Impfpflicht: Eine gute Idee?
Privilegien für Geimpfte oder gar eine Impfpflicht: Einige europäische Staaten sind bereits erste Schritte in diese Richtung gegangen - unter teils großen Protesten. Auch in Europas Presse sorgt die Frage, ob eine obligatorische Covid-Impfung gerecht sein kann oder was stattdessen in Frage käme, für kontroverse Diskussionen und neue Einfälle.
Dolce Vita nur mit Pieks
Gazeta Wyborcza plädiert statt einer allgemeinen Impfpflicht für radikalere Schritte gegenüber Impfverweigerern:
„Wer nicht geimpft ist, dem sollte die Regierung den süßen Geschmack des Lebens nehmen: [kein Eintritt in] Konzerte, Theater, öffentliche Verkehrsmittel, Kirchen, Schulen, Schießstände und Bars, Einkaufszentren, medizinische Einrichtungen, Cafés, Vergnügungsparks, Kulturzentren. Und wenn das nicht funktioniert, dann sollte vielleicht ein weiterer Lockdown angekündigt werden, bei dem Impfstoffgegner von den vom Steuerzahler finanzierten Hilfen ausgenommen werden.“
Jetzt muss der Impfbonus her
Der Spiegel findet hingegen, man solle die Zögerer lieber mit Geld locken:
„[M]it 100 Euro pro abgeschlossenem Impfzyklus ließe sich wohl schon Einiges bewirken. Gerade unter jungen und wirtschaftlich schwächeren Menschen dürfte dieses finanzielle Argument Gewicht haben. 'Moment mal!', werden viele jetzt denken. 'Und was ist mit all jenen, die sich schon brav haben impfen lassen?' Keine Sorge, die sollten natürlich auch den Hunderter bekommen. Das würde den Staat zwar ordentlich Geld kosten - für eine 85-Prozent-Impfquote bräuchte man gut sieben Milliarden Euro - aber es wäre immer noch deutlich günstiger, als noch ein weiteres Jahr in ständiger Lockdown-Angst zu verbringen. Denn diese Angst lähmt auch die wirtschaftliche Erholung.“
Ausflug in die Leichenhalle
Lrytas macht einen ungewöhnlichen Vorschlag:
„Den Impfgegnern sollte man kostenfreie Führungen in Leichenhallen organisieren. ... Dort, wo die Autopsie für die an Corona Gestorbenen gemacht wird. Mit einer passenden Einrichtung könnte man zeigen, wie Covid-19 die Lunge, die Bauchspeicheldrüse, die Leber und andere Organe beschädigt. ... Wenn das nun nicht reicht, sollte man Live-Übertragungen aus den Krankenhäusern machen (unter den strengen Bedingungen des Datenschutzes) und zeigen, wie ein Mensch unter Atemnot stirbt und kein Arzt ihm helfen kann. Makaber? Selbstverständlich! Aber genauso heuchlerisch ist es, sich hinter der litauischen Fahne zu verstecken und die Freiheit zu verlangen, andere mit dem Corona-Virus oder dem Dummheits-Bazillus anzustecken.“
Nicht noch mehr Druck auf die Jugend
In Großbritannien wird derzeit diskutiert, Studierenden die Teilnahme an Vorlesungen nur noch mit Impfnachweis zu erlauben. The Daily Telegraph ist dagegen:
„Eine Gruppe, die vom Lockdown der letzten 16 Monate am stärksten betroffen war, obwohl sie mit geringerer Wahrscheinlichkeit schwer an Covid erkrankt, sieht sich nun mit weiteren Einschränkungen konfrontiert. ... Die angedachte Ausweitung der Impfpflicht auf Besucher von Großveranstaltungen wie Fußballspielen oder in Nachtclubs ist eine Sache. Es mag die Leute betrüben, aber es ist nicht unbedingt notwendig, diese zu besuchen. Für Studenten gleicht sie aber einer Zwangsimpfung, denn die einzige andere Option ist der Abbruch des Studiums.“
Die Demokratie steht auf dem Spiel
Eine Impfpflicht höhlt die Demokratie aus, meint der Jurist Makis Tzifras in Real News:
„Angst ist eine menschliche Emotion und wird nicht nur in Bezug auf das Virus ausgelöst, sondern auch in Bezug auf unerwünschte Nebenwirkungen der Impfstoffe. Das Argument, dass diese Fälle statistisch gesehen wenige sind, sagt nicht viel aus. Besteht ein Risiko oder besteht es nicht? Können die Machthaber den Willen der vielen Menschen brechen, die Angst vor der Impfung haben? Wenn nicht durch eine Impfpflicht, so doch durch die Angst, entlassen oder ausgegrenzt zu werden? Wie sieht die Zukunft der Demokratie aus, wenn solche Maßnahmen ergriffen werden?“
Staat muss Gleichheit aller garantieren
Privilegien für Geimpfte hält der Rumänische Dienst der Deutschen Welle für den falschen Weg:
„Die Aufgabe des Staates ist es, die Rahmenbedingungen für ein würdiges und sicheres Leben zu schaffen und nicht die Menschen zu zwingen, mit aller Macht am Leben zu bleiben. Der Staat darf auch nicht zulassen, dass Menschen in verschiedene Kategorien mit unterschiedlichen Grundrechten eingeteilt werden. ... In einer Demokratie baut man nicht auf Zwang, Polarisierung und Disziplin, sondern auf gesellschaftliche und individuelle Verantwortung, Aufklärung und Überzeugung, wobei die Freiheiten und die Gleichheit aller garantiert sind.“
Lieber Pflicht statt Privilegien
Das slowakische Parlament hat Geimpften bereits per Gesetz solche Vorteile eingeräumt. Deník moniert, dass damit Menschenrechte ausgehebelt werden:
„In der Mitte Europas und sogar im Herzen der Union werden die Bürger vor dem Gesetz in Kategorie A und Kategorie B eingeteilt. Das ist nur als Apartheid zu bezeichnen. ... Diese Vergewaltigung der Menschenrechte entspringt edelsten Absichten. Die Behörden wollen Alte und Kranke vor einer mörderischen Krankheit schützen. ... Auch wenn es paradox klingt, ist die Impfpflicht aus menschenrechtlicher Sicht viel gerechter. Das Parlament sollte den Menschen besser per Gesetz Verpflichtungen auferlegen. Diese gelten für alle und spalten so die Gesellschaft nicht.“
Infektion oder Hungertod
Die Impfpflicht ist das kleinere Übel, findet auch Népszava:
„Trotz aller Sorgen und dem Misstrauen reift weltweit die Idee für eine allgemeine Impfplicht. Denn mit einem erneuten Lockdown riskiert ein großer Teil der geschundenen Volkswirtschaften, dass ihre Bürger entweder der Infektion oder dem Hungertod zum Opfer fallen. ... Man könnte Winston Churchills legendäre Argumentation für die Demokratie paraphrasieren: Die Impfpflicht ist die schlechteste Lösung, abgesehen von allen anderen, die von Zeit zu Zeit probiert werden.“
Wie noch mehr Menschen überzeugt werden könnten
Das Handelsblatt plädiert für eine Impfpflicht mit gewissen Ausnahmen:
„Der Staat führt eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene ein. Aber jeder kann ohne großen Aufwand auf eine Impfung verzichten. Damit ließe sich die Quote um zehn Prozentpunkte steigern, weil man so noch einen Teil der Bevölkerung erreicht, den man mit allen anderen Mitteln nicht erreicht. Wer sich aber verweigert, muss dann mit den Konsequenzen leben. Das heißt mit weiter beschränktem Zugang zu Restaurants oder öffentlichen Einrichtungen. Das mögen einige als Übergriffigkeit des Staats empfinden, es kann aber nicht sein, dass die impfpolitischen Trittbrettfahrer den Großteil der Vernünftigen und vor allem die Familien einer Gefahr aussetzen, die sonst viel geringer wäre.“