Merkel in Polen: Nette Worte und nichts dahinter?
Bundeskanzlerin Merkel hat am Samstag ihren vorerst letzten Staatsbesuch in Polen absolviert. Im Gespräch mit Premier Mateusz Morawiecki warb sie für mehr Dialog im Justizstreit mit Brüssel und versuchte, Bedenken zur nun fertiggestellten Nordstream-2-Pipeline auszuräumen. Kommentatoren finden, dass die Kanzlerin gegenüber der PiS-Regierung bisher zu lasch aufgetreten ist, und sind uneins, ob sich das nun geändert hat.
Endlich wieder deutsches Engagement
Rzeczpospolita erkennt in Merkels Besuch einen Strategiewechsel:
„[Merkel] hat erkannt, dass die Gefahr, dass der Streit zwischen Warschau und Brüssel aus dem Ruder läuft, ernst ist und dass ein Polexit nicht nur eine geopolitische Katastrophe für Polen wäre, sondern auch deutsche Wirtschaftsinteressen treffen würde. ... Die Bundeskanzlerin hat daher zugesagt, sich an den Bemühungen um eine Einigung zu beteiligen. Polen hingegen hat die Abschaffung der Disziplinarkammer zugesagt, also die notwendige Geste zur Schließung zumindest eines Konfliktfeldes gemacht. ... Merkels Vorschlag ist insofern bahnbrechend, als die deutsche Regierung bisher die Position vertrat, dass dieser Streit zwischen Brüssel und Warschau gelöst werden sollte.“
Sechs verschenkte Jahre
Aus Sicht der Frankfurter Rundschau absolvierte die Kanzlerin ihre wohl letzte Polenreise eher pflichtschuldig:
„Eine Kranzniederlegung, ein paar freundlich mahnende Worte - das war’s. ... [S]eit in Warschau die rechtsnationale PiS regierte, ... entschied sich [Merkel] für eine Strategie des Beschwichtigens. Gelegentlich mahnte sie oder drohte sogar leise. Ansonsten verlagerte die Kanzlerin ihr Engagement auf die Geschichtspolitik und die Gedenkkultur. ... Der empathische Blick zurück ersetzt aber keine zukunftsgerichtete Politik. Und da hat Merkel unter dem Strich sechs lange Jahre verschenkt. Die harten Streitthemen delegierte sie nach Brüssel.“
PiS wird die zahme Kanzlerin vermissen
Nach den Bundestagswahlen in Deutschland dürfte der polnischen Regierung ein schärferer Wind ins Gesicht blasen, meint Gazeta Wyborcza:
„Taub gegenüber der antideutschen Kampagne in Polen betonte Merkel immer wieder, dass man dem Nachbarn Zeit lassen, Geduld zeigen und nichts gegen ihn unternehmen oder erzwingen solle. ... In Deutschland stehen bald Wahlen an, nach denen die Ära der Freundlichkeit zu Ende gehen könnte. ... Eine künftige Regierung ist ohne die Grünen nur schwer vorstellbar, einer Partei, die angesichts des Abgleitens Polens in den Autoritarismus nicht schweigen wird. Erst recht, wenn der Sozialdemokrat Scholz Bundeskanzler wird, dürfte das PiS-Lager den Ermäßigungstarif verlieren. ... Sicher ist, dass die PiS-Politiker die Kanzlerin noch vermissen werden.“