Streit mit der EU: Lenkt Warschau ein?
Die polnische Regierung will im Konflikt mit der EU die Disziplinarkammer des obersten Gerichtshofs reformieren. PiS-Chef Jarosław Kaczyński zufolge sollen erste Änderungsvorschläge zur Justizreform im September vorgelegt werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte geurteilt, dass Polen mit seinem System zur Disziplinierung von Richterinnen und Richtern gegen europäisches Recht verstößt.
Brüssel kann sich durchsetzen
Polens Einlenken sollte die EU darin bestärken, auch Ungarn gegenüber klar Kante zu zeigen, findet El País:
„Kaczyńskis Einknicken ist ein Beweis dafür, dass Brüssel über Mechanismen zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit verfügt. Und dass politischer und juristischer Druck Regierungen mit autoritären Tendenzen zum Einlenken bewegen kann, insbesondere wenn er von Androhung finanzieller Sanktionen oder der Sperrung europäischer Gelder begleitet wird. ... Umfragen zeigen, dass die öffentliche Meinung in beiden Ländern [Polen und Ungarn] mit überwältigender Mehrheit für die EU-Mitgliedschaft ist, und weder Kaczyński noch Orbán können sich einen Konflikt mit Brüssel leisten, der ihr politisches und finanzielles Überleben gefährden würde.“
PiS landet einen Coup
Wahltaktisch diente Kaczyńskis Einlenken wahrscheinlich einer klugen Positionierung im polnischen Parteienspektrum, analysiert The Spectator:
„Durch die Lösung des Konflikts mit Brüssel tritt die PiS als moderates und von Vernunft getriebenes Mitglied der polnischen Regierungskoalition auf. Sie hofft, als die Partei gesehen zu werden, die für Polens Rechte innerhalb der EU kämpft, ohne den 'Polexit' zu provozieren. ... PiS mag durch den Rückzieher im Streit um die Rechtsstaatlichkeit gedemütigt erscheinen. Doch in der sich schnell entwickelnden politischen Landschaft Polens hat die Partei möglicherweise eine wahltaktische Meisterleistung erbracht.“
Ein schmaler Grat
Für Gazeta Wyborcza passt das Einlenken Warschaus ins Bild:
„Die Antwort auf die Frage, warum Kaczyński, der die volle Macht hat, sich trotz allem bisweilen selbst einschränkt, ist einfach: Er will den schmalen Grat zwischen einer dysfunktionalen Demokratie und einer offenen Diktatur nicht überschreiten. ... Denn er weiß, dass dies den sofortigen Ausschluss Polens aus dem Kreis der zivilisierten Länder, einschließlich der Europäischen Union und der Nato, zur Folge hätte. Eine weitere Folge wäre eine tiefe Wirtschaftskrise, ein Rückgang der Unterstützung für die Regierung und ein Erstarken der Opposition - selbst wenn es sich bereits um eine außerparlamentarische Opposition handeln würde.“
Noch lange nicht entschärft
Rzeczpospolita sieht die angekündigten Zugeständnisse der polnischen Regierung skeptisch:
„Selbst wenn die neuen Vorschriften erneut gegen EU-Recht verstoßen würden, müsste die Prüfung vor dem EuGH von vorne beginnen. Dies wird bis zu zwei Jahre dauern. Die Frage ist, ob die PiS den Konflikt mit Brüssel eskalieren lassen will oder ob sie lieber nach Lösungen sucht, die den Streit schnell beenden. Wenn sie sich für Lösungen entscheidet, die den Vorgaben des Gerichtshofs entsprechen, kann der Konflikt für einige Zeit eingefroren werden. Ignoriert sie hingegen die Empfehlungen des EuGH, wird der Streit intensiv weitergeführt.“