Polen: Wird es ungemütlich für Duda und die PiS?
Die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Polen am Sonntag hat der nationalkonservative Amtsinhaber Andrzej Duda zwar gewonnen, mit knapp 44 Prozent der Stimmen hat er die absolute Mehrheit aber verfehlt. Nun muss er sich in einer Stichwahl am 12. Juli dem liberalen Rafał Trzaskowski stellen. Kommentatoren skizzieren, wie es weitergehen könnte.
Auch Visegrád steht am Scheideweg
Bei der Stichwahl in Polen geht es auch um die Zukunft der V4-Staaten, erinnert Sme:
„Polen hat die stärkste Stimme innerhalb der Visegrád-Gruppe. ... Die Beschränkungen der Medien in Warschau, der Versuch, die Kontrolle über die Justiz zu übernehmen - also Dinge, die die EU Polen vorwirft - sind auch ein schwarzer Fleck für Polens Partner. In den nächsten zwei Wochen vor der Stichwahl wird sich auch entscheiden, ob Ost-Mitteleuropa eine Region bleibt, in der die Slowakei weiterhin wie eine Oase liberaler Demokratie aussieht, oder ob sich die Visegrád-Staaten insgesamt in Richtung europäischer Werte bewegen.“
In Ungarn undenkbar
Die Systeme in Polen und Ungarn sind eben doch nicht in gleichem Maße illiberal, erklärt Népszava:
„Es geht nicht darum, dass der Stil der PiS viel besser wäre als der Stil von Fidesz. In Polen aber hat der Vorsitzende einer kleinen Partei der Regierungskoalition, Jarosław Gowin, darauf bestanden, dass die für Anfang Mai geplante Wahl wegen der Pandemie verschoben wird. Falls die PiS sich weigerte, würde er die Regierung stürzen, sagte er. ... Gowin widersetzte sich dem PiS-Präsidenten und ging sogar das Risiko ein, dass dieser aus Rache seine politische Karriere beendet. Wer wäre in Ungarn aus der [kleineren Regierungspartei] KDNP so mutig, sich gegen Viktor Orbán zu stellen, weil er seine Prinzipen für wichtiger hält als die Fraktionsdisziplin?“
Duda setzt eine neue Maske auf
Nun geht der Präsident auf Wählerfang, meint Rzeczpospolita:
„Duda ist immer noch der Favorit bei dieser Wahl. … Er hat das PiS-Ergebnis der Parlamentswahl im vergangenen Jahr leicht verbessert. Jetzt versucht er, neue Wähler zu gewinnen. Und das ist nicht einfach, weil er sich jahrelang darauf konzentrierte, alle außer die PiS zu beleidigen. ... Jetzt setzt Präsident Duda eine neue Maske auf und versucht, die Wähler der rechtsextremen Konfederacja zu gewinnen, obwohl Premierminister Mateusz Morawiecki dieser 'Beziehungen zu Russland' und einen Mangel an Patriotismus vorwirft.“
Auch in der Krise ist Stabilität nicht alles
Die Bürger haben diese Wahl sehr ernst genommen, kommentiert Corriere della Sera:
„Um 21.00 Uhr hatten fast 63 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Es ist die höchste Wahlbeteiligung in 30 Jahren Demokratie. … Die Pandemie hat die Wirtschaftslage in Polen, das sich in der ersten Rezession seit 1991 befindet, erheblich erschüttert. ... Souveränist Duda erscheint seinen Wählern daher als der Garant für Stabilität in stürmischen Gewässern sowie als Verfechter familiärer und traditioneller Werte. Interne und (insbesondere von der Europäischen Kommission gesendete) externe Alarmsignale über die autoritären Tendenzen der Regierung Mateusz Morawiecki, Reformen, die die Unabhängigkeit der Justiz schwächen, die Feindseligkeit gegenüber homosexuellen Paaren und Frauenrechten haben jedoch einen großen Teil der Polen überzeugt, sich hinter Trzaskowski zu stellen.“
Anti-EU-Politik zahlt sich auf Dauer nicht aus
Die Gründe für das relativ schwache Abschneiden Dudas versucht die Frankfurter Rundschau zu erklären:
„Zeitlich fiel die Wende mit dem Corona-Ausbruch zusammen. Das wahre Problem jedoch war [der PiS-Vorsitzende] Kaczynski. Er wollte seine Pläne für einen autoritären Staatsumbau vorantreiben. Das kam in der Pandemie nicht gut an. Viel deutet darauf hin, dass Kaczynski den Zenit seiner Macht überschritten haben könnte. Die Wirtschaftskrise zwingt die PiS zu unpopulären Einschnitten. Aber auch in der Europa-Politik wird die Partei gegen ihre Überzeugungen handeln müssen. Denn strukturell ist die PiS eine Anti-EU-Partei. Polen aber ist in fast jeder Hinsicht auf einen Erfolg der Staatengemeinschaft angewiesen. Zudem ist die EU im Land populär. Politiker wie Trzaskowski stehen für eine weltoffene Politik. Auf Dauer haben sie die besseren Karten.“
Illiberalismus in der Defensive
Das vorläufige Ergebnis ist ein starkes Lebenszeichen für die Demokratie in Mittel- und Osteuropa, analysiert Financial Times:
„Ein Erfolg für Rafał Trzaskowski würde es der Opposition ermöglichen, das politische Handeln der regierenden PiS entscheidend zu bremsen. Es könnten möglicherweise sogar vorgezogene Parlamentswahlen erzwungen werden. ... Die polnische Verfassung gibt dem Präsidenten zwar keine weitreichenden Befugnisse, wie sie seine Amtskollegen in den USA und in Frankreich haben. Doch er kann Gesetzesvorlagen der Regierung mit einem Veto blockieren. ... Ein Oppositionssieg am 12. Juli wäre das jüngste Zeichen dafür, dass politischer Illiberalismus, rechtsextremer Nationalismus und Widerstand gegen EU-Werte in Teilen Mittel- und Osteuropas in den vergangenen vier Jahren an Boden verloren haben.“
Budapest in Warschau
Gazeta Wyborcza vergleicht Polen mit Ungarn:
„In Polen gibt es nun drei stabile Wahlblöcke: ein sehr starkes Lager der Vereinigten Rechten, eine langsam wachsende und von der Partei Konföderation vertretene extreme Rechte, die keine Probleme mehr hat, die Fünf-Prozent-Hürde zu überschreiten, und das instabile demokratische Lager mit fast der Hälfte aller Wähler. Dies ist teilweise die Umsetzung von PiS-Chef Jarosław Kaczyńskis Traum und ein politischer Plan, der in Ungarn durch Viktor Orbán entworfen wurde: die Vereinigte Rechte/ Fidesz steht inmitten der politischen Szene und 'verteidigt die Bürger' gegen den Radikalismus der extremen Rechten und der Linken. “