Sex-Party im Lockdown: Fidesz-Politiker tritt zurück
Der Skandal um eine wegen der Corona-Auflagen illegalen Orgie in Brüssel schlägt weiter hohe Wellen. Medienberichten zufolge soll die Polizei bei ihrer Kontrolle mindestens 20 Personen vorgefunden haben, größtenteils Männer, die meisten von ihnen nackt. Einer von ihnen war József Szájer, Mitbegründer des rechtskonservativen Fidesz und Europaparlamentarier. Er soll zudem Drogen bei sich gehabt haben.
Eigentlich müsste die Regierung stürzen
Mit József Szájer hat nicht einfach irgendein Politiker die Verfassungsordnung diskreditiert, streicht Azonnali heraus:
„Im Fall Szájer sind alle Elemente gegeben, die zum Sturz einer Regierung führen sollten. Jedoch fehlen in Ungarn die grundsätzlichen Merkmale einer demokratischen Kultur, die für so einen Sturz unerlässlich wären. ... Es wirkt, als ob es nur um eine Boulevard-Story gehe, deren Wichtigkeit nicht daran bestehe, dass die Verfassungsarchitektur des Regimes gerade von einem Menschen diskreditiert wird, der als Vater des von Fidesz verabschiedeten Grundgesetzes eine Schlüsselfigur dieser Architektur war.“
Ist die Party wirklich zu Ende?
Der Skandal könnte weit über Szájer und Fidesz hinausgehen, meint Magyar Hang, mahnt aber gleichzeitig zur Vorsicht:
„Der Organisator der Party hat sich geäußert, dass bei ähnlichen Partys viele Nationen vertreten seien, unter anderen durch Politiker der ungarischen und polnischen Rechtsparteien. ... Seine Aussagen sollte man unter Vorbehalt betrachten, da es dem Anschein nach um einen Menschen geht, für den ein Haftbefehl in Polen vorliegt und dessen Hintergrund unklar ist. Wichtiger ist, dass es einstweilen keine Beweise zur Untermauerung seiner Aussagen gibt. Noch lässt sich nicht vorhersagen, ob der Fidesz-Skandal einen Dominoeffekt auslöst.“
Jeglicher Glaubwürdigkeit entblößt
Anschaulicher hätte die Doppelmoral des Fidesz-Politikers wohl nicht gezeigt werden können, kommentiert der Chefredakteur des bulgarischen Diensts der Deutschen Welle, Alexander Andreev:
„Wenn es nur ein Wort gäbe, um den ehemaligen ungarischen Europaabgeordneten József Szájer, seinen Mentor Viktor Orbán und eine ganze Reihe anderer Populisten zu charakterisieren, dann wäre es Heuchelei. … Wenn Politiker im Interesse ihrer Wähler und für das Gemeinwohl arbeiten, interessiert mich ihr persönliches Leben überhaupt nicht. Aber wenn sie Wasser predigen und Wein trinken, wie das Sprichwort sagt, dann verlieren sie jegliche Glaubwürdigkeit. Und ein Politiker ohne Glaubwürdigkeit ist wie ein nackter Mann mit blutigen Händen an einer Dachrinne in Brüssel: hilflos, traurig und gescheitert.“
Jetzt steht Fidesz ohne Pseudothemen da
Ungarn hätte nichts Besseres passieren können, erklärt Népszava:
„Man kann sich nur wenige Entwicklungen vorstellen, die nützlicher für die Gleichstellung, die Demokratie und die Gesellschaft sein könnten, als der Fall von József Szájer ... Damit geht ein Alptraum zu Ende: [Die Regierungspartei] kann die nächsten anderthalb Jahren nicht mehr mit der Anprangerung von Schwulen und der Anstiftung zum Hass gegen sexuelle Minderheiten verbringen ... Da sie dieses Pseudothema verloren haben, sind die Fidesz-Partei und Viktor Orbán jetzt zu einem Coming-out gezwungen ... Sie müssen Farbe bekennen und zeigen, ob sie dem Land etwas Sinnvolleres als Hass und Feindbilder anbieten können.“
Auch an der Weichsel ist der Zynismus gut getarnt
Dass die Geschichte auch Menschen in Polen die Augen öffnet, hofft die Philologin und Journalistin Paulina Siegień in Krytyka Polityczna:
„Die Geschichte von József Szájer bedient in so einem Ausmaß die Stereotype, dass sie kaum zu glauben ist. Ein rechter, homophober, verheirateter Mann, der sich christliche Werte auf die Fahne schreibt, entpuppt sich als Liebhaber schwuler Orgien. Ich frage mich, ob diese Heuchelei irgendwann in großem Maßstab die Wahlen beeinflussen wird. Nicht nur in Ungarn, sondern auch in Polen. Denn der unter dem Werte-Deckmantel verkaufte Zynismus, der nur darauf abzielt, um jeden Preis Macht, Einfluss und Geld zu erhalten, ist auch der Grundinhalt der Politik an der Weichsel.“
Die Wähler sind zu Recht wütend
Die Enttäuschung der Fidesz-Anhänger über József Szájer kann das Portal Pesti Srácok vollends nachvollziehen:
„In den vergangenen 30 Jahren lernte ihn das ganze Land als einen zuverlässigen, klugen und gelassenen Menschen mit großer Kompetenz bei der Arbeit kennen. Seinen Gegnern bot er bisher kaum Angriffsfläche - und jetzt plötzlich eine so große, dass sie das Ende seiner politischen Karriere bedeutet. Mit ihm verliert Fidesz eine ihrer starken Säulen. Es ist verständlich, dass viele national gesinnte Wähler enttäuscht und wütend sind.“
PR-Debakel für ungarische Regierung
Ein peinlicher Schlag für die Fidesz-Regierung, stellt De Standaard fest:
„Die Kluft zwischen Szájers privatem Verhalten und der ideologischen Linie seiner Partei ist zu groß. Seit der Zeit, als Orbán und Szájer Fidesz als antikommunistischen Studentenklub gründeten, rückte die Partei deutlich nach rechts. Zu diesem Kurs gehören auch immer neue Einschränkungen von LGBT-Rechten. ... Gemeinsam mit der polnischen Regierung stellte sich Budapest in der vergangenen Woche noch gegen einen für die EU-Außenpolitik vorgesehen Plan für die Gleichstellung der Geschlechter. ... Dass nun ein absolutes Schwergewicht die Scheinheiligkeit hinter der Parteilinie offenlegt, ist ein potenzieller PR-Alptraum für Fidesz.“
Das Problem heißt Heuchelei
Nicht das Sexleben ist hier der Skandal, stellt Telex fest:
„Niemand darf weder moralisch noch rechtlich, also in keinem Sinne, wegen seiner sexuellen Vorlieben verurteilt werden, zumindest solange damit keine strafbaren Handlungen verbunden sind. ... Und allein aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um eine Person des öffentlichen Lebens handelt, muss sein zügelloses Sexleben nicht strenger beurteilt werden. ... Anders ist es, wenn er eine politische Ideologie vertritt, die mit vermeintlichem Christentum und Konservativismus durchdrungen ist. ... Wirklich skandalös sind in diesem Skandal eigentlich die Heuchelei und die Falschheit.“