Hat die belarusische Opposition verloren?
In Belarus reihen sich die Prozesse gegen Regimegegner aneinander. Vergangene Woche begann das Verfahren gegen den einst wohl größten Widersacher Lukaschenkas, den Ex-Banker Viktar Babarika, außerdem wurden zwei Reporterinnen wegen eines Livestreams hinter Gitter gebracht. Anfang dieser Woche verurteilte ein Gericht jugendliche Demonstranten zu mehreren Jahren Arbeitslager oder Gefängnis.
Massive Repression siegt über Planlosigkeit
VTimes sieht keine Erfolgschance für die Opposition:
„Das Fehlen eines Handlungsplans und mangelnde Beharrlichkeit - als die Staatsmacht die Forderungen von über 200.000 Demonstranten ignorierte, gingen diese einfach auseinander - erlaubte den Befürwortern von Veränderungen nicht, ihr Ziel auch nur teilweise zu erreichen. Die Staatsorgane agierten hingegen die ganze Zeit methodisch: Als sie die Lage (nicht ohne Hilfe des Kremls) unter Kontrolle bekamen, begann Lukaschenka eine beispiellose Repressionskampagne, deren Ziel ist, nicht einfach nur Angst zu verbreiten, sondern Schrecken - um die Zahl derer, die es wagen, offen zu protestieren, zu minimieren.“
Russlands Krieg kam Lukaschenka gelegen
Lukaschenka hat im vergangenen Jahr die Gunst der Stunde genutzt, analysiert Rzeczpospolita:
„Es gibt Gerüchte, dass Lukaschenka dem Kreml eine Verfassungsreform und eine Neuwahl im Frühjahr versprochen hatte. Aber der Krieg in Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan war wieder ausgebrochen, so dass Moskau alle seine Kräfte in den Kaukasus senden musste, um seinen Einfluss in der Region aufrechtzuerhalten und die Türkei zu stoppen. Lukaschenka nutzte die geopolitischen Turbulenzen und drehte die Lage zu seinen Gunsten. Er unterdrückte Proteste mit Schlagstöcken, schüchterte Arbeiter ein, verschärfte Gesetze und verhängte fast das Kriegsrecht im Land. Die Verfassungsänderungen, die er Putin versprochen hat, hat er auf unbestimmte Zeit verschoben.“
Wieder beraubt man das Volk eines Hoffnungsträgers
Das Regime erstickt das Land, erklärt Nata Radina, Chefredakteurin der belarusischen Seite charter97.org in Gordonua:
„Es ist offensichtlich, dass das System durchgeknallt ist und krampfhaft versucht, jedem den Mund zu verbieten und ihn ins Gefängnis zu stecken, ohne zu merken, dass jede Willkür ein Ende hat. … Der Prozess gegen Viktar Babarika ist eindeutig politisch. … Aus diesem Grund tagt man hinter verschlossenen Türen, dürfen Journalisten und Unterstützer nicht in den Saal. Die Tragödie ist, dass wir es mit einer erneuten Abrechnung mit einem Präsidentschaftskandidaten zu tun haben. Wieder will man die Belarusen einer Führungsperson berauben, ihnen einen vielversprechenden Politiker nehmen, der das Land anführen und es zu einem normalen Leben hinführen kann.“
Lukaschenka darf schon mal den Countdown zählen
Die belarusische Opposition hat eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg, glaubt Népszava:
„Als im November der Künstler Raman Bandarenka im Gefängnis zu Tode geprügelt wurde, stand Lukaschenka kurz davor, gestürzt zu werden. Das hat er erkannt und statt zu Gewalt gegen die Massen hat er zu einer teuflisch subtilen Methode gegriffen: der gezielten Einschüchterung. ... Das einzige Wundermittel, auf das die Gegner des Diktators vertrauen können, ist die Stärkung der organisierten politischen Opposition und der Zivilgesellschaft, die einstweilen nur spärlich vorhanden ist. Lukaschenka darf anfangen, den Countdown zu zählen: Früher oder später gebärt jede Diktatur den Widerstand und den Zusammenhalt, die zu ihrem Sturz erforderlich sind.“
Brüssel kämpft nicht für das Land
Die EU lässt Belarus im Stich, schimpft Rzeczpospolita:
„Mehrere Gegner des Regimes wurden ermordet, Hunderte wurden gefoltert und über 250 politische Gefangene sitzen bereits hinter Gittern. Sie erwarten nicht, dass der Westen ihnen persönlich in irgendeiner Weise hilft. Aber sie hoffen, dass er zumindest 'irgendetwas tun wird', dass er den Terror in der Mitte Europas stoppen wird. Die enttäuschte Opposition fordert die Einführung strenger Wirtschaftssanktionen, die nicht nur die Oligarchen treffen würden, sondern auch die wichtigsten Unternehmen, die das Lukaschenka-Regime am Leben halten. Die EU-Praxis sieht jedoch so aus: Der Leiter der europäischen Außenpolitik präsentierte während eines Treffens am Montag mit den Außenministern der Mitgliedstaaten lediglich einen Überblick über die 'Situation in Belarus'.“