Wie soll Europa künftig verteidigt werden?
Paris und Berlin streiten sich um Europas sicherheitspolitische Ausrichtung. Beide rechnen auch unter Joe Biden mit international weniger aktiven USA als früher. Doch während Macron in ein souveränes Europa investieren will, das sich auch ohne Nato und USA verteidigen kann, hält Deutschlands Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer eine europäische Autonomie in diesem Bereich für illusorisch.
Deutschland fürchtet eigene Stärke
Warum ein europäischer Alleingang ohne Nato und USA für Deutschland kaum denkbar ist, beschreiben die EU- und Deutschland-Korrespondenten von Ukrinform, Andrii Lavreniuk und Olha Tanassijtschuk:
„Die Lektion aus dem Zweiten Weltkrieg (und auch dem Ersten) ist für Deutschland, dass eine eigenständige Rolle in der internationalen Politik für Berlin keine Alternative ist, hatte diese doch in der Vergangenheit viel Leid und Deutschland selbst eine Niederlage gebracht. Die Deutschen haben Angst zu stark zu werden, brauchen also Partner - je mehr, desto besser. Der natürliche Partner in Europa ist für Berlin Paris, aber nur auf diese Allianz wollen sich die Deutschen, obwohl Frankreich auch eine Atommacht ist, nicht verlassen, genauso wenig wie sie die Rolle der USA bei der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus vergessen wollen.“
Eigentlich wollen doch beide dasselbe
Allzu weit liegen die Positionen Frankreichs und Deutschlands doch gar nicht auseinander, findet die Badische Zeitung:
„Macron fordert wie die Bundesregierung, dass Europa viel mehr Verantwortung für seine Sicherheit übernimmt. Denn auch unter Joe Biden ist nicht zu erwarten, dass die USA Europa wieder die Aufmerksamkeit früherer Jahrzehnte widmen. In einer Grundsatzrede widerspricht Kramp-Karrenbauer zwar Macrons Träumen von einem militärisch vollkommen von den USA unabhängigen Europa. Ohne die nuklearen und konventionellen Fähigkeiten Amerikas könne Europa sich nicht schützen. Kramp-Karrenbauer sagt aber auch: 'Nur wenn wir unsere eigene Sicherheit ernst nehmen, wird Amerika das auch tun.' Diesen Satz kann auch Macron unterschreiben. Daher sollten Deutschland und Frankreich gemeinsam Europa stärken, anstatt über das ferne Ziel vollkommener strategischer Autonomie zu streiten.“
Strategie nicht Berlin und Paris überlassen
Länder wie Litauen müssen sich jetzt in die Diskussion um Europas künftige sicherheitspolitische Ausrichtung einbringen, fordert der Politologe Linas Kojala in Lrt:
„Die zwei großen Staaten Europas haben zwar noch keine klare Strategie, aber sie haben ein Ziel, sie zu erschaffen. ... Entweder wird Europa selbständig ohne die USA, oder die Sicherheit bleibt weiter an die Amerikaner gebunden. ... Litauen sieht in den USA einen unverzichtbaren Garanten für die Sicherheit, daher ist die Richtung, für die sich Europa entscheidet, sehr wichtig. Wir dürfen in dieser Debatte nicht die Hinterbänkler bleiben, denn die entscheidenden Veränderungen werden auf dem Niveau solcher Ideen und Diskussionen geboren.“