Trump trotzt Corona: Leichtsinn oder Stärke?

Nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus ins Weiße Haus hat der Corona-infizierte US-Präsident Trump vor laufenden Kameras die Maske abgenommen. Via Twitter rief er die Menschen dazu auf, keine Angst vor dem Virus zu haben. Unter Trumps Mitarbeitern breitet sich das Virus derweil aus. Die Selbstinszenierung des Präsidenten bietet weiterhin viel Diskussionsstoff.

Alle Zitate öffnen/schließen
Deutsche Welle (RO) /

Ein Präsident darf keine Schwäche zeigen

Der rumänische Dienst der Deutsche Welle verteidigt das Auftreten von Trump:

„Die Hauptmission eines Staatschefs ist, die Sicherheit seines Landes zu garantieren, und damit jeden Angriff oder jede direkte oder hybride Aggression abzuwehren. Nichts ist in dieser Hinsicht besser, als dass der Staatschef nach außen hin Kraft, Energie und Macht ausstrahlt. Und nichts gefährlicher als ein willensschwacher Anführer, der wirkt, als sei er dem Tode nahe, schwach oder verängstigt. Der Eindruck von Schwäche oder Angst würde die Feinde enorm animieren.“

La Stampa (IT) /

Es steht nur einer am Steuer

La-Stampa-Kolumnist Gianni Riotta fühlt sich an Hollywood erinnert:

„Der Lieblingsfilm von Präsident Donald Trump ist Patton, von 1970, mit George Scott in der Hauptrolle des Generals Patton, unschlagbar in der Schlacht, größenwahnsinnig im Leben. ... Die Szene vom Montagabend, mit dem Covid-kranken Präsidenten, der aus dem Krankenhaus zurückkehrt, mit einem Militärgruß vom Balkon des Weißen Hauses aus den Hubschrauber verabschiedet und sich kampfbereit den Mundschutz abnimmt, macht klar, warum Trump diesen Film liebt. ... Jede Bewegung, jede Mimik, jeder Blick und jede Haltung ist von Patton-Scott inspiriert, und die politische Botschaft für die Abstimmung am 3. November erlaubt keine Widerrede, wie ein Befehl des alten Generals: Weitermachen. ... Das Schiff Amerika fährt, ohne Offiziere, ohne Besatzung, am Steuer nur Präsident Trump, der allein die Route kennt: Vorwärts.“

NRC (NL) /

Siegerposen könnten nach hinten losgehen

Das Triumph-Gebaren könnte bei vielen Bürgern nicht gut ankommen, glaubt NRC Handelsblad:

„Nach einer Ipsos-Umfrage vom Sonntag meinen zwei Drittel der Amerikaner, dass Trump die Infektion seiner eigenen Unvorsichtigkeit zu verdanken hat. Drei Viertel der Befragten machen sich Sorgen wegen der Pandemie, und mehr als die Hälfte kritisiert Trumps Vorgehen dagegen. ... Hinterbliebene von Amerikanern, die an Covid-19 gestorben sind, erinnerten in den vergangenen Tagen im TV daran, dass ihre Angehörigen eine deutlich schlechtere Versorgung bekamen als der Präsident. Diese Stimmungen könnten es für den Präsidenten riskant machen, schnell wieder in den Wahlkampf zu ziehen.“

The Spectator (GB) /

Hysterie der Trump-Gegner ist verräterisch

Wie sich linksliberale US-Medien über Trumps Umgang mit seiner Corona-Infektion echauffieren, missfällt The Spectator:

„Nach ihrer Reaktion zu urteilen, könnte man meinen, dass Donald Trump herumläuft und gezielt ältere Menschen anspuckt. CNN-Journalist Jim Acosta erklärte: 'Das ist nicht einfach der Präsident, der ins Weiße Haus zurückkehrt. Dies könnte der Ersterkrankte, also Patient null sein. Hier kommt das Virus zurück ins Weiße Haus.' Patient null? Vielleicht, aber nur vielleicht sorgen sich diese Kommentatoren nicht wirklich wegen des Virus. Vielleicht, aber nur vielleicht, sind sie vielmehr beunruhigt, dass Trumps Infektion seine Chancen auf eine Wiederwahl nicht zunichte gemacht hat. Das wirft eine andere Frage auf: Wer ist wirklich verrückt?“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Mehr Gelassenheit täte allen gut

Die Neue Zürcher Zeitung kritisiert das öffentliche Kaffeesatzlesen zu Trumps Gesundheitszustand:

„[W]as nützen solche Spekulationen? Dienen sie einzig dem Zweck, den Präsidenten entgegen seiner eitlen Selbstdarstellung geschwächt zu zeigen und zu demütigen? ... [D]ie Krankheit bringt das Land in keiner Weise in Gefahr. Selbst im schlimmsten Fall von Trumps Tod wäre die Regierungsführung jederzeit von der Verfassung garantiert. Vizepräsident Mike Pence würde sogleich zum Präsidenten vereidigt. Und dieses Szenario ist dank der hervorragenden medizinischen Versorgung des Präsidenten ziemlich unwahrscheinlich. ... Etwas mehr Gelassenheit, Zurückhaltung und Menschlichkeit täte allen gut, dem Patienten selbst, seinen Anhängern wie auch seinen Kritikern.“

Dagens Nyheter (SE) /

Ein spekulatives Spektakel

Auch Dagens Nyheter missfällt die Berichterstattung rund um Trumps Erkrankung:

„Das Ganze ist ein spekulatives Spektakel, das mehr einem Alleinherrscher einer Bananen- oder Wodkarepublik würdig ist, als einem Nachfolger von Abraham Lincoln und John F. Kennedy. Unter der Ära Trump wurden Lügen und Desinformation zur Normalität. Am Wochenende hat das Internet auch daran erinnert, wie Trump bei der letzten Wahl die Lungenentzündung von Hillary Clinton verhöhnt hat. Damals war man erstaunt und bestürzt. Jetzt ist der hetzerische Ton voller Hass schon fast an der Tagesordnung, und wir haben uns alle schon mehr oder weniger daran gewöhnt. Das Netteste, was man sagen kann, ist, dass dies nicht zu 100 Prozent Trumps Verschulden ist - aber es wird auch zu 100 Prozent nicht er sein, der das ändern und den USA und der Demokratie neuen Sauerstoff geben wird.“

Adevărul (RO) /

Wahlkampf wird zum Theater

Trumps Ausfahrt in der Staatskarosse, um seinen Fans zu winken, hält Cristian Unteanu in Adevărul für den Gipfel:

„Sehr zum Leidwesen der ganzen Welt hat die große Debatte, in der die Kandidaten den US-Bürgern erklären sollten, wie sie Amerika aus der tiefen Pandemie-Krise herausholen wollen, kaum eine Chance. Und sollte sie doch stattfinden, wird sie in einen sehr vorhersehbaren, boulevardesken Skandal verwandelt werden, in der die Episode dieser improvisierten Autofahrt allgegenwärtig sein wird. Das ist nun Thema Nummer Eins. ... Der Watergate-Skandal war seinerzeit ein klassischer politischer Kampf. ... Jetzt leben wir in einer anderen Art Realität und müssen eine Theateraufführung mitansehen.“

Ria Nowosti (RU) /

Ein typischer US-Held

Ria Nowosti glaubt, dass Trumps Erkrankung ihm im Wahlkampf zugute kommt:

„Die US-Kultur liebt Stories sehr, in denen heroische Einzelkämpfer mit schwierigem Charakter Probleme überwinden und starke Feinde trotz widriger Umstände schlagen. ... Das Bild vom Präsidenten, wie er in stolzer Einsamkeit zum Hubschrauber geht, der ihn ins Krankenhaus bringt, ist starke Wahlwerbung - zumindest für das US-Publikum. Das Krankenhausvideo vom blassen, aber entschlossenen Trump, der im Anzug dasitzend an Dokumenten arbeitet, ist auch ein effektives visuelles Muster. Es kontrastiert mit dem Verhalten Bidens, der faktisch kaum das Haus verlässt.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Präsident braucht das Rampenlicht

Eine krankheitsbedingte Quarantäne könnte Trump die Wiederwahl kosten, glaubt Tygodnik Powszechny:

„Die Quarantäne könnte für Trump nicht zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen. Der um seine Wiederwahl kämpfende Präsident hatte vor, potentiell wahlentscheidende Bundesstaaten wie Pennsylvania, Wisconsin und North Carolina zu besuchen, wo Biden einen Vorsprung von 3-6 Prozentpunkten hat. Besonders wichtig für Trump wären Auftritte in Florida, wo er nur zwei Prozentpunkte hinter Biden liegt.“

Blick (CH) /

Albtraum für Biden

Schlechte Nachrichten sind dies vor allem für Trumps Herausforderer Biden, glaubt wiederum Blick:

„Im von persönlichen Attacken geprägten US-Wahlkampf muss er sich nun mit Kritik zurückhalten - Häme verbietet sich bei einem kranken alten Mann schliesslich. ... Aktuell lenkt die Neuigkeit auf jeden Fall von allen anderen Skandalen ab. Die unglaubliche Anzahl von mehr als 200.000 Corona-Toten in den USA? Die Tatsache, dass sich die Zahl der Neuinfektionen in den USA seit einem Monat nicht verbessert hat? Dass er [Trump] um die Gefahr von Corona wusste und es bewusst runterspielte? Die irre TV-Debatte am Dienstag? Darüber spricht nun niemand mehr. ... Übersteht Trump die Erkrankung, steht er als starker Überlebender da. Als Kämpfer, der weiss, was das Volk durchmacht.“

Telegram (HR) /

Verantwortung holt Trump ein

Obwohl er mit allen Mitteln versucht hat, das Thema im Wahlkampf zu ignorieren, holt Trump sein schlechtes Krisenmanagement nun ein, meint Telegram.hr:

„Die Verantwortung von Präsident Trump, der die Gefahr der Krankheit heruntergespielt hat, bis zu dem Tag, an dem sie ihn selbst erwischte, der die Bürger zu unverantwortlichem Benehmen angestiftet hat, darauf bestanden hat, dass die Wirtschaft mitten in der Pandemie wieder angekurbelt wird, der sich während der Debatte am Dienstag über Joe Biden lustig machte, weil er in der Öffentlichkeit eine Maske trug - diese Verantwortung ist etwas, vor dem Trump in jedem Fall fliehen möchte. ... Trump hoffte die ganze Zeit, dass etwas auftauchen würde, was die Aufmerksamkeit auf andere Themen lenken würde.“

Savon Sanomat (FI) /

Skepsis ist angebracht

Alle Informationen zu Trumps Corona-Infektion müssen kritisch hinterfragt werden, meint Savon Sanomat:

„Die jüngsten Ereignisse können unabsehbare Auswirkungen auf die Umfragewerte zur Wahl haben. Trump wird etwas Sympathie bekommen, die andererseits dadurch gemindert wird, dass er selbst eine Mitschuld an der Infektion trägt. Entscheidend ist nun, wie schnell sich der Präsident erholt. Falls Trump nicht ernsthaft erkrankt, sondern nach der Quarantäne wieder bei vollen Kräften ist, kann er sich als Supermann darstellen, an dessen Seite Biden schwach wirkt. In diesem Fall ist es aber möglich, dass Fragen nach dem tatsächlichen Ablauf auftauchen. Man hat sich bei Trump mittlerweile daran gewöhnt, dass allen Verlautbarungen mit gesunder Skepsis zu begegnen ist.“