Was tun, wenn jede Einreise ein Risiko darstellt?
Die Sorge vor einer Ausbreitung der Virus-Mutationen aus Großbritannien und Südafrika stellt die Politik vor neue Herausforderungen. Grenzschließungen wie während der ersten Welle der Pandemie will die EU bislang verhindern. Doch viele Länder führen nun im Alleingang strenge Grenzkontrollen, Flugverbote und neue Quarantäneregeln ein. Kommentatoren nehmen mögliche Maßnahmen unter die Lupe.
Jede Verzögerung hilft
Die Frankfurter Rundschau hält Einreiseverschärfungen für sinnvoll:
„Der Lockdown beginnt zu wirken – weniger deutlich und viel später als erhofft. Umso mehr müssen wir den mühevoll erarbeiteten ersten Erfolg schützen. Nicht, dass die Beschränkungen die Corona-Mutationen aufhalten könnten. Aber gerade weil sie sich so schnell verbreiten, hilft jede Verzögerung. Da ist es erfreulich, dass die Luftverkehrswirtschaft ganz offen einräumt, aktuell sei Reisen nur sehr eingeschränkt möglich. Und hilfreich, dass sie sich über die Zeit nach dem Lockdown Gedanken macht; geänderte Teststrategien statt Quarantänen könnten sich in der Tat zu einem gangbaren Weg entwickeln. Nur bei der Forderung, an Ostern möge bitte alles vorbei sein, zeigt sich unvernünftige Ungeduld.“
Halbherzige Quarantäne bringt gar nichts
Großbritannien hat diese Woche beschlossen, Reisende aus 30 Ländern nach ihrer Ankunft im Land zunächst in Quarantänehotels unterzubringen. The Guardian geht das nicht weit genug:
„Entweder eine Quarantäne ist allumfassend und effektiv, oder zum Scheitern verurteilt. Ein differenzierter Ansatz, der nach dem Herkunftsland unterscheidet, wird schon von der Schwierigkeit untergraben, herauszufinden, wo die Anreisenden wirklich herkommen. Weltreisende können sich unterwegs durch viele Länder und mit vielen Transportmitteln bewegt haben. ... Festzustellen, wer sich zuhause selbst isolieren darf und wer eine obligatorische Quarantäne im Hotel mitmachen muss, wird deshalb wohl eine sinnlose Aufgabe sein.“
Vorbild Australien
Ein solides Quarantäne-System für Reisende fordert auch The Irish Times und verweist auf Australien:
„Das Land kann als ideales Vorbild für die irische Regierung dienen, um mit Nordirland und Großbritannien ein gemeinsames und anpassungsfähiges System zu entwickeln. ... Dass Australien zum Vorbild geworden ist, hat nichts mit Glück zu tun, sondern mit der Auswertung von Daten und einem starken Gesundheitssystem. Das ist vielleicht die größte Herausforderung für Irlands Regierung beim Aufbau eines funktionierenden Quarantänesystems, denn das irische Gesundheitswesen und die darin tätigen Mitarbeiter wurden seit Jahren unterfinanziert. … Doch wenn hier das Gesundheitssystem nicht einbezogen wird, wird es zu schwerwiegenden Fehlern kommen, die sich auf das ganze Land auswirken.“
Jetzt ist es das wert
Besonders wegen der südafrikanischen Virusvariante sollten härtere Reisebeschränkungen in Erwägung gezogen werden, glaubt The Daily Telegraph:
„Was, wenn das die nächste Pandemie ist? Was, wenn Großbritannien wegen einer neuen Variante in die Knie geht und alles von vorne losgeht, weil wir dir Grenzen nicht rechtzeitig geschlossen haben? ... Es ist bemerkenswert, wie sehr sich die Diskussion dazu in der Regierung verändert hat. Eines der Argumente für die Ablehnung der australischen Vorgehensweise war zuvor, dass Großbritannien ein global vernetztes Land ist. ... Dass der Schaden, den Grenzschließungen – für Wirtschaft und den Ruf – haben, verheerend sein würden. Jetzt ist es das wert. Und es ist uns eine Lehre. Und vielleicht ist es auch ein Spiel, das bald jeder spielen muss. “
Macrons dogmatisches Zögern
Auch Frankreich hat nach langem Abwarten am Donnerstag Anti-Covid-Einreisekontrollen eingeführt. Der Widerstand in Paris war realitätsferne Symbolpolitik, kritisiert Le Figaro:
„Als hartnäckiger Verfechter des freien Personen- und Warenverkehrs wollte Macron sich nicht die Blöße geben, seine Position revidieren und Marine Le Pen sowie der äußerst kritischen Linken recht geben zu müssen. In unserem Land steht Dogmatismus über Pragmatismus, Symbole haben Vorrang vor Notwendigkeit. Am Donnerstagabend hat der Damm schließlich nachgegeben. Die französische Ausnahme ist nicht mehr angesagt. ... Macrons Wunsch nach einer EU-weiten Einführung brachte ihn dazu, sich einzureihen. So bringt er auch sein Handeln in Einklang mit seinem Versprechen zu schützen, dem seit Beginn der Krise nach Lust und Laune drohend geschwenkten Totem.“
Besser kontrollieren als schließen
In Europa können Kontrollen zur Eindämmung des Virus gerade bei der Reisebeschränkung nur lückenhaft sein, kommentiert die taz:
„Die Coronakrise zeigt, dass der Allmächtigkeit des demokratischen Staates Grenzen gesetzt sind. ... Wir leben mit unseren Nachbarn, sind wirtschaftlich eng mit ihnen verflochten. Neue Mauern hochzuziehen würde nicht nur den europäischen Wirtschaftsraum schwer schädigen und mehr Arbeitslosigkeit zur Folge haben. ... Die Versuche, an den Grenzen Kontrollen aufzubauen, müssen deshalb halbherzig bleiben. Das führt zu Ungleichbehandlungen. Aber es ist immer noch besser, als nichts zu unternehmen. Der Staat muss an erster Stelle weiterhin auf die Intelligenz und Einsicht seiner Bürger setzen – auch wenn es einige Uneinsichtige gibt.“