Türkei: Staatsanwaltschaft fordert HDP-Verbot
Die türkische Generalstaatsanwaltschaft hat letzte Woche eine Klage zum Verbot der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP beim Verfassungsgericht eingereicht. Außerdem verlangt sie ein fünfjähriges Politikverbot für fast 700 Parteimitglieder, darunter die Vorsitzenden Sancar und Buldan. Sancar warf der Regierung vor, seine Partei verbieten zu wollen, weil sie politisch nicht zu besiegen sei. Kommentatoren sehen das ähnlich.
Kurden sind das Zünglein an der Waage
Erdoğan weiß, dass er nicht mehr alleine regieren kann, bemerkt Artı Gerçek:
„Die Regierungsfront kann ihre Stimmenverluste nicht aufhalten. ... In dieser Situation kommt den zehn bis 13 Prozent Stimmen der HDP große Bedeutung zu. Wenn die HDP-Wähler und Kurden bei der nächsten Wahl so wie bei den Kommunalwahlen am 31. März 2019 zusammen mit der Oppositionsfront stimmen, ist sicher, dass die Opposition gewinnt. Das wäre für die Regierungspartei ein Alptraum. ... Das erste Ziel besteht darin, die HDP wenn auch nicht zu schließen, so zumindest funktionsunfähig zu machen. Sie [Erdoğans Unterstützer] bilden sich ein, die [HDP-]Stimmen damit herrenlos werden zu lassen! Auf der anderen Seite planen sie die Oppositionsfront, der es bisher ohnehin an Zusammenhalt fehlt, zu zerschlagen, indem sie das Terror-Schreckensgespenst nutzen, um die HDP zu kriminalisieren.“
Reaktionen des Auslands zunehmend egal
Der Standard befürchtet das Abdriften der Türkei in die offene Diktatur:
„Angesichts einer tiefen Wirtschaftskrise und seiner sinkenden Popularität hat der türkische Präsident Tayyip Erdoğan das Interesse daran verloren, selbst die letzten Reste einer liberalen und demokratischen Fassade aufrechtzuerhalten. ... Mit dem geplanten Verbot der prokurdischen Partei HDP kommt Erdoğan, der einst den Frieden mit den Kurden gesucht hat, seinem nationalistischen Koalitionspartner entgegen und entledigt sich auch gleich einer politischen Konkurrenz, die sein Streben nach absoluter Macht bremsen könnte. ... Die Reaktion des Auslands ... ist ihm egal; Europa hat weder Anreize noch wirksame Sanktionen gegenüber der Türkei im Köcher. ... Die logische Konsequenz für Erdoğan sind noch mehr Repression und der Weg in die offene Diktatur.“