Sanktionen gegen China: Mutig, unklug oder nutzlos?
Wegen der Unterdrückung der Uiguren hat die EU erstmals seit drei Jahrzehnten Sanktionen gegen China verhängt. Die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten beschlossen Strafmaßnahmen gegen vier Parteivertreter in der Region Xinjiang und eine Organisation, die laut EU die Haftlager zur "Umerziehung" der muslimischen Minderheit verwaltet. Peking reagierte mit Vergeltungsmaßnahmen.
Aus chinesischer Sicht ist Europa keine Macht
Peking ist von den Ankündigungen der EU offensichtlich wenig beeindruckt, analysiert Le Monde:
„Die Global Times, das Presseorgan der KP Chinas, erläutert nicht, warum Peking die EU mit Gegensanktionen belegt, die USA jedoch verschont. Doch man kann beim Lesen ihres Kommentars den Grund erahnen: Die Menschenrechte seien eine 'einfache Waffe' für die EU, die 'zu existieren versucht, ohne über die finanzielle und die militärische Macht der USA zu verfügen'. China weiß, wovon es spricht: Ihm mussten die südeuropäischen Länder gemäß der von Deutschland verlangten Sparpolitik ihre Häfen und Infrastrukturen verkaufen, um nach der Eurokrise 2009-2010 ihre Schulden zurückzuzahlen. Im aktuellen Streit geht es also um Macht. Diese Gegenreaktion dient Europa als Lehre.“
Peking kalt erwischt
Chinas Führung war es bisher gewohnt, dass der Westen wirtschaftliche Interessen im Zweifelsfall über Menschenrechte stellt, führt Jutarnji list ins Feld:
„Die EU hatte die Volksrepublik China gewarnt, Zutritt nach Xinjiang verlangt, doch Peking lehnte dies ab. Es folgten Sanktionen. Russland hat sich schon an sie gewöhnt, aber nicht die Volksrepublik. China hat damit gerechnet, dass das Investitionsabkommen, welches im Dezember vereinbart wurde, es vor solchen Aktionen schützen würde. Aktionen, die diesmal einen globalen Charakter bekommen haben: die EU, USA, Kanada, das Vereinigte Königreich, unterstützt von Australien und Neuseeland. ... Demokratien müssen einen gemeinsamen Nenner im Verhältnis zu China finden und dann vereint handeln, wie mit den Sanktionen von Montag. Darauf hat Peking keine Antwort.“
Ein reines Gewissen ist teuer
Nicht jedes Land lässt sich ohne Weiteres vom Westen belehren, meint der Historiker und Philosoph Luuk van Middelaar in seiner Kolumne in NRC Handelsblad:
„Anders als früher bei Chile oder Südafrika hängt an einem reinen Gewissen im Zusammenhang mit China ein Preisschild. Die Sicherheit von einigen, möglicher Wohlstand und Arbeitsplätze für viele. China ist mächtig geworden, und es geht nicht wieder weg. Unsere Wirtschaft ist eng mit der dieses Landes verbunden. Und globale Probleme wie das Klima erfordern Zusammenarbeit. Was wiegen wir nun wie gegeneinander auf? Wo liegen unsere roten Linien, die Kernwerte, die wir am stärksten verteidigen - und zu welchem Preis?“
Peking kann kaum Partner bleiben
Die EU muss ihr Verhältnis zu China neu justieren, analysiert De Volkskrant:
„Auge um Auge, Zahn um Zahn - das ist die Sprache, die Peking fließend spricht. Der jüngste Schritt, europäische Politiker, Beamte und Akademiker zu sanktionieren, ist eine Fingerübung des 'lawfare', also der juristischen Kriegsführung. ... Das hat Brüssel jetzt verstanden. ... An sich bräuchte Brüssel gerade dringend politischen Rückhalt, um das umstrittene Investitionsabkommen gegen die Kritiker im Europäischen Parlament durchzusetzen. Doch mit so vielen Europäern auf der schwarzen Liste kommt Brüssel nicht umhin, die doppelte Rolle Chinas neu zu überdenken. Es wird immer schwieriger, Peking in einer anderen Rolle zu sehen als in der eines Rivalen.“
Es wird weiter laviert
Immerhin bewegt sich die EU, meint die Neue Zürcher Zeitung:
„Die Massnahme ist ... ein Schritt auf dem Weg zu einer gesamteuropäischen China-Politik. Doch man muss zugeben: Das Ziel ist noch weit weg und liegt im Nebel. Die Union, das sind im Kern immer die 27 Mitgliedsländer, tut sich schwer damit, eine kohärente Strategie für China zu finden. Noch im Dezember hat sie nach langen Verhandlungen ein Investitionsabkommen mit Peking geschlossen. ... Andere Europäer, darunter Frankreich und Deutschland, insistieren auf einer eigenständigen China-Politik. ... In Tat und Wahrheit bedeutet dies nichts anderes, als dass die Europäer weiter zwischen Investitionen und Sanktionen zu lavieren versuchen.“
Die Einkreisung hat begonnen
Der Anfang ist gemacht, applaudiert Corriere della Sera:
„Im Moment ist der Schritt vor allem symbolisch, denn er betrifft nur vier leitende Provinzfunktionäre in Xinjiang. … Bedeutend ist aber das Embargo gegen 'Xinjiang Production and Construction Corps', eine mit der chinesischen Armee verbundene Organisation, die ein Fünftel der Baumwollproduktion in der Region kontrolliert und ein Zehntel der Arbeitskräfte dort beschäftigt. Großbritannien, Kanada und die USA schlossen sich dem Schritt Brüssels an. .... Für die Biden-Administration ist es ein erster strategischer Erfolg in ihrer Kampagne der Einkreisung Pekings: Der Präsident stützt seine Strategie auf die Wiederbelebung der westlichen Allianz, die von Donald Trump vier Jahre lang vernachlässigt wurde.“
Europa könnte China noch brauchen
Die EU sollte jetzt ganz andere Prioritäten setzen, schüttelt die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Hírlap den Kopf:
„Seit Monaten beherrscht das Versagen der Europäischen Union bei der Impfstoffbeschaffung die Schlagzeilen in der Weltpresse. ... Es ist also besonders pikant, dass die EU gerade jetzt, da die Forderung nach Vakzinen aus dem Osten auch wegen Brüssels Fehlern immer lauter wird, anfängt, Sanktionen gegen China zu verhängen. Wie auch der ungarische Außenminister Péter Szijjártó meinte: Diese Haltung sei sinnlos, effekthascherisch und schädlich.“
Dieses Rezept hat schon früher nicht funktioniert
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung glaubt nicht, dass die Sanktionen der EU zielführend sind:
„China ist nicht mehr das Entwicklungsland, gegen das nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz Sanktionen erlassen wurden. Es ist eine aufstrebende globale Macht, mit der gerade Deutschland viel Handel treibt. Die chinesische Führung ist selbstbewusst, anders als früher hat sie die Mittel und den Willen, westlichen Druck zu kontern. Als Verband von Demokratien können die Menschenrechte der EU nicht gleichgültig sein. Aber es gibt andere Möglichkeiten, um das Thema mit Peking zu behandeln. Große Wirkung dürften die EU-Beschlüsse sowieso nicht haben. Die Sanktionen von 1989, die sogar ein Waffenembargo einschlossen, haben weder zu einer politischen Öffnung Chinas geführt noch die massive Aufrüstung des Landes verhindert.“