Neues EU-Asylpaket: Die richtige Antwort auf Moria?
Rund zwei Wochen nach dem Großbrand im Flüchtlingslager Moria hat die EU-Kommission am Mittwoch ein neues Asylpaket vorgestellt. Unter anderem sollen Mitgliedsstaaten nicht mehr an Aufnahmequoten gebunden sein, sondern stattdessen auch Aufgaben wie Rückführungen übernehmen können. Die meisten Kommentatoren halten den Entwurf nicht für eine tragfähige Lösung.
Eine weitere Enttäuschung
Delo ist einigermaßen bestürzt:
„In der aktuellen Situation, die Solidarität, politische Weisheit und vor allem Menschlichkeit erfordert, hat die Europäische Kommission am Mittwoch ihren neuen migrationspolitischen Plan vorgelegt. ... Auch wenn für alle, die wie wir die Flüchtlingstragödie seit längerem verfolgen, positive Erwartungen ein Zeichen für ein unzureichendes Verständnis der Situation sind, ist der von der Kommission vorgelegte Plan doch schockierend. Brüssel - so etwas wie eine gemeinsame europäische (nicht nur) Außenpolitik gibt es sowieso nicht - hat beschlossen, die Verantwortung für den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten in größerem Maße den Mitgliedstaaten zu überlassen. Das ist lediglich die Legalisierung der bestehenden 'Politik'. “
Auch ein Akt sprachlicher Perversion
Die EU hat mit "Abschiebepatenschaften" einen guten Kandidaten für das Unwort des Jahres kreiert, findet die Frankfurter Rundschau:
„Bisher waren Patenschaften positiv besetzt - etwa für Kinder. Es gibt sie aber auch für Bäume oder Tiere – also alles aus dem Bereich des Lebendigen, das umsorgt, gegossen oder sonst wie gepflegt sein will. Die EU-Kommission verkehrt diese schöne Bedeutung in einem Akt ungehemmter sprachlicher Perversion in ihr Gegenteil, indem sie diese mit dem Wort Abschiebung verbindet. EU-Staaten wie Ungarn oder Polen, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, sollen helfen, nicht anerkannte Flüchtlinge wieder loszuwerden – im Rahmen der besagten 'Abschiebepatenschaften'. ... Diese Verweigerung von Hilfe bei gleichzeitiger Verdinglichung von Menschen gilt in Brüssel übrigens als 'Solidarität' – womit eine zweite schöne Vokabel geschreddert wird.“
Legale Migration möglich machen
Nur eine gemeinsame EU-Einwanderungspolitik kann den Migrationsdruck mindern, insistiert das Tageblatt:
„Nur so kann vielen Tausenden Menschen zumindest die Aussicht gegeben werden, dass auch sie einmal die Möglichkeit haben, ohne den Preis von Verfolgung, Vergewaltigung oder sonstiger Gewalt zahlen zu müssen, nach Europa zu gelangen. Wenn Menschen etwa in Afrika die Perspektive geboten wird, über einen legalen Weg in die Union zu gelangen, verlieren illegale Einwanderungsrouten an Attraktivität. Wenn die Zahl der Schlauchboote im Mittelmeer verringert werden soll, müssen wohl Fluchtursachen vor Ort bekämpft, aber auch Perspektiven für legale Einwanderung in die EU geschaffen werden.“
Kommission ist mitschuldig – aber sie hat recht
Dass sie eine Umverteilung der Neuankömmlinge 2015 mit der Brechstange durchsetzen wollte, fällt jetzt auf die Europäische Kommission zurück, so Die Presse:
„Die Quoten wurden inmitten des polnischen Wahlkampfs gegen den erklärten Willen der liberalen Regierung in Warschau durchgedrückt – in Folge errangen die Nationalpopulisten die absolute Mehrheit im Parlament. Eine derartige Vorgangsweise gegenüber den Niederlanden, Frankreich oder ... Deutschland wäre undenkbar. Kein Wunder, dass die Kommission in Teilen der EU seither nicht mehr als unparteiische Instanz gesehen wird, sondern als politischer Handlanger der alten Garde. Fatal an der Situation ist nur, dass Brüssel recht hat. Das Management der Migration und die Entschärfung der explosiven Lage an den EU-Außengrenzen können nur ... holistisch-inklusiv gelöst werden. Wer Griechenland und Italien im Stich lässt, riskiert ein Schisma.“
Keine Last von Griechenlands Schultern genommen
Die Kommission hat dem Druck fremdenfeindlicher Regierungen nachgegeben, zeigt sich Efimerida ton Syntakton enttäuscht:
„Die lang erwarteten Vorschläge der Kommission ermöglichen es den EU-Mitgliedsstaaten, zu entscheiden, ob sie Flüchtlinge aufnehmen oder die Verantwortung für die Rückkehr derjenigen in ihre Herkunftsländer übernehmen, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Die zweite Option eignet sich für Länder wie Österreich, die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und die Slowakei, die bekanntermaßen nur ungern Flüchtlinge aufnehmen und ihr Heimpublikum ständig mit fremdenfeindlicher Rhetorik versorgen. Wir sprechen im Wesentlichen davon, dass die langjährige Solidaritätserzählung trotz der großen Katastrophe in Moria gestürzt wird. Dies bedeutet auch, dass die ersten Aufnahmeländer weiterhin die Hauptlast der Flüchtlingskrise tragen werden.“
Erster Schritt zum tragfähigen Kompromiss
Sydsvenskan meint, ein unbefriedigender Plan sei immer noch besser als gar keiner:
„Gewiss, Anlass zum Jubeln gibt es nicht. Aber im besten Fall kann es sich hier um den Embryo für einen akzeptablen Kompromiss handeln. ... Wie die Kommission in einer Pressemitteilung betont, erinnert das abgebrannte Flüchtlingslager Moria in Griechenland daran, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Eine weitere Erinnerung sind die ständigen Drohungen aus Ankara, Millionen syrischer Flüchtlinge aus Lagern in der Türkei in Richtung EU weiterreisen zu lassen. Um aus der unhaltbaren Situation herauszukommen, müssen sich die EU-Länder auf eine gemeinsame Migrationspolitik einigen. 'Leicht wird das nicht werden', konstatiert [EU-Kommissarin] Ylva Johansson. Aber wie es scheint, ist es jetzt ein klein wenig leichter geworden.“
Intelligenter Schachzug
Die Idee ist gar nicht mal so übel, freut sich Brüssel-Korrespondent Andrea Bonanni in La Repubblica:
„Ursula von der Leyens Vorschlag sieht vor, dass Europa die Verantwortung für die rasche Rückkehr irregulärer Migranten übernehmen soll. Mit einem Schachzug, der nicht einem gewissen teutonischen Moralismus entbehrt, nimmt sie vor allem die Länder in die Pflicht, die die Umverteilung der Asylbewerber ablehnen: Den Verfechtern der 'Festung Europa' soll die Aufgabe zufallen, die schiffbrüchigen Migranten, die ohne Anspruch auf politisches Asyl in Griechenland oder Italien gelandet sind, zurückzuschicken. Wenn ihnen die Rückführung nicht gelingt, müssen sie sie bei sich selbst aufnehmen. Dies wäre keine unerhebliche Hilfe für die italienische Regierung.“
Jetzt geht die Debatte erst richtig los
Der Plan der Kommission bringt endlich Bewegung in die Flüchtlingsfrage, doch entschieden ist noch nichts, analysiert Jutarnji list:
„Es handelt sich lediglich um einen Vorschlag, der sicher noch für Debatten im EU-Rat sorgen wird. ... Die ersten Reaktionen aus dem EU-Parlament zeigen Unterstützung für die Europäische Kommission, doch meinen einige, der Plan sei nicht anspruchsvoll genug, da er den Mitgliedsstaaten keine Verpflichtung auferlegt, die Verantwortung für eine konkrete Zahl von Flüchtlingen zu übernehmen. An einer dauerhaften Lösung sind Staaten wie Griechenland, Italien, Spanien und Malta interessiert, die direkt betroffen sind, während die Staaten Mitteleuropas wie Ungarn, die Slowakei, Polen und Österreich die Verantwortung traditionell ablehnen. Gerade von diesen Staaten wird das Schicksal des Kommissionsvorschlags abhängen.“
Es droht eine neue Migrationshysterie
Brüssels Plan wird in der Slowakei auf harten Widerstand stoßen, ist Denník N sicher:
„Es besteht kein Zweifel, dass das politisch fast tote Thema das Potenzial hat, die Flüchtlingshysterie in mehreren europäischen Ländern, einschließlich uns, wiederzubeleben. Die Geschwindigkeit, mit der ein zuständiger Staatssekretär davon sprach, dass keine rote Linie überschritten werden dürfe, zeugt davon. Die Slowakei ist auch nach den Premiers Fico und Pellegrini eines der Länder mit der feindlichsten Haltung gegenüber Flüchtlingen. ... Es besteht kein Zweifel, dass die bloße Vorstellung, wie Brüssel uns 'diktiert', für die Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimat zu bezahlen, einen großen Teil der Slowaken gegen die EU aufbringen wird.“