Assange-Urteil: Sieg für die Pressefreiheit?
Der Wikileaks-Gründer Julian Assange darf nicht an die USA ausgeliefert werden. Das entschied am Montag ein Londoner Gericht. Die Richterin begründete ihr Urteil mit der Sorge vor einem Suizid des 49-Jährigen, falls er in den USA wegen Spionage verurteilt werden sollte. Ob Assanges Handlungen von der Pressefreiheit gedeckt sind, ist der Knackpunkt der Debatte in Europas Medien.
Fragwürdige Zuflucht
Die Beziehung von Assange zum Kreml ist mindestens widersprüchlich, meint Mária Gál in Népszava:
„Sowohl Assange als auch Snowden, die eine 'radikale Transparenz' anstreben und als kompromisslose Kämpfer der Rede- und Informationsfreiheit auftreten, haben den Schutz einer Diktatur gesucht. Es sagt viel aus, dass Assange, während er mit der ganzen westlichen Presse in Streit geriet, eine eigene Sendung im Propagandafernsehen des Kremls bekam. Zweifellos bewiesen mehrere von den durchgesickerten Materialien die Verletzung von Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Assange sich geweigert hat, Dokumente, die die außenpolitischen Interessen des Kremls verletzen, auf seinem Onlineportal zu veröffentlichen.“
Medien haben ihren Job nicht gemacht
Der Fall Assange ist ein Angriff auf die Informationsfreiheit, den Journalismus und die Medien - doch müssen sich die Medien weltweit auch an die eigene Nase fassen, meint der Soziologe Tomaž Mastnak in Dnevnik:
„Die Medienlandschaft war schon vor Beginn der Assange-Geschichte sehr eingeengt. Die Horizonte schlossen sich, als der 'Krieg gegen den Terror' erklärt und der Irak unter falschen Vorwänden angegriffen wurde. Wenn die Medien frei als 'vierte Gewalt' gehandelt und den anderen drei genau auf die Finger geschaut hätten, wäre es möglicherweise überhaupt nicht zu einem Angriff auf den Irak gekommen, die von Assange veröffentlichten Informationen hätte man nicht von Whistleblowern erhalten müssen, und Wikileaks wäre überhaupt nicht erforderlich.“
Entscheidung falsch begründet
Für To Vima ist das Urteil kein Befreiungsschlag für den Journalismus:
„Selbst die britische Richterin, die entschieden hat, dass Assange nicht ausgeliefert werden sollte, akzeptiert durch ihre Urteilsbegründung die US-Argumentation. ... Die Argumentation, die im Wesentlichen darauf beruht, dass journalistische Recherche und die Offenlegung der Wahrheit als Verbrechen behandelt werden sollten. Sie entschied einfach, dass Assange aus humanitären Gründen und wegen seiner sich verschlechternden psychischen Gesundheit nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden sollte. 'Freiheit erfordert Tugend und Mut', schrieb der griechische Dichter Andreas Kalvos. Gleiches gilt für wahren Journalismus.“
Enthüllungen retten Leben
Veröffentlichungen wie jene von Wikileaks sind essenziell, um Zivilisten vor Angriffen zu schützen, mahnt Kolumnist Owen Jones in The Guardian:
„Die US-Kriegsmaschine kann nur funktionieren, wenn sie in der Lage ist, die brutalen menschlichen Realitäten wegzuretuschieren. Wenn schuldlose Zivilisten ohne Konsequenzen getötet werden können, ohne dass jemand etwas merkt, dann gibt es nichts, das verhindern könnte, dass noch mehr Menschen das gleiche Schicksal erleiden. Dem US-Militär darf nicht erlaubt werden, ungestraft zu operieren. Genau darum geht es in diesem Fall wirklich. Julian Assange wird möglicherweise in Freiheit weiterleben können - obwohl dies nicht sicher ist. Doch nun ist es wichtiger denn je, nachdrücklich dafür einzutreten, dass die Wahrheit über Kriege enthüllt wird, die im Namen des amerikanischen Volkes geführt werden.“
Dennoch Sieg für US-Regierung
Dass die Richterin die Spionage-Anklage gegen Assange für gerechtfertigt hält, erfüllt die Aargauer Zeitung mit Sorge:
„Diese Anklage zielt direkt ins Herz der Pressefreiheit. Assange soll den Rest seines Lebens ins Gefängnis, weil er wahre Informationen publiziert hat, die von öffentlichem Interesse sind. ... Demokratische Regierungen entledigen sich zunehmend unangenehmen Widerspruchs, indem sie Unpopuläres hinter einer Mauer der Geheimhaltung verstecken. Assange hat diese Mauer durchbrochen. ... Anfang der 2010er-Jahre sah es noch so aus, als könnten Wikileaks und der NSA-Whistleblower Edward Snowden eine ganze Reihe an Menschen inspirieren, die dreckigen Geheimnisse dieser Welt auszupacken. Mit Snowden im Moskauer Zwangsexil und Assanges langjähriger Haft hat die US-Regierung ... den Krieg gewonnen, auch wenn sie den Kampf um Assanges Auslieferung zunächst verliert.“
Ob es Journalismus war, bleibt fraglich
Offen bleibt, inwieweit Assanges Handeln von Grundrechten geschützt war, stellt La Vanguardia weiterhin fest:
„Viele Journalisten, unter ihnen auch Pulitzer-Preisträger, stellen fest, dass sie in ihrer Arbeit eben das tun, was Assange tat: Informationen anfordern, Informationen erhalten und Informationen veröffentlichen. Aber die Nachrichten, die Assange durchsickern ließ, waren nicht das Ergebnis einer journalistischen Recherche im herkömmlichen Sinne, sondern ein Datenklau in geheimen Archiven der US-Behörden. Der ideologische Filter bei Wikileaks - niemals wurden für Russland schädliche Infos veröffentlicht - lassen zudem Zweifel in Bezug auf eine altruistische Motivation im Sinne der Meinungsfreiheit aufkommen. ... Assanges Sieg vor Gericht beendet nicht die Debatte über die Grenzen des investigativen Journalismus und das Recht auf freie Meinungsäußerung.“
Eine zu Recht umstrittene Figur
Für den Deutschlandfunk ist klar:
„Assange ist kein Journalist, er ist ein politischer Aktivist. Und als solcher ist er streitbar. Im US-Wahlkampf 2016 veröffentlichte Wikileaks Mails aus dem Innern der Demokratischen Partei. ... Clinton kam schlecht weg dabei. Die Enthüllung half Donald Trump, zu siegen. Der bedankte sich mit einer öffentlichen Liebeserklärung an Wikileaks. Zuvor hatte Julian Assange seine Bewunderung für die Tea Party-Bewegung bekundet und gesagt, er sehe nur eine Chance für die Zukunft der USA: den libertären Flügel der Republikaner. Sprich Donald Trump. 2016 mischte sich der Whistleblower also aktiv in den US-Wahlkampf ein. Nicht alles, was veröffentlicht wird, ist Journalismus - und Julian Assange zu Recht eine umstrittene Figur.“