unternehmen nicht nur die Gewinne berücksichtigt werden, sondern auch, wie viel Geld für Gehälter, Steuern sowie den Kampf gegen gesellschaftliche Probleme wie den Klimawandel ausgegeben wird. … Man beginnt, Fragen zu stellen, die die Beunruhigung von Millionen Menschen in unterschiedlichen Teilen der westlichen Welt widerspiegeln.“
Greta, der Fels in der Brandung
Das Spektakel um den Besuch von Greta Thunberg in Davos ist für Journal 21 ein Zeichen dafür, dass es an Lösungen für die Klimakrise fehlt:
„Man hofft, dass rechtzeitig irgendwie irgendwas erfunden wird, und dass zum Beispiel Windkraftgegner eines Tages jene Windkraftwerke und Stromtrassen bejubeln, die sie derzeit erbittert ablehnen. Die Politik ist faktisch ratlos und verdeckt ihre Ratlosigkeit mit grossprecherischen Ankündigungen. Es fehlen technische Konzepte, die überzeugen und begeistern. Und so bleibt nur das mulmige Gefühl, dass wir uns auf einer abschüssigen Bahn befinden, dass sich dringend Grundlegendes ändern muss, aber keiner einen wirklichen Ausweg weiss. In ausweglosen Situationen neigt man zu Ersatzhandlungen. Die Verehrung von Greta Thunberg ist eine davon. Sie bietet einen Halt in der Haltlosigkeit.“
Die Industrie muss zu ihrem Glück gezwungen werden
Ein erfolgreicher Kampf gegen die Klimakrise erfordert Kompromisslosigkeit der Politik gegenüber der Wirtschaft, betont Klimaforscher Anthony Patt in der Neuen Zürcher Zeitung:
„Erstens nützt uns eine gesunde europäische Industrie wenig, wenn unsere Städte unter dem Meeresspiegel stehen und von Klimaflüchtlingen überflutet werden, die nach Nahrungsmitteln aus einem Agrarsektor dürsten, der nicht mehr weiss, wo er Süsswasser herbekommen soll. ... Zweitens gibt es keine wirtschaftlichen Gründe mehr, um auf Atomkraft zu setzen, da die Kosten für erneuerbare Energien und Energiespeicherung derart gesunken sind. Es ist einfach kostengünstiger und ressourcenschonender, mit einer Kombination aus Sonne und Wind, ergänzt durch Batterie-, Wasser- und Wasserstoffspeicherung, zuverlässig Strom zu erzeugen.“
Hohe Wirtschaftstiere sind schwer zu beeindrucken
Eine prominente Aktivistin alleine kann nicht viel erreichen, konstatiert Naftemporiki:
„Davos dient auch oft als eine 'Waschmaschine' für rastlose Prominente wie z. B Rockstar Bono. So oder so reicht eine Thunberg nicht aus, um den Frühling ins Forum zu bringen. Denn die Mächtigen des Planeten planen dort den nächsten Tag ohne besondere Sensibilität - ob es die Rechte der Armen und Vernachlässigten betrifft oder den Klimawandel, der den Planeten mit zusätzlichen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen bedroht.“
Echte Green Economy braucht Paradigmenwechsel
Umwelt und Wirtschaft dürfen nicht länger als unvereinbar angesehen werden, mahnt Corriere del Ticino:
„Es ist eine Polarisierung zwischen dem Anti-Umweltschützer Donald Trump und der grünen Greta Thunberg zu erwarten. Doch wäre es notwendig, auch in Davos zu versuchen, einen pragmatischeren Weg zu finden, der aufzeigt, was jetzt und in Zukunft wirklich getan werden kann. Eine Green Economy oder ein Green New Deal können nur dann wirkungsvoll sein, wenn sie mit der konkreten Realität verknüpft sind. Umweltschutz ist richtig, gleichzeitig ist es richtig, Unternehmen und die Marktwirtschaft (und damit Wachstum, Einkommen, Beschäftigung) zu entwickeln. Die wirkliche Herausforderung besteht darin, Wirtschaft und Umwelt zu synthetisieren und die beiden Begriffe nicht entgegenzustellen.“
Umweltschutz weiterhin nur kosmetisch
Vor dem Start des Weltwirtschaftsforums haben Unternehmen wie Nestlé, Microsoft und Blackrock durchgreifendere Umweltschutzmaßnahmen angekündigt. Warum derlei Initiativen nicht ausreichen, erklärt L'Echo:
„Zum einen sind die meisten von ihnen punktuell und setzen daher dem ständigen Zuwachs der globalen Wirtschaftsaktivitäten nichts entgegen. So wie die Autos, mit denen der Einzelne in den letzten Jahren zwar weniger verschmutzt, deren CO2-Ausstoß insgesamt jedoch zunimmt. Zum anderen wird zur Kanalisierung dieses Wachstums ein supranationaler Dirigent benötigt, der fähig ist, den Umweltschutz bei internationalen Schlichtungsverfahren in Handelsfragen einzubinden. Das jüngste Abkommen, das die USA und China unterzeichnet haben, geht genau in die falsche Richtung. ... Es verstärkt den Warenaustausch zwischen zwei geografisch entfernten Erdteilen und die damit einhergehende Umweltbelastung.“