Ist die EU-Impfstrategie gescheitert?
Nach Ungarn hat nun auch die Slowakei Sputnik V zugelassen, die Regierungen Polens und Tschechiens denken zumindest laut darüber nach. Österreich und Dänemark wiederum setzen auf eine Impf-Allianz mit Israel. Am Donnerstag wollen sich Kanzler Kurz und Premierministerin Frederiksen mit Netanjahu treffen. Einige Beobachter kritisieren diese Alleingänge als rücksichtslos, andere glauben, dass Staaten keine andere Wahl haben.
Schnell Anschluss suchen
Die Niederlande sollten Österreich und Dänemark nachfolgen, fordert De Telegraaf:
„Diese Länder gehen zu Recht davon aus, dass man alles tun muss, um so viele Impfstoffe wie möglich zu erwerben. ... Unser Land kämpft mit einem Mangel, auch wegen der Entscheidungen im EU-Verband. ... Die EU-Staaten sind selbst verantwortlich für ihre Impfstrategie und können Verträge mit Dritten schließen. Auch die Zulassung könnte mit einem Not-Beschluss schneller geschehen. Die Niederlande wollen im Rahmen der EU agieren, aber es wäre besser, wenn sie Anschluss an die neue 'Impfallianz' suchten.“
Eine gefährliche Versuchung
Die nationale Beschaffung zusätzlicher Impfstoffe ist eine riskante Gratwanderung, gibt El País zu bedenken:
„Angesichts der angespannten Marktlage und des wachsenden Verdrusses mag die Suche nach individuellen Lösungen verständlich sein. Und sie ist begrüßenswert, solange sie die europäischen Strategien nur komplementieren. Doch wäre es ein Drama, wenn man dafür den Weg des gemeinschaftlichen Handelns verließe. Gemeinsam wird es einfacher sein, diese Krise zu überwinden. Und die Versuchung, sich zu trennen, ist der Keim für weitere Krisen in der Zukunft sowie für Zwist und Spaltung. Vorsicht!“
Kein Deal auf Kosten der Palästinenser
Politiken verurteilt das Vorgehen der dänischen Regierung:
„Anstatt sich mit Impfstoff bestechen zu lassen, sollte Mette Frederiksen die Gelegenheit nutzen, um gegenüber Benjamin Netanjahu zu unterstreichen, dass Dänemark die Palästinenser nicht vergessen hat und keinen Impfstoff entgegennimmt, der eigentlich an sie gehen sollte. Selbst in einer Pandemie muss es Grenzen für nationalen Egoismus geben - auch wenn es so aussieht, als hätte Israel das vergessen.“
Ein Fiasko nach dem anderen
Polityka konstatiert ein Scheitern der EU-Strategie:
„Es fällt auf, dass die EU bisher keine Kritik an den Impfstoff-Renegaten geübt hat und anscheinend nicht weiß, wie sie das Thema angehen soll. ... Auf EU-Ebene gibt es erneut keine einheitliche Strategie zum Umgang mit der Pandemie. ... Eigentlich sollte es nur einen gemeinsamen Einkauf geben, hinter den Kulissen wurde dann doch individuell verhandelt. Heute kauft jeder jeden Impfstoff, den er bekommen kann. Ein Fiasko nach dem anderen für die Europäische Union.“
Der Traum ist kurz vorm Zerplatzen
L'Echo zeigt sich desillusioniert:
„Auf dem Höhepunkt der Krise begann man, von einem europäischen, ja gar weltweiten Zusammenhalt bei der Herstellung eines Impfstoffs zu träumen, der die fortschrittlichsten Technologien des 21. Jahrhunderts in den Dienst der Menschheit stellt. Doch nationale Egoismen, geostrategische Reflexe, die Unfähigkeit der Politiker, eine über ihre Wählerklientel hinausreichende Vision hervorzubringen, oder schlicht und einfach Zweifel an den Impfstoffen verhindern es, dass dieser Traum Gestalt annimmt. Es ist jedoch nie zu spät, diese Einheit durch eine größere Industriekooperation und durch Orientierung an erfolgreichen Beispielen herzustellen.“